Zum guten Ton gehört ein gutes Feuer

Matthias Rusch

Premiere – Matthias Rusch zeigt die ersten Riemchen.

Das alte Handwerk erfordert viel Fläche: Der Ringofen in Drochtersen misst 120 Meter im Oval. Er erinnert an die Röhrenbunker, die im Zweiten Weltkrieg gebaut wurden. Ein Erwachsener kann im Ofen gut stehen. Durch seitliche Zugänge wird der Ofen mit Rohlingen bestückt – geformten Ziegeln, die etwa sechs Tage lang getrocknet wurden und danach mannshoch gestapelt werden können. Allerdings nicht zu dicht beieinander, denn das Feuer wandert durch den Ring. Dazu werden die Seiteneingänge zugemauert. Über Öffnungen in der Decke wird Kohle in den Ofen geschüttet. Rusch: „Das Feuer ist wie ein Hund. Es geht immer dorthin, wo es gefüttert wird.“ Im abgekühlten Abschnitt des Rings werden die seitlichen Eingänge geöffnet und die fertigen Ziegel entnommen. Dann werden Rohlinge gestapelt – ein ständiger Ziegelproduktionskreislauf mit wanderndem Feuer, das über Öffnungen im Ofendach durch die dosierte Zugabe von Steinkohle gesteuert wird.

Struktur und Charakter

16 bis 18 Tage dauert es, bis aus den Rohlingen gebrannte Ziegel geworden sind. Bis zu 1000 Grad erreicht der Ofen an seinem heißesten Punkt. Rusch: „Da sind wir kurz vor der Schmelze.“ In dieser Phase erreicht der Stein seine Glasur. Je nach Lage im Ofen, sind die Farbe und der Brand unterschiedlich ausgeprägt. Die Steine werden anschließend von Hand entnommen, sortiert und auf Paletten gestapelt. Ziegel, die direkten Kontakt zur glühenden Steinkohle haben, kommen häufig mit gesinterten Einschlüssen ans Tageslicht. Puristen würden von Fehlbrand sprechen – tatsächlich verleihen diese Steine einer Fassade Struktur, Charakter und ein Gesicht.

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Mit zwei Millionen Steinen pro Jahr betreibt Rusch die kleinste aller noch verbliebenen traditionellen Ziegelwerke. „Andere machen 100 Millionen Ziegel pro Jahr“, sagt er. Auch er könnte sicherlich mehr produzieren, denn die Nachfrage ist groß, und die wirtschaftliche Perspektive seines Werks bezeichnet Rusch als sehr gut. 60 Prozent der Produktion geht in Neubauprojekte. Ein großer Teil wird aber auch speziell für Kirchensanierungen, Museumsbauten und Projekte verwendet, bei denen der Denkmalschutz eine Rolle spielt. Rusch ist der Spezialist für alle Fälle und liefert auch die berühmten Tauziegel, die sich beispielsweise in den Lüneburger Altstadtfassaden finden. So ein Stein kostet dann schon mal fünf Euro und ist nur in Handarbeit herzustellen.

Riemchen für Wilhelmsburg

Erstmals hat Rusch jetzt Riemchen produziert – flache gebrannte Verblender. Er sagt: „Der Auftrag umfasst eine halbe Million Stück und ist für die Sanierung von 2000 Wohnungen in Wilhelmsburg bestimmt. Dort wird der Baubestand energetisch auf Vordermann gebracht. Hamburgs Oberbaudirektor legte aber Wert darauf, dass die Fassade anschließend wieder der Ursprungsoptik entspricht. Das geschieht über eine Verblendung mit Riemchen. Zwei Jahre haben wir uns mit dem Thema befasst, Formen entwickelt und Testläufe gefahren – denn Riemchen gab es bei uns bislang nicht. Jetzt sind wir soweit: Der erste Lkw ist gestern Richtung Hamburg vom Hof gefahren.“ Das war Mitte August.

Das Beispiel zeigt: Die alte Hamburg-Connection funktioniert noch immer – der Ziegelwerk-Betreiber hat gut zu tun. Rusch: „Das Internet tut ein Übriges. Eigentlich arbeiten Ziegelwerke regional, aber wir haben mittlerweile Kunden in ganz Nordeuropa. Besonders stark vertreten sind die Schweden.“ Dazu die Zusatz-Info: Göteborg wurde von den Holländern gebaut – natürlich mit Backsteinen. Rusch: „Und die kommen jetzt so langsam in die Jahre. Vielerorts muss saniert werden. Die Steine liefern wir, denn in ganz Schweden gibt es keine einzige Ziegelei.“

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