Der Supermarkt der Zukunft

Kaufen ohne Kasse: Marktleiter Tomohiro Uchiyama demonstriert, wie Scanner und Tablet am Einkaufswagen zum Erstellen der Rechnung genutzt werden. Foto: Heumer

Im Supermarkt der Zukunft steuern 700 Kameras die Warenströme. Eine deutsche Discount-Kette will das in Japan entwickelte System möglicherweise schon im kommenden Jahr hierzulande erproben.

Auf den ersten Blick fallen die Kameras gar nicht auf. Im Abstand von knapp einem Meter hängen weiße Kästchen über den Gängen des „Super Center Trial Island City Store“ in der südjapanischen Hafenstadt Fukuoka. Weitere dieser etwa postkartengroßen Geräte sind an den Rückwänden der meisten Warenregale angebracht. Es handelt sich um etwa 600 einfache Smartphones aus chinesischer Produktion, die auf ihre Kamerafunktion beschränkt sind. Gemeinsam mit 100 weiteren hoch entwickelten und etliche Sensoren ergänzten Kameras halten sie den 3500 Quadratmeter großen Supermarkt im Blick. Die Kunden, die unter oder vor ihnen her gehen, interessieren sie nur in zweiter Linie. Denn die Kameras haben vor allem die Waren und die Bewegungen in dem derzeit modernsten japanischen Einkaufszentrum im Blick. Nicht etwa um Ladendiebe zu erwischen: Gemeinsam mit der Ladenkette Trial erprobt der Technologiekonzern Panasonic hier die Grundlagen für den Supermarkt der Zukunft, der eines Tages von Maschinen mit künstlicher Intelligenz anstelle des Personals auskommen soll.

Eine Decke voller Kameras: 700 Stück beobachten im Supermarkt der Zukunft die Kunden und den Warenbestand in den Regalen. Foto: Heumer

Während beispielsweise Amazon seine kassenfreien Zukunftsläden „amazon go“ mit einem komplizierten System aus Funksendern und -empfängern, Waagen und Bewegungsmeldern experimentiert, setzt Panasonic nach eigenen Angaben lieber auf bewährte Technologien: „Kameras und Bilderkennungssysteme gehören seit langem zu unseren Kernkompetenzen“, sagt Akihiro Miyazaki, der bei Panasonic das Supermarkt-Projekt leitet. Selbst ohne das aufwendige Kamerasystem gehört der im Januar 2018 eröffnete „Super Center Trial Island City Store“ inmitten eines hypermodernen Neubaugebietes zu der nächsten, wenn nicht sogar übernächsten Generation der Supermärkte. Knapp die Hälfte der rund 34.000 Kunden nutzt hier schon die Möglichkeiten des kassenlosen Einkaufs. Die Ware, die sie aus dem Regal nehmen, können sie mit Hilfe eines am Einkaufswagen angebrachten Tablets und Scanners registrieren. Vor dem Verlassen des Ladens rechnet der Kleincomputer am Wagen die Einkaufssumme aus, die dann von einer zuvor erworbenen Prepaid-Kundenkarte abgebucht wird. Derzeit überlasse man es dem Kunden, ob er lieber klassisch mit Bargeld an der Kasse oder modern direkt am Einkaufswagen zahlen will, sagt Markleiter Tomohiro Uchiyama. Doch dass Marktbetreiber Trial das elektronische System künftig mit Nachdruck vorantreiben will, liegt auf der Hand: „Die Kunden des kassenlosen Systems kaufen im Schnitt 16 Gegenstände ein, die traditionellen Kunden dagegen nur elf“, weiß der Marktleiter aus der Verkaufsstatistik.

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Erkennung der Kundenfrequenz

Den höheren Umsatz hat Trial der ersten Ausbaustufe des Panasonic-Systems zu verdanken. Die Kameras beobachten nicht die Kunden, sondern nur ihre Bewegungen und die Waren, die sie einkaufen. Anhand der Bewegungsmuster lässt sich schnell erkennen, wo Plätze mit besonderer Kundenfrequenz im Markt sind. „Dort können wir besondere Marketingaktionen starten“, erläutert Uchiyama. Weil die Kameras auch die Waren in den Regalen im Blick haben, registrieren sie punktgenau, welche Produkte häufig entnommen werden, was schlecht platziert wurde und deswegen schlecht verkauft wurde. „Das gibt uns die Möglichkeit, die Waren gezielt zu platzieren“, so Uchiyama.

