Neujahrsempfang der Sparkasse Harburg-Buxtehude: Hirnforscher Manfred Spitzer rechnet mit der Digitalisierung im Kindes- und Jugendalter ab.
Der Neujahrsempfang der Sparkasse Harburg-Buxtehude führt jedes Jahr im Januar mehr als 500 Gäste aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Kultur und Medien zusammen. Ein Event im Hotel Lindtner, der nicht verpasst werden sollte. Mit Professor Dr. Manfred Spitzer wurde dieses Mal ein Referent gefunden, der seine Zuhörer wie kaum ein anderer zuvor fesselte und sie eintauchen ließ in die spezielle Welt des menschlichen Gehirns. Gut, wer seins dabei hatte (was Spitzer gleich anfangs mal voraussetzte), denn an diesem Abend gab es ordentlich was zu lernen.
Wer es bis dahin nur geahnt hatte, der sah sich nun bestätigt: Der Einfluss der digitalen Welt vom Smart-phone bis zum PC auf die Entwicklung des menschlichen Gehirns ist auf einer Bandbreite von „katastrophal“ bis „nicht hilfreich“ anzusiedeln. Diese These vertritt Manfred Spitzer, Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Uniklinik Ulm und einer der führenden Hirnforscher im deutschsprachigen Raum. Er ist überzeugt: „Wir klicken uns das Gehirn weg.“ Kein Wunder also, dass sich Spitzer vehement gegen blauäugige Politiker stellt, die meinen, sie täten etwas Sinnvolles, wenn sie Schulklassen mit Laptops oder Tablets ausstatten.
Die erste Hälfte seines Vortrags widmete der Gast aus Ulm vor mehr als 600 Gästen der Sparkasse dem Gehirn selbst – den Zellen, ihrer Fähigkeit Synapsen zu bilden und auch wieder zu kappen, dem komplexen Zusammenspiel von „Rechenprozessen und Speicherung”. Klar ist: Ein Gehirn funktioniert grundlegend anders als ein Rechner, in dem Recheneinheit und Speicherplatz getrennt sind. Im Gehirn ist das anders – die 100 Milliarden ineinander verknäuelten Gehirnzellen rechnen und speichern gleichermaßen.
Kinder schützen!
Spitzer führte anhand von Studien und Forschungen aus, was nötig ist, damit sich das Gehirn ausbildet – in diesem Fall verdichtet, denn wachsen im Sinne von größer werden kann es ja nicht. Einfach gesagt: Das Anschauen von Bildern zählt nicht dazu. Synapsen, also Verbindungen von Zellen, bilden sich nur, wenn zum Schauen auch das Fühlen, das Riechen, das Schmecken, das Begreifen kommt. Kinder bereits im Kleinkinderalter vor ein Tablet oder ein Smartphone zu setzen, sei insofern verheerend für die Gehirnentwicklung, denn viele Dinge, die beispielsweise bis zum Alter von drei Jahren angelegt werden müssen, werden dadurch unterdrückt und lassen sich nie wieder nachholen. Dazu zählt beispielsweise die Bildung des Sprachzentrums.
Die inflationäre Ausbreitung von Smartphones und Rechnern bereits in den jungen Jahrgängen führt nach Ansicht des Forschers langfristig zu einer kollektiven Verblödung. Rechner machen nicht schlau, die dienen nur dem, der bereits schlau ist. Hinzu kommt: Menschen mit wenig Wissen/Synapsen sind deutlich anfälliger für die frühzeitige Erkrankung an Demenz und Alzheimer. Menschen, die stark ausgebildete, also stark verdichtete Gehirnstrukturen haben, können dagegen bis ins hohe Alter geistig fit und rege bleiben – auch wenn sie an Alzheimer erkranken. Denn: Erst wenn 75 Prozent des Gehirns zerstört sind, macht sich Demenz überhaupt bemerkbar. Bis dahin funktioniert noch alles bestens.
„Smombies“ im Anmarsch
Mit seinem Buch „Digitale Demenz“ hat sich Spitzer nicht nur Freunde gemacht. Seine Schlussfolgerungen stützen sich auf Hunderte von Studien. Er sagte: „Ich habe nicht eine einzige Studie gefunden, die belegt, dass Schüler in Laptop-Klassen bessere Leistungen erzielen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Leistung sinkt im Vergleich zu den Mitschülern ohne Rechner. Doch obwohl das bekannt ist, statten Politiker weiterhin Schulen mit Rechnern aus.“ Der Rechner-Hype sei Teil einer umfassenden Verdummungskampagne, an deren Spitze die weltgrößten Unternehmen kräftig mitmischten. Eine Folge: Junge Menschen in der Pubertät verlieren nach intensivem Rechnerkonsum beispielsweise über einschlägige Ballerspiele für Playstation, X-Box und Co. die Fähigkeit zur Willensbildung. Sie werden „Smombies“ genannt – Smartphone-abhängige willenlose Zombies“, übrigens das Jugendwort des Jahres 2015.
Die gute Nachricht: Erwachsenen schaden Rechner in der Regel nicht. Das beruhigte auch Heinz Lüers, Vorstandssprecher der Sparkasse Harburg-Buxtehude, der ankündigte, dass künftig alle Filialen mit WLAN ausgestattet werden sollen, um Kunden den Zugriff auf ihre Online-Banking-App zu ermöglichen. wb