Im Interview: Professor Dr. Rudolf Hickel, Ökonom
Von Jens Gehrke
„Zero Covid“ und „No Covid“ machen derzeit als Begriffe die Runde. Bei dieser Initiative geht es darum, dass alle gemeinsam sich in einer Region das Ziel setzen, auf null Fälle zu kommen. Dazu gehört ein allumfassender, aber kurzer Lockdown, aber auch schrittweise Lockerungen für alle Gesellschaftsbereiche danach. Zu den Erstunterzeichnern dieser Initiativen gehört der Bremer Ökonom Professor Dr. Rudolf Hickel. Im Gespräch erläutert er, warum „Zero Covid“ eine Alternative zu den aktuellen Eindämmungsbemühungen ist.
Was verstehen Sie unter „Zero Covid“? „Zero Covid“ ist ein Weckruf. Es geht darum, bei der Identifikation von Infektionszentren keinen Bereich auszulassen. Null-Infektion ist das bewusst plakative Ziel eines internationalen Aufrufs, den auch die Virologin Melanie Brinkmann unterzeichnet hat.
Null Infektionen, das klingt angesichts der Fallzahlen in Deutschland schwer erreichbar. Wenn jetzt die Kritiker sagen, eine Null-Infektion ließe sich nicht erreichen, dann wird von dem Ziel, die Infektionszahlen massiv zu reduzieren, abgelenkt. Bisher konzentrieren sich die Lockdowns auf den Privatbereich und Wirtschaftsbereiche, bei denen viele Menschen zusammenkommen, also vor allem im Bereich der Freizeit und Events, der Gastronomie und Veranstaltungsbranche.
Worauf muss denn der Fokus stärker gelegt werden? Lange tabuisiert blieb die industrielle Produktion. Wie sich dort Infektionsherde bilden und wie sie verhindert werden können, dazu gibt es wenige Informationen auch von der Virologen- und Epidemiologenzunft. Die Arbeitswelt ist lange Zeit wie eine Black Box behandelt worden. Wenn sich hier jedoch Infektionsrisiken bündeln und alle anderen Mittel dagegen ausgeschöpft sind, dürfen zeitlich streng befristete Produktionspausen nicht ausgeschlossen werden. Hinzu kommt der Vorschlag, die Konzentration der Pendlerströme durch Arbeitszeitflexibilisierung zu reduzieren.
Wenn wir alle an einem Strang ziehen: Wie lange kann es dauern, bis wir bundesweit auf null Fälle kommen? In dem Bereich bin ich auf die Aussagen der Virologinnen und Virologen, der Modelliererinnen und Modellierer angewiesen. Sie sagen, dass es in zwei bis vier Wochen möglich ist, auf nahezu null Infektionen zu kommen. Danach sind dann auch wieder schrittweise Öffnungen für alle Bereiche des Lebens möglich, der Ausstieg aus dem Lockdown ist nachhaltig möglich.
Wenn man auf Bremerhaven schaut: Soll man darüber nachdenken, dass bei – um hier nur beispielhaft einige namhafte Firmen aus der Seestadt zu nennen – Frosta, Deutsche See, bei Eurogate oder der Lloyd Werft alle Menschen zu Hause bleiben? Ja, wenn die Betriebe als relevante Infektionsherde identifiziert werden. Deshalb sollten zuerst mit den Betriebsräten Möglichkeiten genutzt und realisiert werden, die Schließung zu vermeiden. Dazu gehört auch die Entzerrung der Arbeitszeiten zur Reduktion der Mobilität. Wenn das nicht geht, dann ist eine Schließung etwa für 14 Tage unvermeidbar. Bei systemrelevanten Produktionsstätten gibt es Ausnahmen. Ziel muss es sein, die Arbeitsplätze zu erhalten, um später die Produktion wieder hochzufahren. In der Pause können vielfach Produkte vom Lager geliefert werden.
Kann das nicht die Wirtschaft, die schon unter Corona leidet, noch einmal empfindlich treffen? Welche Auswirkungen sind möglich? Die Auswirkungen eines Lockdowns in den Betrieben mit hohen Infektionsherden müssen zu allererst reduziert werden. Dazu gehören in diesen Fällen zwei staatliche Maßnahmen: Überbrückungsgeld für die Unternehmen und Kurzarbeitergeld für die betroffenen Beschäftigten. Finanzierungsengpässe gibt es in den öffentlichen Haushalten des Bundes und der Länder nicht. Denn Finanzmittel sind aus der geplanten Neuverschuldung verfügbar.