Anonymisierte Bilder: Die Panasonic-Spezialkamera, die Projektleiter Akihiro Miyazaki in der Hand hält, erkennt zwar Alter und Geschlecht der Supermarktkunden, zeichnet ihre Bilder – wie auf dem Monitor sichtbar – nur anonymisiert auf. Foto: Heumer

Für die Kunden selbst interessiere sich das System nicht, versichert Panasonic-Projektleiter Miyazaki und zeigt auf einem Monitor ein Live-Bild aus dem Markt: Dort sind die Kunden nur als weiße Schemen zu erkennen. Panasonic hat die Bildauswertung aber mit einem System kombiniert, das im Ursprung für Kamerakontrollen an der japanischen Grenze entwickelt wurde: Die Software erkennt das Geschlecht der aufgenommenen Person und kann sogar mit relativ großer Treffsicherheit das Alter der Kunden schätzen. Diese Erkenntnisse verknüpft das System mit Informationen aus den Prepaid-Karten. Auf denen seien zwar keine persönlichen Daten der Kunden gespeichert, wohl aber wird das Kaufverhalten aufgezeichnet. In Sekundenbruchteilen verbindet das System die unterschiedlichen Informationen: Wenn eine der Regalkameras erkennt, dass ein Kunde vor den Bierdosen kurz stoppt, startet auf dem Bildschirm oben am Regal ein Werbespot oder ein Hinweis auf Sonderangebote für jenes Bier, das der Kunde seinen Einkaufsdaten zufolge favorisiert. „So können wir Kunden gezielt ansprechen, auch wenn wir sie gar nicht persönlich kennen.“

Vollautomatisches Bestellsystem

Das System ist aber nicht nur für die Kommunikation mit dem Kunden ausgelegt, sondern liefert auch Informationen für die internen Prozesse. Die Regalkameras erkennen, wann ein Produkt nur noch in geringer Stückzahl oder gar nicht mehr vorhanden ist – statt der aufwendigen Rundgänge durch das Geschäft reicht ein Blick auf den Monitor, um Ware nachzulegen. „Im nächsten Schritt werden wir die Kameradaten mit dem Warenwirtschaftssystem verbinden“, kündigt Miyazaki an. Ziel ist ein vollautomatisches Bestellsystem, in das Menschen nicht mehr einzugreifen brauchen. Über die Auswertung von Bewegungstrends lassen sich „schwarze Löcher“ im Supermarkt erkennen, in die sich Kunden nicht hineinbewegen. Und umgekehrt werden die besonders attraktiven Hotspots sichtbar. „Die können wir dann für sehr viel Geld an die Produkthersteller vermieten“, beschreibt Marktleiter Uchiyama eine Perspektive.

Nach eigenen Angaben verhandelt Panasonic bereits mit einem großen deutschen Discounter, um das System vielleicht schon im kommenden Jahr in einem deutschen Markt einzusetzen. Dass der strenge Datenschutz dies in Deutschland erheblich erschweren könnte, kann sich Miyazaki nicht vorstellen: „Die Bestimmungen sind in Japan ebenfalls sehr streng“, sagt er, „und schließlich werden die Personen ja auch auf den Bildern automatisch unkenntlich gemacht.“

Gezielte Werbung: Informationen aus dem Tablet am Einkaufswagen und den Kameras am Getränkeregal lassen sich blitzschnell für individuelle Kundeninformationen nutzen. Foto: Heumer

Roboter teilen Medikamente aus

Wenn man Panasonics sonstige Aktivitäten im Bereich von Robotic und künstlicher Intelligenz betrachtet, wird deutlich: Das Projekt in dem Supermarkt ist erst der Anfang von weitaus komplexeren Systemen. Bereits seit den 1960er Jahren entwickelt der japanische Konzern Roboter. In Kürze wollen die Japaner gemeinsam mit einer chinesischen Gastronomiekette in Peking ein Restaurant eröffnen, in dessen Küche und Service ausschließlich Roboter agieren. An 40 japanischen Krankenhäusern ist bereits der von Panasonic entwickelte Roboter „Hospi“ im Einsatz: Er verteilt völlig autonom Medikamente an die Patienten. Im Supermarkt der Zukunft könnten solche denkenden Maschinen die Regale auffüllen oder vielleicht als Verkäufer agieren – eine Schwester von „Hospi“ führt heute schon Besucher selbstständig durch die Panasonic-Zentrale in Osaka. Treibende Kraft dahinter ist laut Panasonic eine gesellschaftliche Entwicklung in Japan, die sich ähnlich auch in Deutschland abzeichnet. Der Altersdurchschnitt im Land der aufgehenden Sonne steigt, die Bevölkerungszahl sinkt. „Wir wollen mit solchen Projekten keine Arbeitskräfte überflüssig machen“, sagt einer der Roboter-Entwickler. „wir haben einfach keine Fachkräfte mehr.“

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(Text und Fotos: Wolfgang Heumer)