75 Jahre Radiojodtherapie: Eine elegante Methode

Der Patient erhielt insgesamt vier Dosen I-131 und galt 1949 als geheilt. Die Krankengeschichte des Mr. B.B. sorgte für großes Aufsehen, sogar von „Wunderheilung“ war die Rede. Seidlin wurde in Titelgeschichten in den US-Medien gefeiert und verhalf der Radiojodtherapie zum Durchbruch.

In den 1940er Jahren galten alle Patienten mit metastasiertem Krebs als todgeweiht; die Heilung eines todkranken Tumorpatienten mit multiplen Metastasen  durch simples Trinken einiger Lösungen mit I-131 hatte tatsächlich etwas Magisches an sich.

Die neue Therapieform konnte sich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs aber nicht flächendeckend durchsetzen, weil kaum Isotope für zivile Nutzung produziert wurden. Die USA konzentrierten zu jener Zeit alle Ressourcen auf die militärische Nutzung der Nukleartechnologie; erst nach Ende des Krieges wurde I-131 in größeren Mengen auch für medizinische Zwecke verfügbar. Ab 1946 wurden in den USA innerhalb weniger Jahre hunderte Patienten mit Schilddrüsenüberfunktion und Schilddrüsenkrebs mit I-131 therapiert.

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In Deutschland begann die Radiojodtherapie im Jahr 1948: Professor Cuno Winkler behandelte in Aachen erfolgreich einen Patienten, der an einem metastasierenden Schilddrüsenkarzinom litt, mit I-131, das ihm vom britischen staatlichen Nuklearenergiezentrum in Harwell geliefert worden war. Seine Erfahrungen mit der radioaktiven Therapie veröffentlichte Winkler 1950 auf dem Internistenkongress in Wiesbaden.

Hancken Historie

1954 nahm Dr. Wilhelm Hancken die Methode auf

Dr. Wilhelm Hancken, der den Siegeszug der Radiojodtherapie in den USA und die Anfänge in Deutschland mit großem Interesse verfolgt hatte und in engem Erfahrungsaustausch mit dem Nuklearmediziner Prof. Wolfgang Horst vom UKE stand,  nahm 1954 die Behandlung von Schilddrüsenkranken mit radioaktivem Jod auf. Damals waren auch die ersten Ganzkörperscanner verfügbar, mit denen die Verteilung und Anreicherung des Radiopharmakon bildlich dargestellt werden konnte und den Ärzten auch die Diagnostik erleichterte.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden die nuklearmedizinischen Verfahren zur Entdeckung von Schilddrüsenerkrankungen ständig verbessert. Mit der Entdeckung von Technetium Tc-99m steht seit den 1960er-Jahren ein Radiopharmakon mit einer sehr kurzen Halbwertzeit für die Diagnostik von Schilddrüsenerkrankungen zur Verfügung. Computergesteuerte Aufnahmegeräte wie die Gamma-Kamera und die SPECT-Technik verschaffen den Ärzten präzise dreidimensionale Ansichten.

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Funktionsstörungen und Veränderungen der Schilddrüse waren damals wie heute weit verbreitet: In Deutschland, das wie die meisten mitteleuropäischen Länder zu den Jodmangelgebieten zählt, leidet etwa jeder Dritte – Frauen häufiger als Männer – an Erkrankungen der Schilddrüse. Mit steigender Tendenz: Zwar hat seit 1989 die Jodierung von Speisesalz die Versorgung der Bevölkerung etwas verbessert, doch durch die salzärmere Kost, die seit Jahren flächendeckend zur Bluthochdruckprophylaxe empfohlen wird, sinkt auch wieder die Jodzufuhr und damit steigt die Gefahr, dass Schilddrüsenerkrankungen wieder zunehmen. Etwa 40 Prozent der Funktionsstörungen und Veränderungen bleiben oft lange unentdeckt, weil die Symptome nicht beachtet oder falsch gedeutet werden, ermittelte die Deutsche Schilddrüsenliga, Dachorganisation der Selbsthilfegruppen von Schilddrüsenpatienten. Bluttest und Ultraschalluntersuchung können den Verdacht erhärten. Differenzierte Diagnosen bietet nur die Nuklearmedizin.