DIHK-Studien Ergebnis: Innovatoren sind im Schnitt bereits 50 Jahre alt
Von Gritt Sonnenberg
Anfang des Jahres veröffentlichte der DIHK die Ergebnisse seiner Studie „Wie disruptiv sind forschende Unternehmer? Zur Innovationskraft des deutschen Mittelstandes“. Diese widerlegen den Eindruck, deutsche Unternehmen hätten beim Thema Sprunginnovationen den Anschluss verloren und wären „nur“ inkrementell in kontinuierlichen Verbesserungsprozessen unterwegs. Denn Disruption, also der sprunghafte Anstieg der Nachfrage, kommt hierzulande weitaus häufiger vor als angenommen, betont Dr. Reiner Nikula, Autor der DIHK-Studie und Radical Innovators Consultant mit über vierzigjähriger Erfahrung in verschiedenen Unternehmen.
Es gilt zu differenzieren: Im gesellschaftlichen Diskurs ist meist die Rede von business-to-consumer-Sprunginnovationen (B2C), die für den Endverbraucher bzw. den Nutzer eines Produktes oder einer Dienstleistung von direkter Relevanz sind. Anders sieht es im business-to-business-Bereich aus: B2B-Märkte sind keine Massenmärkte, die das Erleben der Konsumenten verändern, sondern oft hoch-spezialisierte Teilmärkte. Den Produzenten und Geschäftspartnern der Innovatoren sind diese Sprunginnovationen jedoch sehr wohl bewusst und unentbehrlich. Man kann hier von stiller Disruption sprechen. Insofern öffnet uns die Studie einen positiven Blick auf die Innovationskraft mittelständischer Unternehmen.
Ein weiteres Ziel der Studie war es, radikale sowie inkrementelle Innovatoren zu identifizieren und Unterschiede zwischen ihnen herauszuarbeiten. Was macht den Typus eines radikalen Innovators aus? Worin unterscheidet dieser sich von jenen, die eher schrittweise innovieren? Hierbei fällt auf, dass radikale Innovatoren eine andere Auffassung von Innovation haben: Sie betrachten das Innovieren als Daueraufgabe und hegen den Anspruch, nicht nur etwas Bestehendes zu verbessern, sondern etwas Bahnbrechendes, Überraschendes, Einzigartiges hervorzubringen. Beispielhaft schilderte Chemienobelpreisträger Prof. Stefan Hell im Rahmen der Studienvorstellung, was ihn dabei antreibt: pure Neugier. Sein Statement: „Von Neugier getriebene Forschung kann immer zum Durchbruch führen und hat auch immer einen Wert.“
Der forschende Unternehmer
Beim Typus des radikalen Innovators handelt es sich um Individualisten, die vielfach ‚forschende Unternehmer‘ sind. Aufgrund ihres eigenen Bildungsweges sind sie eng vernetzt mit Forschungseinrichtungen, arbeiten meist in kleinen Teams und bedienen Pioniermärkte oder Erstanwender. Bis der Massenmarkt erreicht ist, kann es zum Teil Jahrzehnte dauern. Wie ein Podiumsteilnehmer bei der Studienpräsentation treffend anmerkte, beginnt Innovation nicht immer mit einem Feuerwerk. Kommt es zum Durchbruch, kann Innovation jedoch zerstörerisch sein und ganze Märkte oder Geschäftsfelder komplett umkrempeln.
Da die Marktdurchdringung erst noch bevorsteht, verzeichnen radikale Innovatoren (zunächst) geringere Umsätze. Die Gruppe der radikalen Innovatoren ist klein, aber volkswirtschaftlich unverzichtbar. Man führe sich vor Augen, dass aus radikalen Neuheiten im Laufe der Zeit inkrementell verbesserte Produkte werden, die sich wiederum zu Serienprodukten entwickeln können. Anders gesagt: Jedes heutige Serienerzeugnis war zu Beginn des Lebenszyklus radikal-innovativ, zum Beispiel das Automobil, das im 19. Jahrhundert noch ungläubiges Staunen auslöste. Heute ist es das autonome Fahren, das ebenso in den Alltag übergehen wird.
IHKLW-Innovationsförderung
Die Innovationsförderung der IHK Lüneburg-Wolfsburg (IHKLW) berät Unternehmen bei Fragen rund um Innovationen, Forschung und Entwicklung und vernetzt sie mit Forschungseinrichtungen und anderen Partnern. Ansprechpartner sind:
Michael Petz, Tel. 0 41 31/742-183, michael.petz@ihklw.de und
Gritt Sonnenberg, Tel. 0 41 31/742-142, gritt.sonnenberg@ihklw.de.
