Konsumforscher Christoph Burmann zu Corona-Folgen für den Handel.
Von Torsten Melchers
Welchen Effekt hat die Corona-Pandemie auf den Handel? Und wie wirken sich nun die Lockerungen aus?
Der offenkundigste Effekt ist, dass der Online-Handel massiv gestärkt wurde. Viele Studien zeigen, dass die Menschen das mittlerweile nicht als einmalige Not- und Ausweichhandlung sehen für die Zeit, als es nicht anders möglich war, sondern dass ein Großteil auch nach der Lockerung der Corona-Regeln beim Online-Shopping bleibt. Das ist ja auch erklärbar: Viele haben vielleicht einen neuen PC gekauft, sich einen leistungsfähigeren Internetzugang verschafft, sich mit der neuen Software vertraut gemacht und so weiter. Das hätten sie freiwillig womöglich nicht gemacht. Aber jetzt haben sie all das seit mehr als einem Jahr und sich sehr gut daran gewöhnt. Das Zurückgehen in das alte Verhalten ist deswegen sehr schwer.
Das gilt aber nicht durchgehend für alle Branchen?
Der Lebensmitteleinzelhandel hatte ohnehin wenig mit Veränderungen zu tun, weil er immer offen war. Da tut sich wenig. Aber in Branchen, wo Sie seltener etwas kaufen, Bettwäsche zum Beispiel, hat sich etwas verändert. Da haben Sie in den vergangenen anderthalb Jahren festgestellt, dass alles im Internet geht, dass Sie alles angucken können, dass die Auswahl größer ist, dass preislich ein ganz anderes Spektrum angeboten wird und dass die Zustellung gut funktioniert.
Aber ich will doch ausprobieren, wie sich die Bettwäsche anfühlt. Führt das dazu, dass sich ein Missbrauch verstärkt, den es schon vor Corona gab: Ich probiere im Fachgeschäft eine Jeans und bestelle sie dann im Internet?
Ja, es nimmt zu, aber ich würde das mittlerweile nicht mehr Missbrauch nennen. Was früher das Einkaufen attraktiv gemacht hat, war das Erlebnis. Das Bummeln, dass man die Waren anfassen konnte, der persönliche Kontakt. Doch der Online-Handel holt auf. Beispiel Beratung: Sie können heute einen persönlichen Assistenten dazubitten, einen Avatar oder einen realen Menschen. Auch beim Kleiderkauf. Zugleich lässt die Aufenthaltsqualität in der Stadt nach. Da ist die Lästigkeit, sich informieren zu müssen, welche Maske Sie aufsetzen müssen und ob Sie einen PCR-Test benötigen, das ändert sich ja dauernd. Dazu kommt die Frage: Wo parke ich? Und leerstehende Geschäfte mindern den Shopping-Spaß. All diese Gefühle und Unbequemlichkeiten hat man beim Einkaufen im Internet nicht.
Was können denn die lokalen Händler machen?
Gegen viele Entwicklungen kann ein einzelner Händler oder auch die gesamte Händlerschaft einer Stadt schwer kämpfen. Und auch die in der Pandemie neu entwickelten Gewohnheiten der Kunden aufzubrechen, ist schwer. Was macht man also? Man besinnt sich auf seine eigenen Stärken und versucht, die Schwächen abzumildern. Stärke ist zum Beispiel, auf Regionalität zu setzen. Damit tut man etwas für den Umweltschutz und zur Stärkung des Gemeinwesens. Die Wirkung ist allerdings begrenzt. Wir unterscheiden den individuellen Nutzen und den kollektiven Nutzen. Wir wissen aus der Forschung, dass der Mensch ein individuelles Wesen ist: Er schätzt beim Einkaufen das, was ihm direkt was bringt. Das Setzen auf Regionalität dürfte also keinen riesigen Effekt haben.
Und der Abbau der Schwächen?
Da geht es vor allem darum, dass die Händler im Internet, wo die Menschen vorrecherchieren und sich informieren, überhaupt stattfinden. Und wenn der Internetpräsenz anzumerken ist, dass sie vor zwei Jahren gepflegt wurde, dann hat ein Nutzer den Eindruck: Das ist so veraltet, da muss ich gar nicht hingehen. Wenn man das aber so darstellt, dass man in der Darstellung auf dem Bildschirm attraktiv rüberkommt, wenn sich Herr Müller vorstellt, den man dann auch im Laden trifft, wenn es vielleicht noch eine Beschreibung gibt, was man in der Nachbarschaft machen kann, wenn man schon mal da ist, welche Restaurants es gibt oder Ähnliches, dann wird ein Besuch in der Innenstadt doch interessant. Die Stadt Bremerhaven unterstützt die Einzelhändler mit dem Digitallotsen in diese Richtung.
Welche Rolle spielt die Stadt für eine attraktive Innenstadt?
Eine ganz wichtige, aber ihre Möglichkeiten sind eingeschränkt. Beispiel Leerstände, etwa die der Immobilie, wo Karstadt drin war. Die Stadt will da handeln, aber sie trifft auf Finanzinvestoren, die – ich drück das mal ganz drastisch aus, die scheißen drauf, was in Bremerhaven los ist, und denen ist ein Oberbürgermeister Grantz völlig egal, selbst, wenn der mit Geld um die Ecke kommt. Das ist denen viel zu kleinteilig, die brauchen vielleicht eine Lösung für 350 Immobilien in Europa. Da kann die Stadt nur appellieren und hoffen. Und wenn man von diesen großen Konzernen weggeht, haben Sie das ähnliche Problem bei jeder einzelnen Immobilie. Sie müssen auch den privaten Eigentümer eines Hauses integrieren, wenn Sie die Innenstadt umgestalten wollen. Das macht es mühselig, aber ohne Engagement der Politik geht es nicht. Und da habe ich in Bremerhaven den Eindruck, dass die engagiert dabei ist und sich im Vergleich mit anderen Städten frühzeitig gekümmert hat. Aber das geht sehr langsam und dann ist die Frage: Haben die Menschen so viel Geduld? Denn die – siehe oben – haben sich daran gewöhnt, alles online zu machen. Und Gewohnheiten aufzubrechen, ist extrem schwer.