„Die Branche könnte sofort neue Arbeitsplätze schaffen“
Ein Inview von CHRISTOPH BOHN
Die Ausbauziele für Offshore-Windkraft wurden doch gerade erst angehoben. Warum haben Sie jetzt zusammen mit dem Offshore-Wind-Verband BWO einen offenen Brief an die Politik geschrieben?
Die Ausbauziele bis 2030 sollen nach den Plänen der Bundesregierung von 15 auf 20 Gigawatt angehoben werden. Wir wollen langfristigen und investitionssicheren Klimaschutz mit heimischer Beschäftigung und Wertschöpfung verbinden. Dafür sind 20 Gigawatt als Ziel für die nächsten zehn Jahre zu wenig für die Klimaziele und für die Industrie. Für die Industrie sind 20 Gigawatt so etwas wie ein schwacher Trost, weil sie noch unterhalb des ursprünglichen Ausbauziels von 25 Gigawatt liegen, das vor ein paar Jahren für Investitionen speziell in Bremerhaven gesorgt hat. Mit ihrem Hin und Her in der Energiepolitik hat die Regierung Unsicherheit für Investoren geschaffen. Hinzu kommt der unstete Ausbau über die nächsten zehn Jahre. Wir brauchen umgehend eine zusätzliche Ausschreibung. Hier hat die Große Koalition viel Zeit verstreichen lassen – zulasten der heimischen Windindustrie. Wir haben im Herbst 2019 gemeinsam mit den anderen Verbänden erklärt, dass die Offshore-Windindustrie in der Lage ist, einen Sonderbeitrag, der im Koalitionsvertrag 2018 festgelegt wurde, in einer Größenordnung von bis zu zwei Gigawatt Stromerzeugung in Nord- und Ostsee vor 2026 zu realisieren. Damit wäre der „Fadenriss“ beim Ausbau der Offshore-Windenergie abgemildert worden, was bedrohte Arbeitsplätze gesichert hätte. Dies auf die lange Bank zu schieben, hat der Industrie unnötig geschadet. Eine mögliche Inbetriebnahme der Projekte hätte bereits ab 2023 beginnen können. Stattdessen soll nach Plänen der Regierung Anfang der 20er Jahre in der Nord- und Ostsee sehr wenig gebaut werden, ab Mitte der 20er Jahre aber deutlich mehr.
In der Bremer Erklärung wurden sogar 35 Gigawatt bis 2035 gefordert. Da ist also noch Luft nach oben, oder?
Wir benötigen einiges an grünem Strom. Und die Wind-Branche an Land und auf See kann ihn liefern. Sie benötigt aber eine langfristige Perspektive und weniger gesetzgeberische Hürden sowie mehr freie Flächen, um wieder planen zu können. Im jüngsten Gesetzentwurf sind 40 Gigawatt bis 2040 vorgesehen. Das geht in die richtige Richtung, sollte aber auch den Bedarf an „grünem“ Wasserstoff berücksichtigen und etwa zwei Gigawatt Ausbau im Jahr für die Stromproduktion auf See unterstützen. Es geht auch darum, die Stromgestehungskosten weiter zu senken, also den Preis, zu dem wir Strom erzeugen. Hierfür benötigt es langfristige Planbarkeit und eine vollständige Wertschöpfungskette. Die Windindustrie ist ein Wirtschafts- und Innovationsmotor. Nach dem wirtschaftlichen Schaden durch Corona bietet sich die Chance, mit den erforderlichen Konjunkturhilfen sofort und nachhaltig Beschäftigung zu schaffen, indem die erforderlichen Investitionen angestoßen werden.
Auf hoher See müssen jetzt die ersten Anlagen aus Altersgründen abgebaut werden. Das wird als Chance für Küstenstädte wie Bremerhaven gesehen. Können Sie sich dem anschließen?
Ja, das ist eine Chance für die Häfen, die Forschung und für unsere Mitgliedsunternehmen, die sich auf das Recycling dieser Anlagen spezialisieren. Das Potenzial für diese Dienstleistung ist beachtlich, Experten rechnen mit rund 1000 Anlagen in der Nordsee, die in den nächsten zehn Jahren zurückgebaut werden müssen – davon zunächst allerdings nur ein kleiner Teil in deutschen Gewässern. Die Nutzung des Potenzials Bremens für die Stabilisierung und Neu-Belebung der Windindustrie auf See, auch im Hinblick auf „grünen“ Wasserstoff sowie auf Rückbau und Recycling der Offshore-Windparks auf See sowie für den Ausbau der Windenergie an Land werden wesentliche Bausteine der erforderlichen Anstrengungen zum Klimaschutz. Hier gilt es, die international anerkannte Kompetenz-Region Bremen-Bremerhaven wieder zu reaktivieren.
An Land stockt derzeit der Ausbau der Windenergie-Anlagen. Was müsste geschehen?
Der Ausbau der Windenergie an Land ist katastrophal eingebrochen, hier muss einiges getan werden. Wichtig ist es, Flächen verfügbar zu machen. Hier sollte die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern eine Strategie ausarbeiten. Das Repowering an bestehenden Standorten ist zudem eine gute Möglichkeit, Flächen effizienter nutzen. Wir schlagen eine Bund-Länder-Strategie zur Flächenausweisung vor. Ziel sollte ein Bund-Länder-Pakt sein, der Planungssicherheit über Legislaturperioden hinweg sicherstellt. Ein guter Rahmen dafür wäre ein „Windenergie-an-Land-Gesetz“. Es würde die Grundlage schaffen, um das öffentliche Interesse am Ausbau der Windenergie zu verankern, die dafür nötigen Flächen rechtssicher bereitzustellen sowie Planungsrecht sinnvoll zu bündeln. Das Genehmigungsverfahren sollte vereinfacht, digitalisiert und transparent werden. Eine stringente Bearbeitung von Windenergievorhaben in der gesamten Verwaltungshierarchie sollte ausdrücklich politisch ermöglicht werden. Ein bundesweites Online-Artenschutzportal könnte helfen, um entsprechende Vorgaben und Auflagen zu standardisieren. Servicestellen auf Landesebene sowie Beteiligungs- und Dialogformate für Anlieger wären sinnvoll. Gerade vor dem Hintergrund der hohen Akzeptanz der Energiewende liegt es nahe, den Dialog mit Bürgern und allen relevanten Akteuren aktiv gemeinsam zu gestalten.
In Bremerhaven hat die Windenenergiebranche einen Kahlschlag erlebt. Wie beurteilen Sie die Chancen für einen Neustart?
Wenn Unternehmen langfristig planen können, stehen die Offshore-Wind-Branche und die Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff erst am Anfang. In den vergangenen zehn Jahren haben wir 7,5 Gigawatt installiert. Wenn selbst das zurückhaltende Bundeswirtschaftsministerium davon ausgeht, dass in den nächsten 20 Jahren viermal so viel dazukommen könnte, dann sehen wir gute Chancen für einen Neustart entlang der gesamten Wertschöpfungskette.