Von der Dorfschmiede zum Weltunternehmen: Die Fricke-Gruppe aus Heeslingen feiert 100-jähriges Bestehen.
Die Fricke-Gruppe aus Heeslingen blickt in diesem Jahr auf 100 Jahre Firmengeschichte zurück. Im Interview spricht Firmenchef Hans-Peter Fricke über die bewegte Unternehmensgeschichte, aktuelle Herausforderungen und die Expansion in die USA.
Sie begehen in diesem Jahr das 100-jährige Jubiläum der Fricke-Gruppe. Die heutige Dimension des Unternehmens steht im Gegensatz zu den kleinen Anfängen vor 100 Jahren, oder?
Das ist richtig, unser Unternehmen entstand 1923 aus einer kleinen Dorfschmiede. Anfang der 30er-Jahre bewies mein Großvater strategisches Geschick und zog mit der Schmiede auf ein Grundstück gegenüber der Molkerei in Heeslingen. Die Molkerei war damals das logistische Zentrum der Gemeinde – und die Schmiede profitierte davon. Die Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre ging jedoch nicht spurlos an der Schmiede vorbei. Es waren schwierige Zeiten für das Familienunternehmen. Das hat die Kindheit meines Vaters sehr geprägt.
Ihr Großvater ist 1953 mit nur 54 Jahren gestorben, und Ihr Vater hat die Firma übernommen. Wie weit war die Landtechnik damals schon entwickelt?
Zu Beginn der 50er-Jahre gab es noch wenig Traktoren. Viele Arbeiten wurden mit dem Pferd erledigt, gemäht wurde noch mit der Sense. Auf den Höfen gab es Dreschmaschinen, mit denen das Getreide nach der Ernte gedroschen wurde. In den folgenden Jahren schritt die Mechanisierung der Landwirtschaft voran. Den Landwirten ging es finanziell gut, die Größe der Flächen pro Betrieb stieg. In den 60er-Jahren wollte mein Vater sein Geschäft erweitern. Er war mittlerweile Landmaschinenmechaniker-Meister und baute am Ortsrand von Heeslingen einen modernen Landmaschinenbetrieb mit Werkstatt. Für die damalige Zeit war das eine sehr mutige Entscheidung.
1972 kaufte ihr Vater dann die Ersatzteile aus der ausgelaufenen Hanomag-Produktion auf. War das die Basis für das Wachstum und den Erfolg des Unternehmens?
Es war ein wichtiger Schritt und zeigte das Potenzial im Ersatzteilhandel auf. Die Marktreife im heutigen Sinne wurde dann ab Mitte der 90er-Jahre erreicht.
Ende der 80er-Jahre sind Sie ins Familienunternehmen eingestiegen. Welche Aufgaben haben Sie damals übernommen?
Als ich 1988 ins Unternehmen einstieg, hatten wir ein sehr gutes Team, waren zu dem Zeitpunkt aber nicht profitabel. Wir standen damals im Elbe-Weser-Gebiet in einem harten Wettbewerb mit anderen Landmaschinenhändlern. Ich konzentrierte mich zunächst auf die Erschließung der neuen Bundesländer. Als wir ab 1990 gemeinsam mit unserem Lieferanten Claas das Verkaufsgebiet rund um Demmin in Vorpommern bearbeiten konnten, war das ein guter und wichtiger Schritt für das Unternehmen.
Wenig später zog sich ihr Vater aus der Firma zurück. Wie war das für Sie?
Mein Vater zog sich 1992 aus gesundheitlichen Gründen aus dem operativen Geschäft zurück und nahm seitdem nur repräsentative Aufgaben wahr. Ich war nun allein verantwortlich und merkte schnell, dass diese Aufgabe aufgrund der Vielzahl an Unternehmenssparten alleine nicht zu bewältigen war. Wir hatten ja neben dem Landmaschinen- und Nutzfahrzeugbereich damals auch schon die Gartentechnik und den Maschinenbaubereich, heute Saphir. Darum holte ich damals Holger Wachholtz als weiteren Geschäftsführer ins Unternehmen.
Wenig später hat Fricke sich im Bereich Nutzfahrzeuge stärker aufgestellt. Wie entwickelte sich der Verkauf der neuen Marken?
1992 bauten wir unser Portfolio mit den Marken Fiat und DAF aus. Anfangs hatten wir noch keine Werkstatt, und der Ruf der Marke DAF war noch nicht so gut wie heute. Der Verkauf der DAF-Lkw lief zunächst zäh, die Konkurrenz war groß. Heute steht unser Nutzfahrzeugbereich sehr gut da.
1996 wurde dann Granit Parts gegründet, mittlerweile der umsatzstärkste Unternehmensbereich der Fricke-Gruppe.
Ja, wir waren zu dem Zeitpunkt schon länger im regionalen Handel mit Ersatzteilen tätig und haben Mitte der 90er den Schritt gemacht, mit Granit eine eigene Marke für den Bereich zu starten sowie das Geschäft überregional aufzubauen.
Konnte man damals schon erahnen, wie stark sich Granit Parts entwickeln würde?
Nein, überhaupt nicht. Um das dynamische Wachstum zu finanzieren, mussten wir schwierige Gespräche mit den Banken führen. Trotzdem glaubten wir immer daran, dass wir irgendwann erfolgreich sein werden. Der Durchbruch kam im Jahr 2003. Da hatten wir eine ordentliche Umsatzrendite erreicht und die Eigenkapitalquote stieg deutlich. Dem war der Start der Internationalisierung vorangegangen.
Warum entschieden Sie sich Anfang der 2000er für den Schritt ins Ausland?
