Herbert Schulte (Dierkes Partner) und Birgit Rajski (Open Arms) über die aktuelle
Flüchtlingsproblematik, unbeantwortete Fragen und reale Chancen.
Der Schwarzenberg ist geräumt und wieder frei für Veranstaltungen – künftig wird es mit dem Postgebäude am Bahnhof vermutlich nur noch eine große Erstunterkunft für Flüchtlinge in Harburg geben. Nach dem gefühlten Abflauen der Welle, die 2015 und 2016 mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland spülte, scheint sich die Lage nun zu beruhigen. Doch was passiert mit den Menschen, die hier eine sichere Bleibe gefunden haben und nun eigentlich arbeiten könnten? Darüber sprach B&P mit dem Harburger Steuerberater Herbert Schulte von Dierkes Partner und Birgit Rajski, Management der Open Arms gGmbH, die sich gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfern um die Integration kümmert.
Seit Beginn der Entwicklung treibt Schulte das Thema um. Als die schwimmende Flüchtlingsunterkunft „Transit“ im Harburger Binnenhafen festmachte, gehörte er zu den Vertretern der Harburger Wirtschaft, die überlegten, wie man die Menschen aus den Kriegs- und Krisengebieten willkommen heißen könnte. Doch Herbert Schulte erging es ähnlich wie vielen Deutschen bis heute: Es gibt große Unsicherheiten – beispielsweise in der Frage der Beschäftigung. Auf dem Weg von der Ankunft in Hamburg bis zum Bleiberecht mit Asylstatus und eigener Wohnung sowie einem Job, der ein Überleben in der Industrienation Deutschland ermöglicht, lauern viele Hürden.
Verschiedene Systeme
Schulte: „Ich finde, da gibt es viele Fragen und große Verunsicherung. Kann ich als Unternehmer einfach einen Flüchtling einstellen? Was ist mit Fragen der Sozialversicherung, der Haftung und so weiter? Lohnt sich ein Engagement oder ist der potenzielle Mitarbeiter plötzlich doch ein Abschiebekandidat? Also: Selbst wenn ich gewillt bin, einem Menschen, der alles verloren hat, zu einem neuen Start zu verhelfen und ihm Arbeit zu geben, empfinde ich das alles als sehr unübersichtlich.“ In der Folge sind die Fälle, in denen Flüchtlinge nachhaltig in Lohn und Brot kommen, die seltene Ausnahme. Das liegt nicht so sehr am fehlenden humanen Willen, sondern vielmehr an verschiedenen Systemen, die aufeinanderprallen.
Birgit Rajski: „Ich kenne eine Reihe von Flüchtlingen, die in ihren Heimaltländern qualifizierte und angesehene Jobs hatten. Sie kommen hierher in der Annahme, dass ihre Qualifikationen problemlos anerkannt wird. Doch gemessen an unserem komplexen (Aus-)Bildungsystem ist dies sehr häufig nicht so, was natürlich für Frust sorgt. Im günstigsten Fall können sie über Zusatzkurse eine Qualifikation erlangen, was aber erst dann funktionieren kann, wenn die Sprache erlernt ist.“ Und: „Es kommen zum Beispiel aus Syrien durchaus gut qualifizierte Leute zu uns, doch sie verfügen über keine Ausbildungsnachweise im Sinne unserer (Aus-)Bildungsabschlüsse. Im Handwerksbereich lassen sich ihre Fähigkeiten relativ einfach überprüfen. Doch was machen Sie mit einem Verwaltungsangestellten aus Syrien?“ Oder einem Finanzberater aus Somalia? Da wird es dann schwierig.