„Wir denken Kindergarten neu“

Eine diskrete wie funktionale Lösung: Das Architekturbüro Frenzel und Frenzel hat die beiden denkmalgeschützten Gebäude der ehemaligen Hofstelle Neuland 11 in Buxtehude durch einen neuen Eingangsbereich miteinander verbunden. Links und rechts sollen jeweils 25 Kinder im Rahmen der „tiergestützten Pädagogik“ in einem ebenfalls naturnahen Kindergarten betreut werden. Michael Nyveld und Andrea Lange-Reichardt standen im Stadthaus Buxtehude für ein B&P-Gespräch zum Thema Kita-Planung zur Verfügung. Foto: Wolfgang Becker

Michael Nyveld und Andrea Lange-Reichardt über Architektur,
Denkmalschutz, naturnahe Kita-Konzepte und den Nutzen für Buxtehude.

In Zeiten von Work-Life-Balance und „Lebensqualität first“ zählen die sogenannten weichen Standortfaktoren für Wirtschaftsregionen deutlich mehr als noch vor zehn oder gar 20 Jahren. Wenn Menschen einen neuen Job suchen, geht es nicht mehr nur um Gehalt und Arbeitsweg, sondern auch um Fragen der Freizeitgestaltung, der Bildungslandschaft und der Kinderbetreuung. Kerstin Maack, Leiterin der Wirtschaftsförderung in Buxtehude, hat diese Themen schon seit geraumer Zeit im Blick und betont immer wieder die Vorzüge des Wirtschaftsstandortes. Jetzt zeigen zwei aktuelle Projekte, wie ernst es der Hansestadt wirklich ist und wie im Stadthaus über die Ressortgrenzen hinweg daran gearbeitet wird, den selbstdefinierten Anspruch der Nachhaltigkeit mit Leben zu füllen: Im B&P-Gespräch präsentierten der Erste Stadtrat, Michael Nyveld, und die Leiterin der Fachgruppe Jugend und Familie, Andrea Lange-Reichardt, zwei auch architektonisch spektakuläre Kindergartenprojekte, die landes-, wenn nicht gar bundesweit neue Maßstäbe setzen dürften – die Kindertagesstätte Neuland und den Jurtenkindergarten in Hedendorf.

Denkmalschutz und Kindeswohl unter einem Dach

Wer in Richtung Estebrügge fährt, kommt am Ortsausgang Buxtehude an einem reetgedeckten Gebäudeensemble vorbei. Die ehemalige Hofstelle Neuland 11 hat eine bewegte Historie zwischen Schafstall und Gastwirtschaft und atmet den Hauch der Jahrhunderte. Tatsächlich reicht die Geschichte zumindest des ehemaligen Schafstalls bis 1660 zurück. Michael Nyveld: „Teile der Bausubstanz sind mehr als 350 Jahre alt. Gemeinsam mit der Denkmalpflege haben wir ein Konzept entwickelt, wie aus den alten Fachwerkgebäuden ein Kindergarten werden kann. Die Hansestadt Buxtehude ist mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2021 prämiert – da ist jedes erhaltene Gebäude wertvoller als ein Neubau, denn es müssen keine neuen Flächen versiegelt werden.“

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Andrea Lange-Reichardt zu den Anfängen des Projekts: „Uns ging es darum, Kita neu zu denken. Wir wollten ein neues Konzept der naturnahen und tiergestützten Pädagogik umzusetzen. Eine Frage: Wie kann ich schon Kindern im Vorschulalter Nachhaltigkeit vermitteln? Daraus entstand die Idee, einen entsprechenden Ganztagskindergarten zu entwickeln, in dem auch verhaltensoriginelle Kinder ihren Platz finden können.“

Wie Michael Nyveld bestätigt, ging Buxtehude in diesem Fall einen anderen Weg als üblich: „Erst war die Idee da, dann fand sich das passende Gebäude.“ Christoph Frenzel, Inhaber des Buxtehuder Architekturbüros Frenzel und Frenzel, hat ein Faible für Altgebäude. Er war der richtige Ansprechpartner, als es darum ging, wie sich die beiden alten Gebäude – das Haupthaus und der angrenzende Schafstall – zu einer Kita transformieren ließen. Die Planungsexperten konstruierten ein Verbindungsgebäude, das künftig als Haupteingang für die 50 Kinder und die Betreuer in den beiden Elementargruppen genutzt wird. Zusätzlich kaufte die Stadt ein angrenzendes, weitgehend naturbelassenes Gelände dazu, um Platz für tobende Kinder in der Natur und Tiere zu schaffen. Andrea Lange-Reichardt: „Hier können Kinder erfahren, wie die Menschen früher gelebt haben und was es heißt, Tiere zu versorgen.“ Kosten des Projekts: rund 2,2 Millionen Euro zuzüglich Grunderwerb. Der Bauantrag ist gestellt. Mit der Fertigstellung wird Anfang 2024 gerechnet.

