„. . . früher war ich schüchtern

Foto: Wolfgang BeckerRunder Tisch für die Nachwuchswerbung: Die Süderelbe AG hatte zum Crowd-Funding nach Buchholz eingeladen, um Geld für die Talentschmiede U20 zu sammeln.

Wider den Nachwuchsmangel: Süderelbe AG wirbt für die Talentschmiede U20 im Landkreis Harburg.

Schüler, die null Bock und kaum Vorstellungen von der Berufswelt ha-ben; Eltern, die glauben, ihre Kinder seien zu Höherem berufen; ein durchlässiges Schulsystem, das Schüler auf verschiedenen Wegen den Weg bis zum Abitur ebnet – es gibt viele Gründe, warum es immer schwieriger wird, traditionelle Lehrstellen zu besetzen. In der Folge haben viele Berufssparten mittlerweile akute Probleme, den Nachwuchs fürs Unternehmen sicherzustellen. Bundesweit blieben auch in diesem Jahr Tausende Lehrstellen unbesetzt – während zugleich auch eine ganze Reihe von Schulabgängern mangels Befähigung leer ausging. Um diese jungen Menschen kümmert sich die Talentschmiede U20 im Landkreis Harburg, die unter Regie der Süderelbe AG 2014 ihre Arbeit aufnahm. Nachdem der Start über die Anschubfinanzierung durch den Landkreis und den Europäischen Sozialfonds abgesichert war, ist nun die Wirtschaft aufgerufen, sich daran zu beteiligen, vermeintlich chancenlose Jugendliche in die Spur zu bringen.

In den Räumen des Buchholzer Unternehmens Terra fanden sich jetzt rund 30 Akteure und Unternehmer ein, denen das Thema wichtig ist. Ziel von Projektleiter Dr. Oliver Brandt: Sponsoren finden, um die Talentschmiede weiterführen zu können. Konkret geht es dabei um Schüler, die z. B. Probleme haben, einen Hauptschulabschluss zu schaffen. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein, aber unter dem Strich gibt es in der Gruppe der vermeintlich Chancenlosen Jugendliche, die sich motivieren lassen. Dabei hilft die Talentschmiede, die unter anderem ehrenamtliche Mentoren aus der Wirtschaft vermittelt, Filmprojekte durchführt und gruppendynamische Wochenenden zu unterschiedlichen Themen anbietet. Initiator der Talentschmiede ist Andreas Buß, ehemaliges Vorstandsmitglied der Laurens Spethmann Holding und dort Begründer der firmeneigenen Ausbildungsgesellschaft. Seine Frage: „Wie können wir früher an die Hauptschüler herankommen?“ Oft sei der Zug bereits abgefahren, wenn die jungen Leute kurz vor dem Abschluss stehen. Die Unterstützung müsse früher ansetzen.

Von den 30 Teilnehmern im zurückliegenden Jahr haben zwar vier nicht durchgehalten, wie Brandt ausführte, aber es sei gelungen, sieben junge Leute direkt in eine Ausbildungsstelle zu begleiten. Einen hatte er mitgebracht: Maurice. Der erlernt jetzt den Beruf des Zerspaners beim Hamburger Unternehmen Still (Gabelstapler). Sein Kommentar: „Die Talentschmiede hat mir sehr geholfen. Früher war ich schüchtern, dann wurde ich immer selbstbewusster.“ Unter 1200 Bewerbungen schaffte es Maurice in die Gruppe der 30 Still-Azubis und ist nun begeistert dabei, einen Beruf zu erlernen. Die Talentschmiede arbeitet mit acht Schulen im Landkreis zusammen, darunter die IGS Buchholz. Fünf Schüler wurden gemeldet, drei haben jetzt eine Lehrstelle.

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Wirtschaft: Es gibt zu wenig Bewerber

Aus der Wirtschaft wurde gleich mehrfach geschildert, wie sich die Azubi-Suche heute darstellt. Holger Grundt (Lackiererei und Der Beschrifter) aus Buchholz: „Die Zahl der Bewerber sinkt. Und die Qualität der Bewerbungen ebenfalls.“ Jan Bauer von den Buchholzer Stadtwerken bestätigte den Trend. Aber es sei gelungen, über die Talentschmiede einen Auszubildenden zu finden, der nun den Beruf des Fachangestellten für Bädertechnik erlernt. Frauke Petersen-Hanson (McDonald’s) berichtete, dass viele Bewerber beim Auswahlverfahren durchfielen. Andreas Baier, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft vermeldete dagegen einen Rekord an abgeschlossenen Ausbildungsverträgen (mehr als 400), sagte aber auch: „Es könnte gern mehr Bewerber geben.“

Inge Schlote, Bereichsleiterin Berufsausbildung bei der Agentur für Arbeit: „Im Landkreis Harburg suchen noch 300 Schüler eine Lehrstelle.“ Doch die stehen in einem Konflikt: Die Agentur rät zur Ausbildung, die Eltern raten zur Weiterführung der Schule, und die Schulen raten zu bleiben. Das hieße: Die Durchlässigkeit des Schulsystems sorgt zugleich für sinkende Bewerberzahlen. Ein weiterer Aspekt: Wer sich für eine Ausbildung entscheidet, richtet sein Augenmerk dabei häufig auf große Hamburger Unternehmen.

Kabel an die Wände nageln . . .

In dieser arbeits- und schulpolitischen sowie familiären Gemengelage treffen Unternehmer in der Regel auf Bewerber, die wenig Kenntnisse über das Berufsleben haben. Elektriker nageln eben Kabel an die Wände – das war’s. Dasselbe gilt offenbar auch für viele Eltern. Mirja Köhnke vom gleichnamigen Autohaus in Buchholz: „Ich hatte jetzt drei Bewerbungsgespräche, die so ganz anders abliefen. Nicht die Schüler bewarben sich, sondern ich saß bei den Eltern, und bewarb mich um einen noch minderjährigen Auszubildenden. Ich musste Überzeugungsarbeit leisten, warum eine Ausbildung bei uns attraktiv ist.“

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Im ersten Jahr kostete die Talentschmiede 270 000 Euro. Ziel ist es, die Kosten schrittweise zu reduzieren. Der Landkreis hat bereits signalisiert, dass er sich weiterhin beteiligt, wenn ein substantieller Beitrag von der Wirtschaft kommt. Heinz Lüers, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Harburg-Buxtehude: „Wir als Sparkasse sind dabei. Das ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe.“ Wer 5000 Euro einbringt, wird „Goldsponsor“ (3000 Euro Silbersponsor, 2000 Euro Bronzesponsor). Es gibt Überlegungen, die Talentschmiede als Verein aufzustellen, dann wäre der Betrag sogar steuerlich absetzbar. wb

Web: www.talente-harburg.de