Direkt neben dem Airport der Hansestadt Bremen startet in Kürze die Fertigung der Oberstufe für die neue Trägerrakete Ariane 6.
Das Gebäude am Rand der Airport City in Bremen hat eine beeindruckende Größenordnung. Ein gutes Dutzend Tennisplätze ließe sich unter dem Hallendach unterbringen, das fünf Stockwerke hoch in den Himmel ragt. Aber es steht nur eine einzige Maschine in der Halle – etwa sechs Meter hoch, vier Meter breit, gut 40 Tonnen schwer. Kaum zu glauben, dass dieser Koloss für filigrane Arbeiten ausgelegt ist. „Wir arbeiten mit Toleranzen im Bereich von Zehntel-Millimetern“, sagt Ralf Schleith, der beim Raumfahrtunternehmen MT Aerospace in Augsburg und Bremen die Produktion der Tanks für die europäische Trägerrakete Ariane 5 leitet. Die Riesenhalle in Bremen ist sein jüngstes Betätigungsfeld: An der Maschine werden in Kürze die ersten Tanks für die Oberstufe der neuen Ariane 6 gefertigt, die in zwei Jahren das erste Mal ins All starten soll.
Mehr als 20 Jahre Erfahrung
Seit mehr als 20 Jahren werden in Bremen die Oberstufen für die Ariane-Trägerraketen hergestellt. „Im Fachjargon sprechen wir von Integration, weil hier Bauteile aus ganz Europa zu einem kompletten System zusammengefügt werden“, erläutert Schleith. Die Oberstufe ist Herz und Hirn jedes Launchers: Sie liefert nach dem erfolgreichen Start ins All den notwendigen Schub, die Satelliten an Bord auf die gewünschte Position im Orbit zu bringen.
Ein komplett neues System
Federführend ist die deutsch-französische ArianeGroup, die die Rakete im Auftrag der europäischen Weltraumagentur ESA entwickelt und baut. Ihr wichtigster deutscher Partner ist MT Aerospace mit Hauptsitz in Augsburg. Das Unternehmen gehört zu 70 Prozent der Bremer OHB Systems AG und zu 30 Prozent dem bayerischen Unternehmer Hans Steininger. Neben den Tanks und weiteren Metallstrukturen für die Haupt- und Oberstufe ist MT maßgeblich am Bau der Startanlage in Kourou in Französisch-Guayana beteiligt. Für die bislang gestarteten 100 Ariane 5 lieferte MT die Oberstufentanks vormontiert nach Bremen, künftig erfolgt die Endmontage in der Hansestadt. Trotz ihrer jahrzehntelangen Erfahrung können sich MT und ArianeGroup dabei nicht auf den seit 1996 erworbenen Lorbeeren ausruhen: „Die Ariane 6 ist ein komplett neues System. Und auch die Produktion ist völlig neu entwickelt worden“, betont Schleith.
Hohe Anforderungen
Erst vor knapp vier Jahren haben die Wirtschafts- und Forschungsminister der ESA-Mitgliedsländer die europäische Weltraumagentur mit dem Bau eines neuen Launcher beauftragt. Ihre Forderung: die Ariane 6 muss mindestens 40 Prozent billiger sein als die aktuelle Ariane 5; außerdem soll die Produktion von derzeit fünf auf mindestens elf Stück pro Jahr verdoppelt werden. Zudem übertrugen die ESA-Minister das wirtschaftliche Risiko für die Vermarktung der Rakete auf die Industrie und stellten lediglich die Abnahme von fünf Raketen pro Jahr zu einem Festpreis von 70 Millionen Euro pro Stück in Aussicht. „Das war schon ein sehr ambitionierter Auftrag“, meint Schleith: „Letztlich mussten wir die Rakete und den Fertigungsprozess praktisch parallel entwickeln – und das in einem sehr engen Zeitrahmen.“
Arbeiten Tür an Tür
Offenbar hat das Vorhaben geklappt – während im französischen Les Mureaux noch an der Fertigungsanlage für die Ariane-Hauptstufe gebaut wird, fahren MT und ArianeGroup die Oberstufen-Integration in der Hansestadt schon Schritt für Schritt hoch. Die beiden Partner arbeiten in der Airport-City Tür an Tür. Auf der einen Seite baut MT in der eigenen Halle die Wasser- und Sauerstofftanks zusammen und „schiebt“ sie dann zum Nachbarn ArianeGroup, der auf der anderen Seite das Finish wie die Isolierung und die Reinigung der Tanks vornimmt. Der Hallenkomplex wirkt zwar funkelnagelneu, ist tatsächlich aber ein Stück europäischer Raumfahrtgeschichte: „Er ist für den Bau der Ariane 5 ME gebaut worden, die ursprünglich als Nachfolgerin der heutigen Ariane 5 geplant war“, weiß Schleith. Die MT-Halle war mitsamt Maschinen bereits komplett eingerichtet, tatsächlich wurde dann aber nur ein einziger Tank als Prototyp gebaut. Bevor die Serienfertigung beginnen konnte, hatten die europäischen Raumfahrtpolitiker die 5-ME-Pläne verworfen und durch die Ariane 6 ersetzt.
(Von Wolfgang Heumer)