Das wohl größte und erfolgreichste Europa-Unternehmen heißt Airbus. British Aerospace betreibt zwei Standorte, an denen Tragflächen entwickelt und gebaut werden. Ein Airbus ohne Flügel? Undenkbar! Kann diese Unternehmenskonstruktion nach dem Brexit aufrechterhalten bleiben? Oder droht nach dem Brexit als Folgewirkung nun möglicherweise auch der Ausstieg bei Airbus?
Das Votum vom 23. Juni ist auch für Airbus eine herbe Enttäuschung. Das Unternehmen hatte vor dem Referendum in Anzeigen für den britischen Verbleib in der EU geworben und sich in einem Brief an die Airbus-Beschäftigten im Land gewandt. Vorstandschef Tom Enders hat davon gesprochen, Investitionsvorhaben mittel- bis langfristig in Großbritannien überdenken zu wollen. Die Unternehmensführung wird genau abwägen, wie sie mit der Produktion in einem künftigen Nicht-EU-Mitgliedsstaat umgehen soll. Dass Airbus sich von der Insel vollständig zurückziehen wird, sehe ich als unwahrscheinlich. Dafür wurde bisher zu viel investiert. Sollte kein Freihandel zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich vereinbart werden, ist zu erwarten, dass sich die Produktion umständlicher, langwieriger und teurer gestaltet.
Was sagen Sie den zahlreichen Briten, die in europäischen Ländern leben und arbeiten. Was wird sich für sie in den kommenden Jahren ändern? Beispielsweise wenn die Freizügigkeit auf der Strecke bleiben sollte?
Das Vereinigte Königreich möchte weiterhin Zugang zum Binnenmarkt haben. Dies ist auch im deutschen Interesse, da dieses Land für unsere exportorientierte Wirtschaft ein wichtiger Markt ist. Vollen Zugang kann es aber nur geben, wenn bestimmte Regeln akzeptiert und eingehalten werden. Dazu zählt, dass der Binnenmarkt eben vier Freiheiten umfasst: die Freizügigkeit von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Arbeitnehmern. Davon unbenommen gilt der Grundsatz: Es muss einen spürbaren Unterschied machen, ob ein Land Mitglied der EU sein möchte oder nicht. Rosinenpickerei darf es dabei nicht geben.
Der Regierungswechsel ist vollzogen, und Theresa May hat bereits kräftig auf die Pauke gehauen, als sie Boris Johnson zum Außenminister ernannte. Nun sind die Briten bekannt für ihren Humor – aber im Ernst: Was soll ein Europäer von diesem Signal halten?
Das ist eine Personalentscheidung der neuen Premierministerin, die es zu respektieren gilt. Es wird sich zeigen, wie Boris Johnson sein Amt wahrnimmt. Grundsätzlich wünsche ich ihm im Interesse des Vereinigten Königreichs eine gute Hand. Über manche seiner Aussagen vor dem Referendum haben viele Menschen zu Recht den Kopf geschüttelt.
Nordiren und Schotten haben auf den Brexit „not amused“ reagiert, denn sie wollen in der EU bleiben – ist das Votum der Anfang vom Ende von Great Britain?
Das Vereinigte Königreich besteht aus vier selbstbewussten Nationen, nämlich England, Wales, Schottland und Nordirland. Die beiden letztgenannten haben mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt, in Schottland sogar sehr deutlich mit 62 Prozent. Die Referendumskampagne hat die britische Gesellschaft gespalten – nach Städten und ländlichen Räumen, nach sozialem Hintergrund, nach Bildungsstand, nach Alter und eben auch nach Landesteilen. Der Zusammenhalt im Vereinigten Königreich ist nach einer polarisierenden und emotionalen Kampagne belastet.
Bei allem Respekt für demokratische Prozesse: Ist das Ergebnis des Referendums aus Ihrer Sicht wirklich das letzte Wort?
Das Ergebnis des Referendums ist kein Gesetz („not legally binding“), sondern eine Empfehlung. Das britische Unterhaus könnte abstimmen und beschließen, das Austrittsverfahren nach Artikel 50 nicht zu aktivieren. Aber führende Vertreter von Regierung und Opposition haben deutlich gemacht, dass das Referendum eine freie und demokratische Entscheidung ist, die es zu akzeptieren gelte.