Grelle Lichtfinger ragen in den Hittfelder Nachthimmel und künden weithin sichtbar davon, dass in der Burg Seevetal Zukunftsweisendes geschieht. Im Foyer des frisch renovierten Veranstaltungszentrums verteilen Kellner Sektgläser an die hereinströmenden Gäste. Etwa 300 Männer und Frauen – Persönlichkeiten aus Kreisen regionaler Wirtschaft und Politik – sind über einen weichen Läufer durch Blitzlichtgewitter gegangen. Die Gründungspreisverleihung der Wirtschaftsförderung im Landkreis Harburg (WLH) erinnert an die Vergabe der Oscars in Hollywood.
Das ist beabsichtigt. Die Botschaft: Der Landkreis rollt Existenzgründern den roten Teppich aus. 28 junge Unternehmen aus Handel, Handwerk und Dienstleistung haben sich um den Gründungspreis beworben. Mehr als 30 Sponsoren haben Preisgeld gestiftet und sich überdies bereitwillig der zeitraubenden Aufgabe der Bewertung gestellt. Die Entscheidungsfindung sei der Jury sehr schwer gefallen, sagt WLH-Geschäftsführer Wilfried Seyer. Deshalb werde diesmal nicht ein Preis vergeben, sondern es sind drei Preise – in den Kategorien „Land und Wirtschaft“, „Leben im Landkreis Harburg“ sowie „Forschung und Entwicklung“. Das Preisgeld sei von
10 000 auf 12 000 Euro aufgestockt worden. Seyer wie immer pragmatisch: „Das lässt sich auch viel besser durch drei teilen.“
„Pixelfräulein“ trifft „Yoga-Circus“
Noch weiß niemand, wer eine Trophäe, vom WLH-Chef Seyer liebevoll-respektlos „Bempel“ genannt, nebst Urkunde und Geld erhalten wird. Die Türen zum großen Saal sind noch geschlossen. Im Foyer herrscht Gedränge. Die Jungunternehmer präsentieren sich und ihre Firmen. Ihre kleinen Messestände sind dicht von Interessenten umlagert. „Entschuldigung, normalerweise kann ich unser Konzept viel flüssiger erklären. Aber heute . . .“, seufzt Tjorven Guderian. Gemeinsam mit ihrer Freundin Pamela Tinnemeyer firmiert sie als „Pixelfräulein“. Die beiden Inhaberinnen des Design-Kollektivs machen Werbung für Firmen und Privatleute: Grafik-Design, Webdesign und Social Media, alles aus einer Hand.
Céline Goldschalt steht Kopf. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Mitarbeiterin des „Yoga Circus“ führt mit ihrer Chefin, der Hebamme und Yogalehrerin Alexandra De Jong, dem staunenden Publikum akrobatisch anmutende Übungen vor. Die Idee hinter dem Buchholzer Unternehmen: eine Kombination indischer Lehre mit Betreuung werdender und frisch gebackener Mütter. Ein Café als Ort der Begegnung gibt es auch.
Einen sozialen Treffpunkt haben auch die Journalistinnen Michaela Seehof, Valerie Höhne und Susanne Walsleben in Jesteburg gegründet: Ihr Café Book bietet in gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre neben selbst gebackenen Kuchen auch Lesungen und Konzerte sowie von den Autoren selbst verlegte Bücher.
Bissfeste Schutzweste für Jagdhunde
Christian Peick produziert Schutzwesten für Jagdhunde. Die von seiner Firma „Out Dog“ maßgeschneiderten Anzüge bewahren die Tiere vor Stößen und Bissen durch Wildschweine. Peick, selbst Jäger, hat bereits eine schmerzhafte Wildsau-Attacke erlitten. Deshalb stellt sein Team nun auch bissfeste Bekleidung für Hundeführer her.
Die Gäste würden gern an weiteren Ständen verweilen, das Angebot von Tischler und Friseur, Chiropraktiker und Ingenieur, Zahntechniker und Online-Marketing-Spezialist und all den anderen prüfen. Aber jetzt ertönt ein Trommelwirbel und die Saaltüren öffnen sich zur Gala mit Lasershow, Musik, feierlichen Ansprachen. Selbst Bernd Althusmann, Niedersächischer Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit und Digitalisierung, meldet sich per Videobotschaft aus China zu Wort. Schließlich ist Harburg als Gründerhochburg weit über die Grenzen des Landkreises bekannt. Im bundesweiten Ranking liegt der Kreis unter 403 Regionen auf Platz 14 und damit zehn Plätze vor Hamburg.
Wie breit das Branchenspektrum der Gründungen ist, beweisen schon die für die Preise Nominierten des Wettbewerbs: Andrea Krecklow und ihr Mann Ingo stellen „Kerbex“ her, ein natürliches Insektenschutzmittel für Pferde und Hunde. Jessica Streich und Matthias Trimborn sind Gründer des Hanstedter Sportstudios „Aktiv&vital“. Nils Brinkmann und Boris Bollinger, die „Elbjungs“, vertreiben mit dem Warenwirtschaftssystem Jobtura eine umfassende Software für Verkauf und Verleih von Waren. Sie alle landen auf den zweiten Plätzen ihrer Kategorien.
Pferdeklinik, Hörakustik und Moleküldesign
Unter den Siegern ist die Tierärztin Dr. Anna Rötting, die sich mit Gründung der „Pferdeklinik Nindorf“ ihren Traum erfüllte. 660 vierbeinige Patienten haben sie und ihr Team innerhalb der vergangenen zehn Monate behandelt, davon 180 operiert. Marvin Schlichting und Sebastian Aschern bieten mit ihrem Buchholzer Hörakustik-Unternehmen „HörVergnügen“ beste Beratung und innovative Geräte. „Ferro CBM“ liefert computergestütztes Moleküldesign und misst die Elektronendichte. Das ist hilfreich für die Entwicklung neuer chemischer Substanzen. Dr. Noel Ferros Erklärungen begreift hier und heute wohl kaum jemand richtig. „Für mich ist das ein großer Spaß“, schließt der aus Kuba stammende Chemiker seine Ausführungen und erntet dafür großen Applaus. Denn Spaß haben alle hier im Saal. Von Martina Berliner
Web: www.wlh.eu