Strategieberater Wulf Schlachter über vernetzte Maschinen, die Fabrik von morgen und die Erkenntnisse einer Businessreise durch Asien.
Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten Manufakturen Konkurrenz durch die aufkommende Massenfertigung bekamen, konnte sich noch niemand so recht ausmalen, wie Industrie 1.0 die Welt verändern würde. Mittlerweile ist Industrie 4.0 erreicht – und die Vorstellungen über das Machbare sind ebenso diffus wie damals. Ein Beispiel: Ein deutscher Hersteller holt die Produktion aus den Billiglohnländern zurück nach Deutschland, möchte aber dennoch kurze Wege zum Kunden, denn im Zeitalter von Amazon & Co. haben sich die Menschen daran gewöhnt, dass die im Internet bestellte Ware am nächsten Tag geliefert wird. Wie soll das funktionieren, wenn der Besteller in Südamerika lebt? Mit Fragen wie diesen befasst sich Wulf Schlachter, Digitalisierungsexperte aus Buxtehude und Inhaber von DXBe Management- und Strategieberatung. Er hat soeben eine Asienreise durch fünf Länder – China, Hongkong, Taiwan, Südkorea und Katar – absolviert und dort Kunden besucht, von denen sich einige bereits auch mit der digitalen Fabrik von morgen auseinandersetzen.
Schlachter: „Meine aktuell umtriebigsten Kunden kommen vornehmlich vor allem aus den Bereichen des produzierenden Gewerbes, Automotive, Maschinenbau, Logistik und Bekleidungsindustrie. Thematisch ging es durchweg um Themen wie Vernetzung von Maschinen, Entwicklung und Cyber-Sicherheit – hier die Abwehr von kompromittierenden Sensoren zur heimlichen Datensammlung oder gar Selbstzerstörung von Hardware. Eine zentrale Frage lautet jedoch stets: Wie bekomme ich die Produktion näher an die Endkunden. Dahinter steckt der Gedanke, die Produktion zentral zu steuern, die tatsächliche Fertigung aber dezentral dorthin zu bringen, wo die Produkte oder Teile gerade gebraucht werden. Denn das garantiert kurze Lieferwege – also geringere Transportkosten und besseren Lieferservice vor Ort.“
Heute bestellt, morgen da
Und: „Entsteht in einem Land wie zurzeit ein Lauf- und Bewegungs-Boom, dann müssen beispielsweise Laufschuhe oder Bekleidung möglichst auch dort produziert werden. Die automatisierten Produktionseinheiten können in irgendeiner Lagerhalle stehen, und die Ware kann sofort auf den logistischen Weg zum Kunden gebracht werden. Auch eine noch stärkere Personalisierung der Ware ist weiterhin im Trend. Heute bestellt, morgen da – mit genau der Farbe oder dem eigenentwickelten Design.“ Welche Auswirkungen solche Modelle beispielsweise auf das weltweite Reedereigeschäft haben werden, ist noch völlig offen. Mit Adidas ist ein deutsches Unternehmen bereits große Schritte in diese Richtung gegangen. Jetzt hat sich das Traditionsunternehmen mit Siemens zusammengetan, um „die Produktion zu individualisieren, zu beschleunigen und transparenter zu gestalten“, wie die Fachzeitschrift CIO meldet. Im Kern gehe es um die Digitalisierung und Automatisierung in der „Speedfactory“. Wo so eine Roboterfertigung am Ende individuell gestaltete Laufschuhe ausspuckt, ist ganz egal – gesteuert wird zentral. Siemens ist demnach als Partner für digitale Fabrikautomatisierung und Simulation gefragt.
Schlachter kennt diese Beispiele und trifft auf entsprechende Anfragen bei seinen Kunden. Während viele Unternehmen in Deutschland noch grübeln, was Digitalisierung eigentlich tatsächlich bedeutet, sprechen die Chinesen bereits über Künstliche Intelligenz (KI), selbstlernende Systeme und Robotik im großen Stil. Schlachter: „Die chinesische Regierung hat 150 Milliarden Dollar bewilligt, um Entwicklungen im KI-Bereich voranzutreiben. Milliarden, nicht Millionen! Ich denke, das ist durchaus ein Anlass für die deutsche Wirtschaft, sich ernsthaft Gedanken oder auch Sorgen zu machen. Die Chinesen sind auf diesem Gebiet gerade extrem auf Recherche- und Einkaufstour. Sie verfolgen das Ziel, in China eine Art Silicon Valley für Künstliche Intelligenz zu schaffen.“
Ein weiteres Thema, mit dem sich Schlachter auf seiner Asien-Tour befasste: predictive analytics – Produktion auf Grund von optimierten Prognosedaten. Oder einfach ausgedrückt: Wie produziere ich heute das, was du morgen bestellen wirst? Dies sei ein Thema, an dem auch Amazon, Alibaba, Google, Zalando, aber natürlich auch Facebook dran sind. Eine Form der modernen Trendforschung.