Kritische Worte zwischen Blumenkohlsuppe und Hirschrücken

Campus-Themen im Lindtner-Foyer: Heinrich A. Rabeling (von links), Geschäftsführer des Harburger Elbcampus‘ der Handwerkskammer, mit den Professoren Dr. Martin Betzler und Dr. Steffen Warmbold von der hochschule 21 in Buxtehude.

Beim „Herrenabend“: Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis (IG BCE) rechnet mit der Politik ab

Projektentwickler im Gespräch: Frank Lorenz (links) von der Lorenz Gruppe und Heinrich Wilke von Imentas. Fotos: Wolfgang Becker

Zwischen „Blumenkohlsuppe mit sautierten Garnelen“ und „Rosa-Hirschrücken-Medaillons auf Kartoffel-Maronen-Pürée“ (der Akzent geht auf den Küchenchef) passt als Zwischengang garantiert ein wenig Volkswirtschaftslehre, Politologie und Gewerkschaftskunde. So geschehen beim traditionellen „Herrenabend“ des Wirtschaftsvereins für den Hamburger Süden im Hotel Lindtner, der aus Anlass seines 70-jährigen Bestehens mit einem Gast „von der anderen Seite“ aufwartete: Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE), ließ vor den mehr als 300 Gästen allerdings schnell durchblicken, dass er nichts gegen unternehmerischen Erfolg hat: „Wenn Sie erfolgreich sind, fängt für mich die Party erst an.“ Kurz: Arbeitgeber sind nicht seine Feinde, sondern Verhandlungspartner auf Augenhöhe. Den Gegner hat Vassiliadis woanders ausgemacht – in der Politik.

Wer weiß heute noch, dass der Vorläufer der IG BCE vor 127 Jahren auch in Harburg gegründet wurde? Der Deutsche Fabrikarbeiterverband war zu Bismarks Zeiten zwar ein verbotener Kommunisten-Club, aber die Arbeiter politisierten und formierten sich, um ein Gegengewicht zu bilden und für eigene Rechte zu kämpfen. Und heute? Der letzte Streik der heutigen IG BCE fand 1971 statt, was aber für Vassiliadis eher ein gutes Zeichen ist. Ihn treiben ganz andere Gedanken um: „Was ist das Gefährlichste für Deutschland? Dass wir zu erfolgreich werden, denn dann werden wir dekadent.“

Innovation als Basis
 für Nachhaltigkeit

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Von wegen alles Herren: Kersten Witte (Kuhn+Witte, von links), Nicole Maack (Maack Feuerschutz), Nina Menneken (Mennekens Communications) und Maja Güsmer (Dierkes Partner) stoßen schon mal an.

Das Thema des Abends lautete „Innovationsstrategien für eine nachhaltige Entwicklung Deutschlands“, doch anders als manche Politiker versteht der Gewerkschaftschef unter Nachhaltigkeit nicht eine rein ökologische Ausrichtung, sondern auch den Beibehalt von Wirtschafts- und Innovationskraft. Den Atomausstieg, die Debatte um ein Verbot von Verbrennungsmotoren und die Energiewende zählt er ganz eindeutig nicht dazu, denn die wichtigen Innovationen auf dem Weg dahin fehlten. Vassiliadis: „Wir haben die Ökologie in Deutschland über drei Jahrzehnte nicht ernstgenommen. Mehr noch, wir fühlten uns regelrecht belästigt.“ Deutschland habe es in dieser Zeit versäumt, Vorreiter in Sachen Kreativität und neue Technologien zu werden. Dies wäre aber wichtig gewesen, um soziale Verzerrungen zu vermeiden.

Am Beispiel der Energiewende machte der Gast deutlich, was das bedeutet: „Wir haben den Atomausstieg beschlossen und teilweise auch schon umgesetzt. Damit haben wir die günstigste Art der Stromerzeugung gekappt. Die Mehrkosten gehen zulasten der gesamten Gesellschaft, denn mit regenerativen Energien können wir das nicht kompensieren. Auch deshalb nicht, weil wir keine Leitungen gebaut haben, um Windstrom von der Küste ins Land zu bringen, und keine Stromspeicher, in denen überschüssige Energie zwischengelagert werden kann.“

Mit der Politik ging Vassiliadis hart ins Gericht: „Die Union hat ihre ökonomische Kompetenz abgebaut. Die SPD distanziert sich heute von ihren eigenen Ideen, die den Wirtschaftsaufschwung erst möglich gemacht haben. Die FDP verkam zeitweise zur Spaßpartei. Und die Grünen machen Politik in Bildern, das könnte man fast schon religiös nennen. Was erleben wir? Bilder, die die Zukunft symbolisieren. Als hätten wir in fünf Jahren nur noch Elektroautos. Das ist doch völliger Quatsch.“ So viel zum Thema Dekadenz.

Die Hauptbotschaft des Gewerkschafters: „Investitionsunterlassung ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit.“ Kurz: Vor dem Atomausstieg hätte eine Phase der Innovationen stehen müssen, die ihn erst ermögliche, ohne die deutsche Wirtschaft zu schwächen. Stattdessen treibe jede Art von Ausstiegsdebatte die Kosten hoch. In den energieintensiven Industrien seien deshalb die Abschreibungen heute höher als die Investitionen. Kein gutes Zeichen für den Wirtschaftsstandort und die Menschen, die in Deutschland leben. 
Die IG BCE spricht übrigens für 650 000 Mitglieder…

 

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