Rekordverdächtige sieben Azubis im Backhaus
Wedemann erzählen, warum sie sich für eine Ausbildung im Handwerk entschieden haben.
Nachwuchsmangel im Handwerk? Das gilt nicht für das Backhaus Wedemann. Im zweiten Corona-Jahr präsentierte eine sichtlich fröhliche Inhaberin sieben (!) junge Leute, die jetzt ihre Ausbildung in der Großbäckerei am Großmoorbogen in Harburg begonnen haben. Franziska Wedemann: „Unsere Branche ist nicht gerade mit einer üppigen Personaldecke gesegnet. Wir hatten hier im Unternehmen seit zehn Jahren keinen einzigen Bäcker-Lehrling mehr – und jetzt gleich zwei. Dazu noch fünf Azubis für die Konditorei und den Verkauf. Dass uns das gelungen ist, hat mich total überrascht. Wirklich unglaublich.“ Der ungewöhnliche Azubi-Coup geht auf das Konto von Danjana Hillert. Die Meckelfelderin übernahm Anfang 2020 das Personalwesen im Backhaus Wedemann (85 Mitarbeiter). Sie hat ein besonderes Faible für Ausbildung und setzte alle Hebel in Bewegung. Ergebnis: 30 Bewerbungen und am Ende eine aufgekratzte Schar von sieben angehenden Bäckern, Konditorinnen und Bäckereifachverkäuferinnen, die im B&P-Gespräch erzählen, warum sie sich für dieses Handwerk entschieden haben.
Wir sitzen unter einem Baum eingangs des Betriebsgeländes. Kaffee, Brötchen, Butterkuchen – alles steht bereit. Es ist der zweite Ausbildungstag für die Nachwuchsschar, die kurz darauf bestens gelaunt, laut miteinander sprechend und fröhlich um die Ecke kommt. Kaum im Dienst, schon ein Interview. Läuft im Backhaus Wedemann. Es geht um die Frage, warum sich junge Menschen in Zeiten von Social Media, Influencertum und Prime-Dauerbeschallung ausgerechnet für ein Handwerk entschieden haben, in dem gearbeitet wird, wenn andere Menschen ins Bett gehen oder wenigstens noch vier Stunden Restschlafzeit haben, bevor der Wecker klingelt. Zumindest für die angehenden Bäcker gelten herausfordernde Arbeitszeiten. Chillen geht jedenfalls anders.
Die sieben neuen „Wedemänner“ sind hochmotiviert und vorbereitet. Sie kommen teilweise von weit her – Jana Risch beispielsweise aus Bremen. Michael Schemtschuk aus Bergedorf. Vivien Jonuscheit aus Lüneburg. Und sie haben sich sehr schnell als Team gefunden. „Wir sind echt ne gute Truppe, verstehen uns super. Obwohl wir uns erst seit zwei Tagen kennen“, sagt Vivien Jonuscheit und trifft damit wohl den Nagel auf den Kopf.
