„Jetzt brauchen wir einen olympischen Masterplan!“

Foto: Wolfgang StephanBeim B&P-Hintergrundgespräch im Neu Wulmstorfer Restaurant Zum Dorfkrug: der Stader Landrat Michael Roesberg (links) und sein Amtskollege aus dem Kreishaus Winsen (Landkreis Harburg), Rainer Rempe. Foto: Wolfgang Stephan

Die Vision der Olympischen Spiele in Hamburg befügelt auch die Landräte Michael Roesberg (Stade) und Rainer Rempe (Harburg) – Hoffnung auf einen Entwicklungsschub bei Straßenverkehrsprojekten, öffentlichem Nahverkehr, Gastronomie und Breitbandversorgung

Die Entscheidung des Deutschen Olympischen Sportbundes, mit Hamburg ins Rennen um die Austragung der olympischen Spiele im Jahr 2024 zu gehen, ist in der Hansestadt vielfach bejubelt worden. Allen das Nehmen dieser Hürde könnte einen Planungsschub in Gang setzen, der Hamburg voranbringt. Hamburg und die ganze Metropolregion. Die Redakteure Wolfgang Stephan und Wolfgang Becker sprachen mit den Landräten Michael Roesberg (Landkreis Stade) und Rainer Rempe (Landkreis Harburg) beim Hintergrundgespräch im Neu Wulmstorfer Restaurant Zum Dorfkrug über Chancen und Perspektiven.

B&P: Die Freude über die Olympia-Bewerbung Hamburgs ist auch in den Landkreisen groß, vermutlich im Kreis Harburg noch etwas größer, weil hier auch Wettkampfstätten für Olympia liegen könnten?

Rempe: Die Freude ist in jedem Falle sehr groß. Erstmal weil wir überhaupt einen norddeutschen Bewerber ins Rennen schicken können, aber auch, weil Hamburg ein gutes Konzept vorgelegt hat. Natürlich freuen wir uns auch für den Landkreis Harburg besonders, weil wir die Option haben, zumindest zwei aussichtsreiche Wettkampfstätten anbieten zu können.

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B&P: Sagen Sie unseren Lesern noch mal diese Optionen

Rempe: Mit Luhmühlen für die Vielseitigkeitsreiter sind wir sicherlich konkurrenzlos. Luhmühlen ist ein sehr etablierter Standort, an dem wir seit Jahrzehnten auf hohem Niveau Vielseitigkeitsreiterei anbieten und auch kräftig investiert haben, um den Standort auf diesem internationalen Niveau zu halten. Aber auch Garlsdorf als möglicher Austragungsort für die Schießsport-Wettbewerbe hätte wohl gute Aussichten.

B&P: Schade, Herr Roesberg, dass Sie in diese Richtung nicht planen können?

Roesberg: Schade ist das nicht. Wir freuen uns, dass die Chance besteht, Olympia im Norden zu bekommen. Olympia bringt den Mehrwert in der Region und alle Landkreise um Hamburg werden profitieren. Aber sind wir vorsichtig, es ist erst die erste Hürde genommen, die zweite steht mit der Bürgerumfrage im September an und die dritte Hürde ist der internationale Wettbewerb, der erst 2017 entschieden wird. Das ist ein langer Marathon.

B&P: Apropos, Herr Rempe, Sie können die Hoffnung haben, dass auch der Marathon und die Langdistanz der Fahrradwettbewerbe durch ihren Landkreis gehen könnte.

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Rempe: Es wäre schön, wenn es dazu kommt. Die Option besteht, vor allem im Radsport. Aber wir sollten uns nicht nur auf die Wettbewerbe konzentrieren. Wir müssen Olympia insgesamt in den Fokus nehmen. Die Olympischen Spielen können einen Infrastrukturschub auslösen, den wir sonst in den nächsten 30 Jahren nicht hätten – und das unter großem Zeitdruck, was dann nämlich auch einen Realisierungsdruck bedeutet, was gut wäre.

B&P: Was könnte das für die Infrastruktur bedeuten?

Roesberg: Wir erhoffen uns in erster Linie eine Beschleunigung der Straßenbaumaßnahmen Richtung Hamburg . . .