Der Nachhaltigkeitsansatz ist derselbe, die Umsetzung des Kindergartenausbaus in Hedendorf sprengt in dieser Form jedoch alle bisherigen Vorstellungen einer Kita. Das Vorhaben füllt die Lücke zwischen dem Waldkindergarten und der klassischen modernen Kita – echtes Neuland in der Kita-Landschaft. Gemeinsam mit der Stadt Buxtehude und der LivingCircle GmbH aus Schwäbisch Gmünd plant das Büro Architekten Horneburg siehe auch Seite 28) auf einem von Wald umstandenen ehemaligen Sportplatz in Hedendorf eine Kita mit 100 Plätzen. Die vier Gruppen bekommen jeweils ein eigenes aufgeständertes Holzgebäude in Jurtenform. Die Visualisierung erinnert an ein Indianerdorf. Der Clou: Beim Bau wird kein Boden versiegelt. Die insgesamt fünf Einheiten, die sich zu einem Halbkreis in Richtung des Staatsforstes Neukloster formen, werden in Modulbauweise erstellt und könnten theoretisch sogar demontiert und woanders wieder aufgebaut werden.

Preisverdächtig: Hedendorf bekommt den Jurtenkindergarten

Jede Gruppe bekommt einen kreisrunden Gruppenraum (50 Quadratmeter) und drei angrenzende Funktionsräume, die sogenannten Sternzacken (unter anderem für einen Sanitärbereich und einen 20-Quadratmeter-Differenzierungsraum). Die vier Einheiten sind über Holzstege miteinander verbunden, je zwei stehen links und rechts einer etwas größeren Zentraljurte, in der Verwaltungsräume, die Küche und der Bewegungs- und Essensraum untergebracht sind.

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Andrea Lange-Reichardt: „Wir wollten Kita neu denken. Auch Hedendorf wird sehr stark auf das Naturerlebnis ausgerichtet sein. Das heißt: ein reduziertes Spielzeugangebot – was die Kinder zum Spielen brauchen, finden sie überwiegend im Wald. Hier geht es unter anderem auch um Säen, Ernten und Verarbeiten. Wir wollen frühzeitig ein Bewusstsein für die Natur schaffen.“ Das Team von LivingCircle hat übrigens nicht nur die auffällige Konstruktion erdacht; es liefert ein ganzes Konzept, zu dem auch eine zweiwöchige Schulung der Kita-Mitarbeiter zählt.

Sowohl Michael Nyveld als auch Andrea Lange-Reichardt sind begeistert über die positiven Reaktionen sowohl aus dem übergeordneten Landesjugendamt als auch aus den politischen Gremien der Stadt und der Forstverwaltung (immerhin liegt die Fläche im Landschafts- beziehungsweise Naturschutzgebiet). Naturkindergärten dieser Art gebe es in ganz Niedersachsen nicht, so Nyveld. In dieser Dimension dürfte das Projekt sogar bundesweit einmalig sein. Kosten: rund 6,5 Millionen Euro. Fertigstellung: möglichst 2023. Die alte Kita in Hedendorf gilt als Vollsanierungsfall und ist zudem viel zu klein geworden.

Kerstin Maack: „Hier haben wir ein Superbeispiel für ein positives Miteinander der Behörden und der Träger. Beide Projekte sind auch eine Antwort auf den Fachkräftemangel, in zweierlei Hinsicht: Zum einen bieten sie Kindern attraktive Entwicklungsmöglichkeiten, was wiederum die Standortentscheidung bei der Jobwahl der Eltern positiv beeinflussen kann. Das ist unser Beitrag für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zum anderen stärkt die Hansestadt selbst die Attraktivität ihrer Arbeitgebermarke mit Blick auf den sehr angespannten Arbeitsmarkt für Erzieherinnen und Erzieher.“ wb