IM INTERVIEW: DAVID MCALLISTER ZUR LAGE DER EUROPÄISCHEN KLEINFISCHEREI.
Von Christoph Bohn
Das Europäische Parlament hat sich mit den Zukunftsperspektiven der kleinen Küsten- und Hochseefischerei beschäftigt und setzt sich für eine Wiederbelebung der Kleinfischerei ein. Der Europaabgeordnete David McAllister (CDU) aus Bad Bederkesa erläutert, was passieren muss.
Was ist unter dem Begriff kleine Küsten- und Hochseefischerei zu verstehen?
Vor drei Wochen hat das Europäische Parlament einen Bericht verabschiedet, der den Zukunftsperspektiven der europäischen Kleinfischerei Nachdruck verleiht. Die kleine Küsten- und Hochseefischerei wird im EU-Regelwerk besonders hervorgehoben. Diese Fangtätigkeit ist als jene definiert, die mit See- und Binnenfischereifahrzeugen mit einer Gesamtlänge von weniger als zwölf Metern und ohne Schleppgerät durchgeführt wird. Insgesamt fallen auf diesen Sektor fast 75 Prozent aller in der EU registrierten Fischereifahrzeuge und fast die Hälfte aller Beschäftigten im Fischereisektor. Künftig sollte eine umfassendere Begriffsbestimmung angestrebt werden, bei der neben der Schiffslänge auch die Merkmale und Kriterien des Segments berücksichtigt werden.
Diese Art Fischerei haben wir auch an der Wesermündung. Wie beurteilen Sie als Europaabgeordneter, der aus dem Cuxland kommt die Lage?
Ob in Cuxhaven, Dorum, Spieka-Neufeld, Wremen oder Fedderwardersiel – in den Kutterhäfen an der Nordseeküste ist die Stimmung düster. Verlorene Fangquoten nach dem Brexit, Schwierigkeiten bei Transporten wegen Corona, kaum Nachwuchs bei Hering und Dorsch – all diese Entwicklungen bedrohen die gesamte norddeutsche Küsten- und Hochseefischerei, vor allem aber die Krabbenfischer. Dazu kommen die hohen Kosten für den Schiffsdiesel. Über ein Programm der Bundesregierung haben Betriebe Zuschüsse zwischen 13.000 und 24.000 Euro – abhängig von der Kuttergröße erhalten. Bei einem jährlichen Dieselbedarf zwischen 80 und 100 Kubikmetern ergeben sich allerdings Mehrkosten in Höhe von rund 30.000 Euro. Bei weiterhin hohen Betriebskosten werden unsere Fischer auch 2023 weiter um Beihilfen und damit um ihr Überleben kämpfen müssen. Das Europäische Parlament hat die Mitgliedstaaten deshalb aufgefordert, die schon bereitgestellten Mittel zur Unterstützung der kleinen Fischerei endlich auszuzahlen. Denn gerade die kleine Küsten- und Hochseefischerei hat sich als besonders nachhaltig, verantwortungsvoll und transparent erwiesen und ist besonders schützenswert.
Sie sagen, ein Problem sei die Nachwuchsgewinnung. Warum ist das so, und wie könnte die Lage verbessert werden?
Die Arbeitstage der Küsten- und Hochseefischer sind extrem – und finden inmitten der Elemente, teilweise unter schwierigsten Bedingungen statt. Dieser Job kann nur mit einer ordentlichen Portion Gelassenheit bewältigt werden. Vier unterdurchschnittlich herausfordernde Jahre haben aber selbst die nervenstärksten Fischer auf die Belastungsprobe gestellt. Die Kombination zwischen teils unattraktiven Arbeitsbedingungen und unsicheren Zukunftsaussichten gestaltet die Nachwuchsgewinnung äußerst schwierig. Das Durchschnittsalter in vielen Fischereigemeinschaften liegt bei über 50 Jahren. Dringend müssen die für einen Generationswechsel erforderlichen Bedingungen geschaffen werden. Konkret heißt das, dass sich der Aufbau wirtschaftlicher Tätigkeiten im Fischereisektor für junge Menschen rentieren muss. Die Stabilität des gesamten Sektors muss endlich sichergestellt werden. Im Europäischen Parlament haben wir zuletzt darauf gedrängt, die Fangquoten für die kleine Küsten- und Hochseefischerei zu erhöhen. Gleichzeitig gehört das Einkommen aufgewertet und das Ausbildungsangebot verbessert.
Ein weiterer Punkt ist die Modernisierung der Flotte. Warum ist diese notwendig, und geht nicht gerade mit der Abschaffung der alten Kutter ein Stück Tradition verloren?
Für uns an der Nordsee hat die kleine Küsten- und Hochseefischerei eine wesentliche wirtschaftliche, aber auch eine besondere kulturelle Bedeutung. Sie geht auf eine lange Tradition zurück, ist unverzichtbarer Teil der Landeskultur und schafft eine regionale Identität. Die bunten Kutter sind im Cuxland nicht wegzudenken. Das durchschnittliche Alter der eingesetzten Flotte mit rund 32 Jahren pro Schiff ist einfach zu hoch. Zum einen erhöhen veraltete Betriebsbedingungen das gesundheitliche Risiko für die Fischer selbst. Auf der anderen Seite ist der Einsatz einer solch alten Flotte um einiges kostenträchtiger als der einer modernen – treibstoffsparenden – Flotte. Es geht darum, unseren Fischern durch neue, energieeffiziente Technologien an Bord bessere und sicherere Arbeitsbedingungen zu ermöglichen und den finanziellen Aufwand zu minimieren. Bei den gegenwärtig geringen Gewinnmargen ist diese Modernisierung ohne finanzielle Unterstützung schlicht nicht zu bewerkstelligen. Der Europäische Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds bietet Fördermittel, etwa für neue Motoren oder Kühlräume.
Ein großes Problem der kleinen Fischer ist ja die stärker werdende Bürokratie und die Vorschriften, die zum großen Teil auch von der Europäischen Union kommen…
Nach den Turbulenzen durch die Corona-Pandemie und den Preissprüngen für Schiffsdiesel dürfen unsere Fischer unter keinen Umständen von bürokratischen Auflagen zusätzlich belastet werden. Das Europäische Parlament hat deshalb erneut betont, dass der Zugang zu Fangdaten mühsam ist und aufgrund mangelnder finanzieller Möglichkeiten kein Zertifizierungsverfahren eingeleitet werden kann. Ein weiterer wichtiger und umstrittener Aspekt ist die Kraftstoffbesteuerung. In einem Vorschlag aus dem Jahr 2021 hatte die Europäische Kommission dafür geworben, einen Mindeststeuersatz für Kraftstoff auch für die Fischwirtschaft einzuführen. Bisher ist dieser Sektor von der Kraftstoffbesteuerung ausgenommen. Im Europäischen Parlament werben wir dafür, dass das so bleibt. Ein Mindeststeuersatz würde für einen Großteil der kleinen Küsten- und Hochseefischerei die Existenzkrise verschärfen.
Das Europäische Parlament hat abgestimmt. Wie geht es jetzt weiter?
Der Bericht fordert die Europäische Kommission als auch die Mitgliedstaaten dazu auf, zügig Maßnahmen einzuleiten, um die europäische Kleinfischerei wiederzubeleben. Der Bericht kommt zu einem entscheidenden Zeitpunkt in der europäischen Fischereipolitik. Denn die Kommission arbeitet derzeit an einer einschlägigen Analyse, anhand der die gesamte Gemeinsame Fischereipolitik der EU bewertet wird.