B&P: . . . also einen schnellen Anschluss der A26 an die A7?

Roesberg: Genau. Und das muss jetzt schnell gehen. Das ist doch der Punkt: Wir müssen jetzt die Zeit bis zum Entscheid 2017 nutzen, um Planungen zu erstellen und vor allem das realisieren, was längst geplant ist. Wir können nicht erst 2017 anfangen. Deshalb setzte ich darauf, dass wir jetzt eine Beschleunigung im Verfahren bekommen. Aber ich denke auch an den Nahverkehr, der weiter verdichtet werden muss.

Rempe: Wir denken im Kreis Harburg an einen Ausbau der S-Bahn bis Buchholz und Tostedt, denn der Bedarf ist jetzt schon da. Der Metronom ist jeden Tag voll, auch hier muss sich etwas tun. Ich bin da mit meinem Kollegen völlig einig: Wir müssen jetzt beginnen und nicht bis 2017 warten.

B&P: Infrastruktur heißt aber nicht nur Verkehr, sondern auch Sportstätten und Tourismus.

Roesberg: Auch da bietet sich eine große Chance für uns. Natürlich wissen wir, welche Wirkung von Olympia für das Image einer Stadt ausgeht. Die Touristen kommen nicht nur zu Olympia, schon vorher sind wir stärker im Fokus und vor allem danach. Das ist tatsächlich eine Riesenchance für uns, neue Hotels und interessante Touristen-Angebote zu schaffen. Aber auch der Sport bietet diese Chance. Nicht unbedingt wegen der Wettkampfstätten. Die Sportler dieser Welt werden schon Monate vorher den Standort Hamburg erkunden. Jeder Sportstandort in unseren Landkreisen hat diese große Chance, internationalen Athleten gute Trainingsmöglichkeiten zu bieten.

B&P: Trainingsmöglichkeiten wie beispielsweise beim VfL Stade oder in Drochtersen sind sicherlich vorhanden, aber keine Infrastruktur für die Unterbringung von Athleten. Wer kann da was bewirken?

Roesberg: Die Beispiele sind gut. Klar, die Unterbringung ist eine unserer großen Aufgaben, die wir jetzt angehen müssen. Hamburg muss Unterkünfte nachweisen und auch das ist unsere Chance.

B&P: Hamburg hat derzeit 18 000 Übernachtungsbetten, muss aber schon bei der Bewerbung 40 000 nachweisen. Auch in den Kreisen südlich der Elbe?

Rempe: Aber ja! Das ist doch unsere Hoffnung, dass wir hier etwas bewegen können, in unserem und dann übergreifend im Hamburger oder sagen wir besser im norddeutschen Interesse. Wir haben jetzt schon einen Bedarf an Betten und Veranstaltungsangeboten, den wir gegenwärtig nicht decken können. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass uns Olympia einen notwendigen Schub bringen wird.

B&P: Aber der Landkreis Harburg wird doch kein Hotel bauen?

Rempe: Sicher nicht, aber Olympia wird schon jetzt einen Anreiz für private Investoren bieten. Vor allem bei denen, die noch unentschlossen sind. Die Prognosen sind schon jetzt gut. Wir müssen dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen und die Investoren ihre Chancen auch erkennen.

Roesberg: Wir sind jetzt bei dem entscheidenden Punkt gelandet: Jetzt müssen wir handeln. Jetzt müssen wir einen Masterplan Olympia aufstellen – gemeinsam mit Hamburg, aber auch ganz klar mit unseren Interessen. Am 16. April habe ich zum ersten Olympia-Gipfel geladen.

B&P: Die Zusammenarbeit mit Hamburg ist sicherlich in der Vergangenheit nicht so gewesen, wie Sie sich das wünschen. Vergeben Sie doch mal eine Schulnote.

Rempe: Also, es gibt Dinge, die laufen ganz gut: das Nachbarschaftsforum, die Arbeitsgruppen in der Metropolregion. Aber es gibt unstreitig auch Verbesserungsbedarf an vielen Stellen, und da ist vor allem das Verkehrsproblem an erster Stelle zu nennen.

B&P: Das klingt nach Schulnote drei bis vier?

Rempe: Das würde ich im Moment so unterschreiben.