Wir wussten, dass der Markt für Landmaschinen-Ersatzteile ein Nischenmarkt ist und wir höhere Stückzahlen brauchten, um langfristig profitabel zu sein. Den ersten Schritt haben wir in den Niederlanden gemacht, danach folgte bald Österreich und wenig später auch schon der Marktstart in Belgien und Frankreich. Mittlerweile sind wir in 26 Ländern aktiv und gehören überall zu den Top 3 in der Branche.
Im Jahr 2013 erweiterten Sie die Unternehmensgruppe erneut und übernahmen Hofmeister & Meincke aus Bremen. Warum?
Diese Entscheidung machten wir uns nicht leicht. Wir waren bisher in erster Linie organisch gewachsen und machten bei Granit damals schon erste Schritte im Bereich Nutzfahrzeugteile. Allerdings war die Möglichkeit der Übernahme auch eine einmalige Chance. Hofmeister & Meincke schrieb damals Verluste und stand kurz vor der Insolvenz. Wir entschieden uns nach reiflicher Überlegung für den Kauf und waren nach drei Jahren wieder profitabel. Inzwischen steht das Unternehmen sehr gut da und wächst kontinuierlich.
Im Jahr 2019 investierten Sie dann wieder am Hauptsitz in Heeslingen. Abermals neuer Platzbedarf?
Auch die Mitarbeiterzahlen in Heeslingen stiegen im Laufe der Zeit stark. Mit dem Bau des Fricke-Campus haben wir vor gut drei Jahren zusätzliche, moderne Büros geschaffen und eine Kantine integriert, die von den Mitarbeitenden sehr gut angenommen wird. Den Standort von Fricke-Landmaschinen verlegten wir hinaus an die Ortsgrenze, um weiteres Wachstum zu ermöglichen.
Aktuell bauen Sie ein neues Standbein in den Vereinigten Staaten auf. Was hat es damit auf sich, und wie weit sind Sie?
Die Expansion in die USA wurde schon lange von uns vorbereitet. Die Herausforderung bestand vor allem darin, ein passendes Unternehmen zu finden. Im vergangenen Jahr wurden wir fündig und kauften einen etablierten Ersatzteilspezialisten für Bodenbearbeitung im Bundesstaat Indiana. Denn eines haben wir schnell gemerkt: Das Thema Vertrauen spielt auch auf dem US-Markt eine enorm wichtige Rolle. Derzeit sind mehrere Mitarbeiter aus Heeslingen vor Ort und kümmern sich gemeinsam mit dem bestehenden Team um die Weiterentwicklung des Geschäfts.
Sie planen ein Logistikzentrum im saarländischen Tholey. Wie ist der Status bei diesem Projekt?
Die ersten Bodenarbeiten im saarländischen Tholey haben Ende 2022 begonnen. Hier entsteht ein weiteres Logistikzentrum, das im Endausbau über circa 85.000 Quadratmeter Nutzfläche verfügen wird. Von hier aus werden wir in Zukunft vor allem Kunden aus Frankreich, der Schweiz, Österreich und Süddeutschland beliefern. Anfang 2025 wollen wir in Tholey starten.
Welche Bedeutung hat der Standort Bockel für die Unternehmensgruppe?
Der Gebrauchtmaschinenhandel ist ein weltweites Geschäft und sehr wichtig für den Bereich Fricke-Landmaschinen. Und mit der Entwicklung eigener Maschinen bei Saphir stellen wir unsere Innovationsstärke unter Beweis. Beispielsweise hat Saphir gemeinsam mit der TH Köln und einem Ingenieurbüro das Bodenbearbeitungsgerät „Grinder“ entwickelt. Durch die Nutzung dieser Maschine zur Stoppel- und Bodenbearbeitung kann der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft reduziert werden.
Wie ist die Situation am Standort Novograd in der Ukraine ein Jahr nach Kriegsbeginn?
Ich stehe nach wie vor in regelmäßigem Kontakt mit den Kollegen vor Ort. Zwischenzeitlich konnte aufgrund von Stromausfällen nur nachts gearbeitet werden, mittlerweile läuft die Produktion wieder tagsüber. Trotzdem gibt es immer wieder Luftalarm, und mehrere Kollegen haben bereits Familienmitglieder durch den Krieg verloren. Die Versorgung mit Lebensmitteln vor Ort funktioniert zum Glück, und eines wird in meinen Gesprächen mit den Kollegen klar: Der Wille zum Weitermachen ist ungebrochen.
Der Wettbewerb um Arbeitskräfte wird hier in der Region immer größer. Wie geht die Firma Fricke damit um?
Die aktuelle Situation ist natürlich eine Herausforderung, aber wir haben auch viel zu bieten. Als wachsendes Unternehmen gibt es für Mitarbeiter viele Möglichkeiten mitzuwachsen, und so ist Fricke auch für die nächsten 100 Jahre ein attraktiver und zuverlässiger Arbeitgeber.
Sie haben es angesprochen, die Firma ist in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen. Wenn Sie heute zurückblicken – welche sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Faktoren für ein kontinuierliches und nachhaltiges Wachstum?
Ich denke, dass Beharrlichkeit für das Wachstum eine große Rolle gespielt hat – immer am Ball zu bleiben und an den Erfolg zu glauben. Ein gutes Team ist außerdem die Basis für eine erfolgreiche Weiterentwicklung – ohne die richtigen Leute ist so etwas nicht machbar. Nicht zuletzt ist es wichtig, zu erkennen, an welcher Stelle andere besser sind als man selbst. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, anderen zu vertrauen, Verantwortung abzugeben und mich gemeinsam mit ihnen am Erfolg zu erfreuen.