„Wir sind echt ne gute Truppe“
Doch warum wollen sie Bäcker, Konditorrinnen und Verkäufer werden? Diese Frage geht an Michael Schemtschuk und Nils Linnow, die sich beide als „Nils und Michi“ bereits in der typischen Bäckerkluft ins Mehl gestürzt haben. „Um 3 Uhr aufzustehen ist natürlich nicht so toll, aber irgendwas muss man doch machen. Und ich finde: Bäcker ist ein geiler Beruf“, sagt Nils voller Überzeugung. Und sein „frischgebackener“ Azubi-Kollege Michi meint: „Mein Vater arbeitet auch im Handwerk – allerdings eher im Bereich Metall. Aber er hat mich bei meiner Berufswahl sehr unterstützt.“
Familiäre Einflüsse
Ganz anders die Geschichten bei den Azubi-Kolleginnen. Besonders die von Nour Mulhem (32), die 2015 aus Syrien nach Deutschland kam. „Ich hatte in Syrien studiert, als Lehrerin und Erzieherin gearbeitet. Später habe ich ein Restaurant geleitet. Zu Hause schaute ich immer gern beim Backen zu. Deshalb habe ich mich entschieden, jetzt noch mal eine Ausbildung zur Konditorin zu machen. Zwei Jahre lang habe ich nach einem Ausbildungsplatz gesucht.“ Familiäre Einflüsse gab es auch bei der angehenden Bäckereifachverkäuferin Eileen Marwinski: „Das ist bei uns Tradition. Meine Tanten in Cuxhaven sind auch Fachverkäuferinnen.“ Und ihre Verkaufskollegin Jana Risch sagt: „Meine Mutter arbeitet auch im Verkauf. Die ist immer gern zur Arbeit gegangen. Das ist mir wichtig.“
Alle sieben Wedemann-Auszubildenden, die jetzt ins Berufsleben gestartet sind, wurden über das Portal „Azubiyo“ gefunden, das Danjana Hillert einfach mal ausprobiert hat. Sie sagt: „Das ist wie Stepstone für Azubis.“ Dieser Weg der Nachwuchssuche erklärt auch das weite Einzugsgebiet und stellte die Personalverantwortliche vor zusätzliche Aufgaben. So musste eine Bleibe für Jana Risch gefunden werden, die ja nicht jeden Tag aus Bremen anreisen kann. Sie wohnt jetzt im nagelneuen und gemeinnützigen „Azubiwerk“ am Helmsweg in Harburg.
Und wie haben die Freunde auf den Sprung ins Handwerk reagiert? Kim Laarmann hat positive Rückmeldungen bekommen: „Die sagten alle: Das passt.“ Andere Freunde dachten gleich einen Schritt weiter: „Die haben gleich Bestellungen aufgegeben“, ruft Vivien in die Runde. Alle lachen. Und träumen bereits von der Zukunft. Michi und Nils wollen nach den drei Jahren Ausbildung zum Gesellen ihren Meister machen – „absolut“, sagen sie in vollem Drei-Uhr-
morgens-Bewusstsein. Vivien sagt: „Ich habe den Traum, ein eigenes Café zu eröffnen.“ Und Franziska Wedemann träumt als Unternehmerin davon, dass der eine oder andere dem Backhaus treu bleibt: „Wenigstens ein paar Jahre. Allerdings heißt es ja auch, die Gesellen sollen auf Wanderschaft gehen – und dann aber zurückkommen. Das ist der Plan.“
Geheimnis: Die richtige Ansprache
Thema Fachkräftemangel. „Wer sich darüber beklagt, der muss sich überlegen, wie man als Unternehmen auf junge Leute wirkt und wie man auf sie zugeht. Deshalb habe ich nach jemandem gesucht, dem ich das zutraue. Frau Hillert hat diese Aufgabe ganz hervorragend gelöst. Sie darf auf das Ergebnis wirklich stolz sein.“ Und: „Wenn wir heute nicht ausbilden, haben wir morgen keine Fachkräfte. Ich würde mich sehr freuen, wenn von unseren Azubis nach den drei Jahren wenigstens ein Teil im Unternehmen bliebe. Die Prognose für die jungen Leute ist gut: Wenn die Ausbildung erfolgreich absolviert wird, kann ich heute schon eine Übernahme anbieten.“
Danjana Hillert hat jetzt bereits das Ausbildungsjahr 2022 im Blick. Die Suche läuft, und schon bald werden die Starter von heute die Erfahrenen sein – die wissen, wie es im Betrieb läuft und wie es sich nach dem ersten Ausbildungsjahr im Traumberuf anfühlt.
Für Handwerksbetriebe, die noch zögerlich sind, haben Franziska Wedemann und Danjana Hillert gute Nachrichten parat: Die Ausbildungsprämie für die Unternehmen ist coronabedingt angehoben worden – ein zusätzlicher Anreiz für potenzielle Ausbildungsbetriebe, die noch zögern, wie beide finden. Bei Wedemann bekommen die einen Zuschuss zum HVV-Bonusticket. Danjana Hillert: „Und Papierkram haben die Azubis auch nicht mehr – die Berichtshefte werden jetzt digital geführt.“ wb
>> Web: www.backhaus-wedemann.de