Der Norden setzt auf grünen Wasserstoff als Energieträger - Klimawerkstatt im Landkreis Stade lädt zur Diskussion ins Kreishaus.
Ganz Norddeutschland ist im Wasserstoff-Fieber. Speziell die „windigen Küstenländer“, aber auch die Wirtschaftsmetropole Hamburg ringen um die Poleposition beim Rennen um die Technologie- und Nutzungsführerschaft. So will Hamburg beispielsweise das stillgelegte Kohlekraftwerk Moorburg zu einem großen Elektrolyseur umbauen. Doch auch im Elbe-Weser-Raum gibt es Pläne: Geht es nach den regionalen H2-Akteuren, soll hier das Zentrum für Wasserstoff-Wirtschaft in Deutschland entstehen. Diese Nachricht war Quintessenz einer Tagung im Stader Kreishaus, die die Klimawerkstatt im Landkreis Stade e.V. initiiert hat. Der Optimismus hat gute Gründe, denn der Landkreis hat nicht nur viel Wind, sondern auch Erfahrungen mit dem schwer zügelbaren Wasserstoff (hochexplosiv und durch die kleinen Moleküle vergleichsweise flüchtig) sowie praktische Anwendungsbeispiele beziehungsweise -pläne. Eines hat der Landkreis Stade jedoch noch nicht: eine Wasserstoff-Tankstelle. Aber das könnte sich zumindest im gewerblichen Bereich demnächst ändern.
Seit Jahren liegt das
Thema Wasserstoff etwas ungriffig in der Luft. Bisher ging es vor allem um
theoretische Möglichkeiten, wie fossile Energieträger durch klimafreundliche
Varianten ersetzt werden könnten. Wasserstoff aus grünem Strom (Windenergie
oder Solarstrom) gehört dazu. Jetzt beginnt in einigen Bereichen die konkrete
praktische Umsetzung. Die Zukunft hat begonnen, wie die folgenden Beispiele
zeigen:
Die Wasserstoffzüge. Die neuen
Wasserstoffzüge der EVB werden ab Sommer auf der Bahnstrecke von Buxtehude über
die Stader Geest bis Bremerhaven und Cuxhaven eingesetzt. Die Züge gehören der
Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG). Die Idee, Wasserstoff zu nutzen, hat der
Hersteller Alstom Transport Deutschland gehabt. 85 Millionen Euro sollen die 14
Wasserstoffzüge kosten, die im nassen Dreieck eingesetzt werden sollen.
Angeschafft hat sie das Verkehrsministerium des Landes Niedersachsen. Der Bau
der weltweit ersten Wasserstofftankstelle für Passagierzüge in Bremervörde
gehört zum Projekt dazu. 1000 Kilometer können die Züge mit einer
Wasserstoff-Füllung zurücklegen. Somit ist einmal am Tag ein Tankstopp nötig.
Der Hightech-Truck. Die Premiere der
ersten Sattelzugmaschine, die aus Deutschland kommt und per Brennstoffzelle
angetrieben wird, fand unlängst auf dem Flugplatz in Stade-Süd statt. Das
Technologieunternehmen Clean Logistics SE mit Sitz in Winsen (Landkreis
Harburg) hat den ersten „Wasserstoff-Zero-Emission-Truck“ enthüllt. Damit ist
das Rennen „Wasserstoff versus Diesel“ eröffnet. Clean Logistics hat das
Betankungssystem sowie die Technologie für den Lkw entwickelt, der im
Fernverkehr eingesetzt werden soll. Der Prototyp wird in Winsen gebaut.
Lkw-Hersteller MAN ist an dem Projekt „CryoTruck“ beteiligt. Das Budget für die
Entwicklung des Wasserstoff-Lkw soll dem Vernehmen nach 25 Millionen Euro
umfassen.
Das emissionsarme Flugzeug. Die Airbus-Tochter
CTC (Composite Technology Center) und das Deutsche Zentrum für Luft- und
Raumfahrt (DLR) arbeiten in Stade-Ottenbeck am Flugzeug der Zukunft –
ultraleicht und CO2-arm. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Tank
aus Kohlefaserverbundstoff (CFK), der für den Wasserstoff völlig neu gedacht
werden muss. Airbus will in Zukunft mit Wasserstoff statt mit Kerosin fliegen. Daran
wird in Hamburg-Finkenwerder geforscht. Ziel: „Zero Emission“, also null
Emissionen auch in der Luft.
Forschungszentrum in Stade. 2021
erhielt Stade mit Hamburg und Bremen den Zuschlag vom Bundesverkehrsministerium
zum Bau des Wasserstoff-Forschungszentrums Nord. Für den Standort in
Stade-Ottenbeck neben der Solarhalle des CFK-Zentrums stehen bis zu 27
Millionen Euro bereit, um die Entwicklung von Wasserstoff-Tanksystemen in
Flugzeugen und Schiffen voranzutreiben.