B&P: Herr Roesberg, besser fällt Ihre Bewertung bestimmt auch nicht aus?

Roesberg: Ich will gar keine Schulnote vergeben. Der Verkehr ist sicherlich ein Dauerthema, das wird nie abgeschlossen sein wird. Die Metropolregion als Rahmen hilft uns ungemein, aber Verbesserungen bekommen wir nur über direkte Kontakte – und daran arbeiten wir.

B&P: Wir haben Schiene und Straße angesprochen, was ist mit der Elbe?

Roesberg: Selbstverständlich muss die Elbe als Wasserweg auch in unsere Überlegungen einbezogen werden. Hamburg plant mit Kreuzfahrtschiffen für Unterkünfte, auch das können wir als Chance für uns sehen. Es gab mal einen Elbe-City-Jet nach Hamburg, warum nicht auch in Zukunft wieder? Das sind mögliche Initialzündungen, die wir veranlassen müssen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang gerne an einen Grundsatz der Gastronomie: Erst den Tisch decken, dann kommen die Gäste – und nicht umgekehrt.

B&P: Ein Infrastruktur-Punkt ist noch gar nicht zur Sprache gekommen: das schnelle Internet in den Landkreisen Harburg und Stade. Wie steht es um die Breitbandversorgung?

Rempe: Ich denke, wir sind uns einig, dass Breitbandversorgung nicht nur für die Wirtschaft, sondern die gesamte Entwicklung der Landkreise von ausschlaggebender Bedeutung ist. Wenn wir heute ein Neubaugebiet ohne Breitbandversorgung anböten, hätten wir ein Problem. Zudem ist die Entwicklung sehr dynamisch – wir müssen heute sehen, dass wir da hinterherkommen, um keinen massiven Nachteil zu erleiden. Ich will gar nicht von Vorteilen sprechen – wir müssen aufpassen, dass wir nicht abgehängt werden. Aber die Telekommunikationsunternehmen machen es uns da nicht einfach, wir können als Kommunen nur agieren, wenn nachgewiesen ist, dass private Anbieter es nicht tun. Die Regeln dafür sind höchst kompliziert – was nicht immer von Vorteil für die Entwicklung.

B&P: Wie hoch ist denn die Versorgungsquote im Landkreis Harburg?

Rempe: Wir haben die Möglichkeiten des Konjunkturprogramm II recht gut genutzt. Es gab zudem Eigeninitiativen in der Elbmarsch und in Buchholz. Zusammenfassend: Die Zahl der Haushalte, die zumindest die Möglichkeit an einen Internetanschluss mit 30 Mbit haben, liegt bei etwa 80 Prozent. Das ist ganz so schlecht nicht, könnte aber durchaus besser sein – vor allem vor dem Hintergrund, dass die Anforderungen an die Geschwindigkeiten von Jahr zu Jahr exorbitant steigen.

B&P: Wie sieht es im Landkreis Stade aus?

Roesberg: Unseren beiden Landkreises ist ja gemein, dass wir die Fläche haben. Viel Flächen bedeutet lange Strecken. Beide sind wir abhängig von den großen Playern, ich nenne nur Kabel Deutschland und Telekom, die sich schon untereinander nicht einig sind, wo was passiert – und wir von deren Entscheidungen abhängig sind. Das macht uns das Leben schwer. Hinzu kommt: Wir haben keine klaren Fördergrundsätze – sowohl auf EU- als auch auf Landsebene. Niedersachsen denkt über eine Förderung nach, aber wir wissen nicht: Sollen wir selber Kabelnetze bauen? Oder nur die planerischen Voraussetzungen schaffen? Was sie Versorgungsqualität angeht: Da sind wir im Landkreis Stade bei fast 80 Prozent.

B&P: Aber vorwiegend in den Ballungsgebieten . . .

Roesberg: Noch nicht mal. Weil bei uns die EWE in den vergangenen drei bis vier Jahren unterwegs war und im Zusammenhang mit der Gasversorgung auch weit abgelegene Orte erschlossen hat. Oederquart gehört für mich zu diesen Beispielen mit bester Erschließung. Aber: Wenn wir heute mit 30 Mbit Datengeschwindigkeiten zufrieden sein können, ist das im Jahr 2016 schon ein unterer Wert. Wir müssen also in die Zukunft schauen. Ohne Förderung von EU und Bund können wir Landkreise das alleine nicht schaffen. Wenn selbst wir die Mittel aus EU, Bund und Ländern zusammenfassen, wissen wir aus unserer Investitionserfahrung schon heute, dass wir damit nichts Nachhaltiges erreichen können.

