Das ist ja eine sensationelle Zeit . . .
Ja, ich war tatsächlich einer der letzten, die das Diplom abschließen durften. Das war 2013. Da gab es den Studiengang schon gar nicht mehr.
Vom Berliner Stadtmagazin „Tip“ wurden Sie 2010 auf den siebten Platz der „100 peinlichsten Berliner“ gewählt. Wo stehen Sie heute?
Man sieht mir ja schon an, dass ich keinen großen Wert auf Konsens lege. Meine Person hat immer eine gewisse Kontroversität. Vorteil: Ich muss ab Werk niemandem gefallen. Wenn man das gelernt hat, kann man auch leichter mal unangenehme Sachen sagen. Damals hatten wir eine Kolumne im „Tip“, die auf einmal unverständlicherweise gekündigt wurde. Die Redaktion wollte wohl einen Rundumschlag machen. So landete ich in den Top Ten der peinlichsten Berliner. Da bin ich vermutlich immer noch, aber im Ranking bin ich nur ein einziges Mal aufgetaucht.
Von Ihnen stammt der Satz: „Das Internet ist kaputt.“ Er stammt aus der Zeit vor dem Twittergewitter eines gewissen Herrn Trump, macht aber schon eine Tendenz deutlich. Haben wir es jetzt etwa mit Internet-Missbrauch zu tun? Und müssen wir uns darauf einstellen, dass Politik jenseits aller bisherigen Spielregeln künftig per Twitter und Co. läuft?
Ich möchte den Satz komplettieren. Er hieß: „Das Internet ist kaputt, die Idee der digitalen Vernetzung ist es nicht.“ Worauf ich damals anspielte, ein halbes Jahr nach dem Bekanntwerden der Spähsituation durch Edward Snowden, war die Situation, dass die große Dezentralität des Netzes, die wir über viele Jahre gefeiert hatten, von Anfang an unterminiert worden war. Da wurde versucht, Dinge zu kontrollieren – zum Beispiel Inhalte von beliebigen Privatpersonen. Es wurde damals eben deutlich, dass wir Grundwerte, für die über Jahrhunderte gekämpft wurde, im Netz auf eine andere Art und Weise aufrechterhalten müssen.
Es werden im Netz auf erschreckende Weise Werte verbrannt. Um das festzustellen, reicht ein Blick auf Facebook-Seiten von AFD-Organisationen. Allein das Lesen der Hasskommentare gegen die Bundeskanzlerin ist ernüchternd, zum Teil gruselig. Schaut man sich aber die Profile der Absender an, stellt man fest: Das sind häufig ganz normale Leute mit Familie, Gartenteich und Motorrad-
Hobby. Und nun die Rundumschläge von US-Präsident Donald Trump via
Twitter . . .
Weltpolitik findet via Twitter statt. Das ist schon ein paar Jahre so und eine Ebene, die für mich aus mehrfacher Hinsicht bedenklich ist. Ich bin ein großer Fan der sozialen Medien, aber was da geschieht, ist der direkte Kanal zwischen der Macht und dem Publikum. Und es scheint so, als ob es mittlerweile mehr Leute gibt, die dem Trump-Twitter-Kanal glauben als der „New York Times“. Da ist ein sehr großer Wert des 20. Jahrhunderts in Gefahr: das mediale Korrektiv der Macht.
Es ist ein Phänomen, dass Trumps Sprecher ganz offen Unwahrheiten verbreiten – und es wird ihnen trotzdem von der Trumpschen Wählerschaft geglaubt . . .
Mehrere Studien zeigen, dass die Form dieser Kommunikation anderen Zwecken dient als Information. Es werden Nachrichten verbreitet, die den Absendern ermöglichen, bei ihren Freunden gut dazustehen. Es sind Nachrichten, mit denen ein sozialer Kitt aufgebaut werden soll. Da ist es den Absendern völlig egal, ob die wahr sind oder nicht.
Aber den Empfängern offenbar auch . . .
Da findet nicht nur eine Emotionalisierung, sondern auch eine Perspektiv-Verschiebung statt. Und eine Entrelativierung. TV-Nachrichten in einer seriösen Sendung wie der „Tagesschau“ werden gewöhnlich in einen relativen Kontext gestellt – das fällt hier völlig weg. Die Mäßigung, die im 20. Jahrhundert die Nachrichten insgesamt gekennzeichnet hat, geht verloren. Stattdessen haben wir jetzt diese radikalen Online-Medien, die einen Ausschnitt als Ganzes darstellen können. In dieser eigenen Welt suchen viele Leute nicht mehr nach Erkenntnis der Wahrheit, sondern nach Bestätigung. Es ist ihnen völlig egal, ob das Gesehene wahr ist, Hauptsache, es passt in ihr Weltbild und unterstützt ihr Gefühl.
2017 ist ein Wahljahr. Denken Sie, dass bei uns in Deutschland auch etwas in dieser Richtung zu erwarten ist?
Klar, das passiert ja schon. Mich erstaunt beispielsweise immer wieder die unglaublich große Menge an Putin-Fans in Deutschland, die nicht merken, dass auf „Russia today“ zielgerichtete Propaganda stattfindet. Kurz: Wir haben noch nicht herausgefunden, wie man im digitalen Zeitalter Menschen adressieren kann, die so ein bisschen zwischen den Welten hängen. Wir erleben das Ende unserer Illusion von Gesellschaft. Wir haben das ganze 20. Jahrhundert über geglaubt, dass Demokratie eine gute Sache ist und die meisten Leute doch irgendwie eher vernünftig sind. Jetzt merken wir: Das ist nicht ganz falsch, aber ganz richtig ist es leider auch nicht. Vernunft ist ohnehin eine relative Sache. Demokratie lebt von einem demokratischen Grundverständnis der Gesellschaft. Wir sind da noch am Anfang, was die Wechselwirkung zwischen den sozialen Medien und der Gesellschaft angeht.
Ihre Prognose für die nächsten fünf bis zehn Jahre?
Ich bin für Deutschland verhalten optimistisch, weil die demokratischen Kräfte eher zusammenrücken. Aber wenn man sich Frankreich, Italien, Holland oder die Amerikaner anguckt – das hätte doch niemand gedacht. Ich denke, das reine rechtextremistische Potenzial in Deutschland ist geringer – auch als Folge der Sensibilisierung durch das Dritte Reich. Offenbar brauchen wir eine neue Strategie. Und die ist noch nicht gefunden.