Wasserstoff aus Mulsum. „Wir wollen zeigen, dass wir es hier können.“ Mit diesem Selbstverständnis verfolgt Ralf Dieckmann (H24Stade) aus Mulsum das Ziel, auf dem Land klimaneutrale Energieträger zu produzieren. Dafür werden derzeit zwei Windkraftanlagen und ein Photovoltaik-Park auf einer Fläche von 16 Hektar geplant. In einem Elektrolyseur wird dann aus dem grünen Strom Wasserstoff hergestellt. Der soll per Tankwagen zur Tankstelle nach Stade transportiert werden. Als Abnehmer schweben Dieckmann die Busse der KVG vor, Taxis, landwirtschaftliche Fahrzeuge, Lkw, Kleintransporter oder auch Fahrzeuge der Abfallentsorgung. Das Problem: Die potenziellen Verbraucher üben sich noch in Zurückhaltung. Wasserstofftechnik ist teuer in der Anschaffung. Zudem müssten die Betriebe ihre Werkstätten umrüsten und das Personal schulen. Und sie müssen die Frage klären, ob sie auf Strom- oder Wasserstoffantrieb umstellen wollen. Der Clou für Ralf Dieckmann: „Die Wertschöpfung bleibt in der Region.“ Er zeigte Fotos von mobilen Elektrolyseuren, die in einem 20-Fuß-Container Platz finden und modular aneinandergereiht werden können. Kostenpunkt: 1,5 Millionen Euro pro Stück.
Das Thema Wertschöpfung ist ganz im Sinne von H2.N.O.N., der Wasserstoffinitiative im Nordosten Niedersachsens. Die hatte sich nach einem ersten Treffen bei der IHK Stade entwickelt. Heute zählt sie elf Landkreise zwischen Elbe und Weser als Mitglieder sowie Industrie, Handel und Handwerk. Professionell bringt sie Firmen zusammen, die am Wasserstoff-Thema arbeiten. „Ein Thema, das viele bewegt“, befand Stades Landrat Kai Seefried während der Veranstaltung im Kreishaus. Matthias Geyer, Vorstandsmitglied der Klimawerkstatt, sprach von einer hochinteressanten Entwicklung für die Region.
Der Norden geht voran
Der Elbe-Weser-Raum, so Dr. Roland Hamelmann von H2.N.O.N., biete beste
Voraussetzungen, um sich zum bundesweiten Zentrum für grüne
Wasserstoff-Technologie zu entwickeln. Regenerative Energie sei ausreichend
vorhanden, überschüssiger Wasserstoff könne in den Kavernen gelagert werden, wo
einst Salz abgebaut wurde (zum Beispiel die Kavernen der Dow in
Harsefeld-Ohrensen).
Apropos Dow: Auf Bützflethersand entsteht seit 50 Jahren Wasserstoff als
Nebenprodukt, allerdings grauer, also nicht auf Basis regenerativer Energien.
Aber über den Umgang mit dem flüchtigen Stoff gibt es bereits viel Erfahrung.
Es gibt weitere
Beispiele, wie in der Region an der praktischen Verwendung von Wasserstoff
gearbeitet wird: In Lüneburg ist ein wasserstoffbetriebenes Schubboot in der
Binnenschifffahrt im Einsatz, in Walsrode ist an der Autobahn eine Tankstelle
geplant, in Osterholz lässt das Unternehmen Faun die ersten Nutzfahrzeuge
umrüsten. Die Hadag will ihre Hafenfähren mit Wasserstoff betreiben. Auch
Biogasanlagen könnten auf die Produktion von Wasserstoff umschwenken, so
Hamelmann. Doch bei allem H2-Enthusiasmus benennt auch er einen wesentlichen
Aspekt in der Diskussion: Noch fehlt es an praktischen Anwendern. Sie seien
nötigt, um die Entwicklung entscheidend voranzutreiben.
Immerhin: Das
Energie-Unternehmen EWE leistet sich sogar einen Wasserstoffbotschafter. Der heißt
Paul Schneider, fuhr im Wasserstoff-Auto Nexo (Hyundai) vor und lieferte im
Kreishaus einen flammenden Appell pro Wasserstoff ab: „Wasserstoff ist neben
Grünstrom der Energieträger der Zukunft und könnte problemlos durch das gut
ausgebaute Erdgasnetz in Deutschland rauschen.“ Er wies auf ein Thema hin, das
selten diskutiert werde: Erdöl und nicht Erdgas ist der wichtigste
Energieträger in Deutschland, vor allem für die produzierende Wirtschaft.
Bei allen konstruktiven Ansätzen bleibt neben der noch sehr zögerlichen
Nachfrage aus der Wirtschaft eine Frage offen. Die stellte der Moderator des
Wasserstoff-Treffens, Wolfgang Becker vom regionalen Wirtschaftsmagazin
Business & People, mit Blick auf die umfängliche Expertise im
Elbe-Weser-Dreieck: „Wie kriegen wir die PS auf die Straße?“ Eine klare Antwort
blieben alle Referenten schuldig. Noch . . . ls/wb