B&P: Das ist aber eine eher ernüchternde Einschätzung.

Roesberg: Ja. Es war eine andere Situation als es um Wasser, Abwasser und Telekommunikation ging. Da wusste man, wie Orte erschlossen werden müssen. Das war kommunale Daseinsvorsorge. Eine Daueraufgabe, nicht innerhalb von drei Jahren. Heute wird erwartet, dass überall innerhalb von einem halben Jahr der Internetanschluss da ist. Und da reden wir nur über die Kabel, die gelegt werden sollen. Die Technik schreitet ja auch voran.

B&P: Unter dem Strich: 20 Prozent haben keine Möglichkeit, einen Internetanschluss zu bekommen. Wer wäre da jetzt zuständig, doch in erster Linie die Privatwirtschaft, oder?

Roesberg: Genau. Die darf zuerst zugreifen.

Rempe: Das Problem ist ja, dass die Telekommunikationsanbieter erst dann aktiv werden, wenn sie spüren, dass eine Kommune anfängt zu planen. Das haben wir schon oft erlebt. Das macht es für uns noch schwieriger. So passiert zum Beispiel in Buchholz, wo die Stadtwerke ein eigenes Glasfasernetz aufbauen – ein Konzept, das auf bestimmten Anschlusszahlen basiert, damit es sich irgendwann mal rechnet. Jetzt erkennt man, dass die Telekommunikationsanbieter plötzlich sehr aktiv werden. Das ist unser großes Dilemma. Wir müssen uns also politisch die Frage stellen, ob Internet nicht mittlerweile eine Frage der Daseinsvorsorge ist.

B&P: Würden Sie denn die Aussage wagen, dass das Internet zur Daseinsvorsorge gehört? Die Breitbandversorgung hat ja starke Auswirkung zum Beispiel auf das Thema Gewerbeansiedlung.

Roesberg: . . . aber dafür hätten wir dann die Finanzausstattung nicht. Wenn das Internet eine Aufgabe der Daseinsvorsorge ist, dann sind wir auch verpflichtet, diese Aufgabe wahrzunehmen. Im Landkreis Stade haben wir jetzt das Interessenbekundungsverfahren gemacht. Damit zwingt man die beiden großen Anbieter zu erklären, in welchen Orten sie beabsichtigen, das Netz auszubauen.

B&P: Bleiben da weiße Flecken auf der Landkarte?

Roesberg: Da bleiben weiße Flecken, aber die beziehen sich teilweise schon nicht mehr auf Ortschaften, sondern auf einzelne Straßenzüge. Das ist das Kuriose und macht es der Kommune angesichts der Rosinenpickerei der großen Anbieter noch schwerer.

B&P: Das hieße: Die Kommune mit ihrem Versorgungsauftrag müsste dann mit einem kommerziellen Anbieter konkurrieren – was sich nicht rechnen dürfte. Was müsste denn passieren?

Rempe: Der Bund muss sich den Hut aufsetzen. Wir sprechen da immer von Marktversagen, aber eigentlich ist es falsch. Denn eigentlich ist das genau der Markt. Kommerzielle Anbieter gehen nur da rein, wo sie richtig Geld verdienen. Was übrig bleibt, dürfen wir dann als Kommunen tun.

Roesberg: Wer weiß denn heute schon, ob es in zehn Jahren noch Stand der Technik ist, mit Glasfasernetzen zu arbeiten? Im Internet haben wir doch die Erfahrung gemacht, dass alle Kapazitätsgrenzen nach einem Jahr schon überschritten werden.

B&P: Damit schließt sich der Kreis zu unserem Eingangsthema: Wenn wir hier in zehn Jahren olympische Spiele haben wollen, brauchen wir ja wohl auch ein leistungsfähiges Datennetz.

Rempe: Das kann ich nur unterstützen.