Bemerkenswert ist, dass das durchschnittliche Alter hochinnovativer Unternehmer in dieser Studie bei rund 50 Jahren liegt, ein Indiz für unternehmerische
Erfahrung als eine wichtige Basis für Innovation. Sie verfügen über eine hohe akademische Qualifikation sowie die Fähigkeit, eigenständig zu forschen bzw. zu entwickeln und erstmalige Produkte auf den Markt zu bringen. Noch signifikanter ist der Unterschied bei der Organisation von Forschung und Entwicklung im Unternehmen: Anders als schrittweise innovierende Unternehmer beauftragen sie einen eigenen Unternehmensbereich damit zu innovieren, der Inhaber kümmert sich persönlich um diese Aufgabe, oder es ist die Daueraufgabe jedes Mitarbeiters, Innovation zu betreiben.
Es gibt aber auch Aspekte, hinsichtlich derer sich radikale und inkrementelle Innovatoren nicht unterscheiden: Beide Gruppen beziehen gleichermaßen Partner aus Wirtschaft oder Wissenschaft ein (34 Prozent), haben die gleiche Entwicklungsdauer der Innovation bis zum marktfähigen Produkt (im Mittel 4,6 Jahre) und nutzen gewerbliche Schutzrechte zur Absicherung ihrer Novitäten (66 Prozent). Und auch eine sprunghaft gestiegene Nachfrage haben beide Innovatoren-Gruppen bereits erlebt (66 Prozent).
Fördermittel wenig nachgefragt
Was sich auch in dieser Studie erneut bestätigt: Innovationen werden größtenteils aus dem Tagesgeschäft finanziert (reinvestiert Gewinne) und zu einem deutlich geringeren Anteil über Fördermittel. Als Grund geben Unternehmen an, dass sie unabhängig bleiben möchten – unabhängig von vorgegebenen Fristen und Zeitfenstern, von zu vielen einschränkenden Vorgaben. Innovation sei eben nicht planbar und brauche daher flexible Förderinstrumente, so Michael Petz, Leiter der gemeinsamen Innovationsförderung der IHK Stade und der IHK Lüneburg-Wolfsburg (IHKLW). „Sinnvolle Fördermittel sind solche, die das Eigenkapital stärken.“ Das bestätigt auch der DIHK-Innovationsreport 2020: Demnach haben 72 Prozent der Unternehmen ihre Innovationen in den letzten zwei Jahren durch Eigenkapital finanziert. Auch sind die bewährten Instrumente zur Unterstützung inkrementeller Innovatoren nicht ohne Weiteres auf radikal-innovative forschende Unternehmer übertragbar. „Umso erfreulicher ist es,“ so Petz, „dass mit dem Forschungszulagengesetz 2020 die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung auch in Deutschland eingeführt wurde.“
Auch die staatliche Förderung besonders aussichtsreicher Unicorns wurde im Rahmen der Studienvorstellung thematisiert: Rafael Laguna de la Vera, Geschäftsführer der im Januar 2020 vom Bund neu gegründeten Sprunginnovationsagentur für Deutschland (SPRIND), hob einerseits die Vorzüge des deutschen sowie europäischen Innovationssystems hervor, das auf der Aufklärung fußt. Wenn es jedoch um das Beihilfe- und Kartellrecht geht, blockieren wir uns selbst und ließen so etwa die USA oder China an uns vorbeiziehen. Das sollte sich ändern. SPRIND avanciert zum wichtigen Partner für forschende Unternehmer und unterstützt aktuell verschiedene Projekte, etwa im Bereich Mikroplastik, Energieerzeugung, Analogrechner-on-a-chip, Künstliche Intelligenz oder europäische Cloud-Infrastruktur.
Die Studie enthält zielgruppenspezifische Handlungsempfehlungen für radikale und inkrementelle Innovatoren, Forschungseinrichtungen und Hochschulen, Investoren und Fonds, die Politik, die Gesellschaft, die Agentur für Sprunginnovationen und die IHKs. Link: https://www.dihk.de/resource/blob/35828/381f591b339d78bba559114555391eac/dihk-studie-radikale-innovation-data.pdf