Das zweite Leben (m)einer Immobilie

Michael SeggewißMichael Seggewiß: „Die Kommunen gerade im Kehdinger Land können nicht mehr nur auf Wachstum setzen.“

Nachnutzung von Gewerbeobjekten ein Thema – Wirtschaftsförderer Michael Seggewiß über die Situation im Landkreis Stade.

Es ist kein VWL-Studium nötig, um zu erkennen, dass das „Wirtschaftsgut“ Boden nicht beliebig vermehrbar ist – im Gegenteil: Boden ist eine begrenzte Ressource. Und dennoch herrschte gerade in den dünn besiedelten Gegenden viele Jahre lang ein eher entspannter Umgang mit Flächen vor. Niedrige Preise und ein vermeintliches Überangebot führten zu einem beinahe sorglosen Umgang mit Boden. Doch das war gestern. Die ländlichen Kommunen erkennen heute zunehmend, dass die wahllose Ausweisung von Bauland und Gewerbegebieten nicht der Weisheit letzter Schluss ist – zum einen, weil Gewerbefläche nicht zwangsläufig für Gewerbe sorgt, zum anderen, weil die Abwanderung von Menschen in die Metropolen vielerorts einen Aderlass auf den Dörfern mit Themen wie Überalterung und Leerstand zur Folge hat. Die Zweitnutzung von Gewerbeimmobilien und Brachflächen bekommt auch durch diese Entwicklung einen neuen Stellenwert, sagt Michael Seggewiß, Wirtschaftsförderer im Landkreis Stade.

Obstbau versus Autobahn

Als in Hamburg vor gut zehn Jahren endgültig die Trassenplanung für die A26 festgelegt und mit den Obstbauern im Alten Land Grundstücksverhandlungen geführt wurden, ging es zum einen natürlich um Geld und Entschädigungen, zum anderen aber auch um Ersatzflächen. Grund: Wer sein Geld als Obstbauer verdiente, musste dafür sorgen, dass genügend Fläche vorhanden war. Und zwar nicht irgendeine Fläche, sondern möglichst eine, die an bereits vorhandene angrenzte und im Bodenwert adäquat war. Diese Diskussion wird heute wieder geführt – und zwar im Landkreis Stade. Dort geht es zum einen um die Fortführung der A26 von Stade Richtung Drochtersen, zum anderen um die A20, die von Drochtersen Richtung Bremervörde verlaufen soll. Wer die Geschichte der A26 kennt, weiß, dass Autobahnen nicht im Handstreich gebaut werden. Zwar soll Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, dem Vernehmen nach gesagt haben, ab 2025 werde der Verkehr fließen, aber das wird allgemein als eher sportliche Ansage gewertet.

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Für Michael Seggewiß steht fest: „Die Landwirte müssen Flächen hergeben. Und deshalb wird bereits heute im Kehdinger Land über die Nachnutzung von Flächen diskutiert.“ Aus Erfahrung weiß er, dass es von jeher eine Konkurrenz zwischen Obstbau und Gewerbe gibt. Hinzu kommt die Ausweisung von Wohngebieten. Seggewiß: „Der Obstbau gibt ungern Flächen ab. Die Betriebe müssen tendenziell eher größer werden, um rentabel arbeiten zu können.“ Betroffen sind Betriebe auf der Achse Drochtersen – Wischhafen – Freiburg. Hier wird sich die Diskussion vor allem um Flächenausgleich drehen. Der Wirtschaftsförderer ist sicher: „Die Nachnutzung brachliegender Flächen wird in den kommenden Jahren ein großes Thema – selbst im ländlichen Raum.“

Um die Nachnutzung von Brachflächen zu forcieren, plant die Politik Förderprogramme. Der Nachnutzungstrend, im Wohnungsbau bereits deutlich sichtbar, wird folglich auch den Gewerbebau und die Landwirtschaft erreichen, wobei letztere vor allem beim Thema Fläche betroffen ist.

Erhalt urbaner Qualität

Für das zweite Leben von Gewerbe-Immobilien gibt es im Stader Bereich bereits zahlreiche Beispiele. So setzte das Architekturbüro Frenzel und Frenzel gleich mehrere attraktive Akzente – beispielsweise mit der Umnutzung des ehemaligen Sitzes der Reederei NSB zum Hotel (Navigare) und mit dem Rathausquartier. Bauen im Bestand führt gerade im Zusammenhang mit dem Denkmalschutz zum Erhalt der urbanen Qualität von Standorten. In Jork wurde ein landwirtschaftlich genutztes Gebäude zur Edelbrennerei. In Stade sind beispielhaft das IHK-Seminargebäude, die Nachnutzung ehemaliger Norsk Hydro-Gebäude durch ADWEN Blades (Rotorfertigung), die Umnutzung der ehemaligen Kasernengebäude in Ottenbeck sowohl zu Wohn- als auch Gewerbezwecken sowie der Gasspeicher am Hafen zu nennen.

Seggewiß: „Es gibt jede Menge Beispiele und einen sich daraus ableitenden Trend zur Zweitnutzung. Die Kommunen gerade im Kehdinger Land können nicht mehr nur auf Wachstum setzen – da muss die Entwicklung einfach realistisch betrachtet werden.“ Die Zeichen stehen also auf Flächen- und Immobilienkonsolidierung. Nicht mehr Wachstum um jeden Preis steht auf der Agenda, sondern die sinnvolle Nutzung der Ressourcen und die Wahrung der Stabilität in den ländlichen Kommunen. wb

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