Herrenausstatter: Das Gefühl für gute Kleidung in den Genen

Herrenausstatter Claus von der Heide in seinem GeschäftHerrenausstatter Claus von der Heide in seinem Geschäft in Bremerhaven. Foto: Focke Strangmann

140 Jahre sind ein seltenes Firmenjubiläum. Denn traditionsreiche Einzelhandelsgeschäfte wie das des Herrenausstatters Claus von der Heide in Bremerhaven gehören zu einer Gattung, die in der Welt der Shops, Stores, Dealer und Retailer auszusterben droht.

Den Mantel ausziehen, schnell zusammen- und irgendwo ablegen. Der Bewegungsablauf ist in seiner Achtlosigkeit seit Jahren eingeübt. „Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?“ fragt Claus von der Heide sofort und eher rhetorisch, denn den Bügel hat er bereits in der Hand. Dass er eine Augenbraue um den Bruchteil eines Millimeters hochzieht, ist keine Missbilligung, sondern Zeichen ehrlichen Erstaunens: Wie kann man ein Kleidungsstück so geringschätzig behandeln? „Ich bin Herrenkonfektionär“, sagt der 70-Jährige mit tiefsitzender Selbstverständlichkeit.

Gute Kleidung ist ein Wert für sich, genauso wie der höflich-korrekt und unaufdringlich-freundliche Umgang eines Verkäufers mit dem Kunden. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Werte tief in den Genen des Bremerhavener Geschäftsmannes stecken: Immerhin führt von der Heide in vierter Generation sein Geschäft für Herrenbekleidung, das mit 140 Jahren zu den zehn ältesten Handelsunternehmen in der 1827 gegründeten Hafenstadt gehört.

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Eine bedrohte Gattung

„Herrenausstatter“ – das Wort gehört auf die rote Liste der schützenswerten deutschen Begriffe. Warum es vom Aussterben bedroht ist, ist in nahezu jeder Fußgängerzone zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen zu sehen. Inhabergeführte Fachgeschäfte? Mangelware! Familienbetriebe, deren Kompetenz von Generation zu Generation vererbt wurde? Fast vollständig verschwunden! Ersetzt, wenn nicht sogar verdrängt, durch große Ketten, bunte Boutiquen, Stores, Dealer, Shops und Retailer.

Das Geschäft von Claus von der Heide fällt in dieser schrillen Kulisse eher durch seine zurückhaltende Optik auf. Dass er dem Zeitgeist folgend mittlerweile auch ein paar Angebote auf Tischen im vorderen Bereich des Geschäftes präsentiert, wurmt den Geschäftsinhaber im Moment besonders: „Gestern haben sie mir da einen ganzen Stapel Markenhemden geklaut“, entrüstet er sich. Es ist nicht der finanzielle Verlust, der ihn ärgert, sondern die Dreistigkeit und die geringe Chance, sich dagegen zu schützen: „Einfach unter den Arm geklemmt und abgehauen“, entrüstet er sich, „was wollen Sie dagegen machen?“

1878 in Geestemünde eröffnet

​Es ist nicht überliefert, ob es solche Vorfälle auch gegeben hat, als von der Heides Urgroßvater Johann Heinrich Meyer das Geschäft am 1. Oktober 1878 im heutigen Bremerhavener Stadtteil Geestemünde gründete. „Von der Heide“ heißt das Unternehmen seit 1924, als der Schwiegersohn des Gründers und Großvater des heutigen Inhabers das Geschäft übernahm. Opa und Enkel verbindet nicht nur der gleiche Vorname. „Auch äußerlich gibt es eine gewisse Ähnlichkeit“, lacht Claus von der Heide und zeigt auf das Bild eines älteren Herren mit wenigen Haaren in seinem Büro. Ganz offensichtlich hat der Großvater mit Weitblick, aber behutsam die Weichen dafür gestellt, dass Claus von der Heide 1971 zunächst als Angestellter in das inzwischen von seinem Vater Werner übernommene Geschäft eintrat und ab 1980 die Familientradition selbstständig fortsetzte.

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Herren- und Knabenbekleidung

​Großvater Claus hatte das Angebot in den 1930er Jahren auf „Herren- und Knabenbekleidung“ ausgeweitet; ab 1950 symbolisierte dies ein Logo, auf dem ein gut gekleideter Mann einen ebenfalls korrekt angezogenen Jungen an der Hand hält. „Mein Großvater hat immer gesagt, dass wir beide das sind – Opa und Enkel“, erinnert sich von der Heide. Das hat die berufliche Richtung bestimmt, noch mehr prägte ihn aber wohl die Bedingung, die der Großvater an das regelmäßige Taschengeld knüpfte: „Ich habe in einem Oktavheft genau notiert, was ich bekommen und was ich ausgegeben habe“, erinnert sich von der Heide.

Tugenden eines ehrbaren Kaufmanns

In diesem Zusammenhang fließt mit den Tugenden eines „ehrbaren Kaufmanns“ ein weiterer Begriff aus der Kategorie „schützenswert“ ins Gespräch ein, der kennzeichnend für die Atmosphäre in dem Geschäft ist. Vertrauen und Verlässlichkeit schweben unausgesprochen zwischen den Regalen und Stellagen. Weder der Inhaber noch seine fünf Angestellten, die von der Heide Kollegen nennt, begrüßen die Kunden mit lautem oder schnellen Hallo. „Wir warten immer ein bisschen ab, bis zu erkennen ist, ob der Kunde angesprochen werden möchte“, sagt Verkäuferin Sabine Ditzen-Blanke.

Gute Kleidung ist eine Investition

Die richtige Beratung ist das A und O: das passende Kleidungsstück zum jeweiligen Anlass, der korrekte Sitz, die richtige modische Entscheidung – gute Kleidung ist eine Investition. Wer etwas Falsches „angedreht“ bekommt, kommt als Kunde nicht wieder. Die Beratung beim Bremerhavener Herrenausstatter kann nicht schlecht sein: Im Geschäft von Claus von der Heide ist es selten leer.

„Herrenausstatter“ klingt nach teuer, ist es aber nicht. „Wir bewegen uns in einem guten mittleren Segment mit einem ausgewogenen Preis-Leistungs-Verhältnis“, beschreibt es der Inhaber. Den Einkauf der Kollektionen überlässt er gerne dem Fingerspitzengefühl seiner Kollegin Ditzen-Blanke. Sie schaut sich an, was die Hersteller anbieten, vergleicht es mit ihren eigenen Eindrücken und Informationen über die kommenden Moden, lässt schließlich die jüngsten Verkaufserfahrungen Revue passieren: „Wenn mir ein Vertreter einen Pullover als gefragten Verkaufsschlager anpreist, winke ich meistens ab“, betont sie. Massenware ist eher etwas für Stores und Shops.

Kein bisschen angestaubt

​Sein Sortiment als konservativ zu bezeichnen, irritiert von der Heide allerdings für einen Moment. Schließlich trägt er selbst und mit Überzeugung, was er im Geschäft anbietet. Als „Herrenkonfektionär“ ist man schließlich Vorbild – nicht nur, was den Umgang mit Mänteln angeht. Zum klassischen Sakko hat von der Heide heute legere Jeans kombiniert. „Sie meinen doch nicht etwa verstaubt?“ kontert er. Für die Antwort „Nein“ reicht ein kurzer Blick auf seine eleganten braunen Lederschuhe – sie sind mit neonblauen Senkeln geschnürt. (heu)

Web: https://www.vdh-bremerhaven.de