Warum ist es so schwer, die Menschen gerade jetzt im Januar zu motivieren? Wie wichtig ist ein positives Ziel? Die unvermeidbaren Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte schmerzen. Verschärft wird die Lage durch unverantwortliche Corona-Leugner, die die Krise teils auch dazu nutzen, den demokratischen Umsturz zu inszenieren. Die Initiative „Zero Covid“ dient dazu, Licht am Ende des Tunnels schon vor der kompletten Durchimpfung Deutschlands zu zeigen. Wir bereiten durch das Ziel „Null Infektionen“ den Boden für Lockerungen. Soziale Vereinsamung und Verelendung müssen durch viele nachbarschaftliche Maßnahmen verhindert werden. Die Lasten bei den Finanzschwachen nehmen zu.
Die Corona-Krise wird uns voraussichtlich finanziell auf Jahrzehnte beschäftigen. Ist das alles überhaupt bezahlbar, was gerade gemacht wird? Ja, derzeit gibt es keine Finanzierungspässe. Die Finanzierungsquelle ist die öffentliche Kreditaufnahme. Jeder aufgenommene Euro, der zur erfolgreichen Bewältigung der Pandemie beiträgt, ist sinnvoll ausgegeben. Dazu ein Beispiel: In Bremerhaven wird der öffentliche Nahverkehr derzeit mit unterschiedlichen Maßnahmen wegen der Einnahmeeinbrüche gestützt. Die direkten Finanzmittel werden über Staatsschulden finanziert. Damit werden die Mobilitätsinfrastruktur sowie die Arbeitsplätze für den Neustart gesichert. Da ist doch die später zu refinanzierende Verschuldung sinnvoll.
Haben Sie keine Angst vor einer Inflation?
Es gibt kein Zins- und Inflationsproblem. Selbst die Deutsche Bundesbank verweist auf die internationalen Anleger, die derzeit auch bei einer Minusrendite sichere Staatsanleihen aus Deutschland aufkaufen. Diese Finanzierungspolitik lässt sich mehrere Jahre problemlos fortsetzen. Wenn es dann zur Tilgung der coronabedingten Staatsschulden kommt, dann sollte der kluge Vorschlag eines gerechten Lastenausgleichs von Landeschef Andreas Bovenschulte (SPD) zum Zuge kommen.
Warum kann man nicht einfach nur die Risikogruppen schützen? Spätestens seit sich die Virus-Mutationen verbreiten, müssen wir davon ausgehen, dass generell keine Altersgruppe, vor allem aber keine Stätte der Begegnung ausreichend vor Infektionen geschützt ist. Es sind auch die Pendlerverkehre im ÖPNV, die in Bremerhaven und Bremen Gefährdungslagen erzeugen.
Sollte man es schaffen, die Pandemie zu überwinden: Welche Lehren für die Zukunft muss man ziehen? Gegenüber den neoliberalen Fantasien brauchen wir einen handlungsfähigen, demokratisch fundierten Staat. Hier spielt die Sicherung der Infrastruktur der Grundversorgung auch durch ein öffentlich verantwortetes Gesundheitssystem eine wichtige Rolle. Mit den heutigen Rettungsmaßnahmen muss der ökologische und soziale Umbau vorangetrieben werden. Ökologische Verkehrskonzepte müssen durchgesetzt werden. Dieser ökologischen und sozialen Transformation aus der derzeitigen Corona-Krise heraus trägt der „Bremen Fonds“ mit 120 Millionen Euro Rechnung. Auch muss die Globalisierung wegen gestörter Lieferketten etwa bei lebensnotwendigen Medikamenten neu konzipiert werden.
Was sollten wir Bürger aus der Krise lernen?
Die Gesellschaft kann nicht auf der Basis dieses egomanen „Was ich mache, ist richtig“-Imperativ funktionieren. Die größten Verlierer sind die Täter, die ihren Beitrag zur Überwindung der Pandemie teils auch noch aufgemotzt mit abstrusen Verschwörungsthesen verweigern. Wir müssen wieder das soziale Miteinander und das Aufeinander-angewiesen-Sein, welches der Ego-Rausch vernebelt, lernen.
Zur Person:
Rudolf Hickel, geboren 1942, ist Professor für Finanzwissenschaft und Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen gewesen. Er schrieb zahlreiche Bücher, zuletzt „Zerschlagt die Banken. Zivilisiert die Finanzmärkte“.