Bürgerdialog: So erfährt die Hansestadt Stade, was ihre Bewohner wirklich wollen

Foto: einEr hat den Bürgerdialog Stade entwickelt: Professor Dr. Julian Voss von der PFH Göttingen. Foto: ein

Gespräch mit Professor Dr. Julian Voss (PFH Göttingen), Entwickler des Stader Befragungsmodells

Schwache Wahlbeteiligungen; eine nachwachsende Generation, die zwar täglich in den virtuellen Krieg zieht, aber nicht weiß, wie die Oberbefehlshaberin der Bundeswehr heißt; das Pegida-Phänomen; das inflationäre Entstehen von lokalen Initiativen – es gibt viele Gründe, mit dem Bürger in den Dialog zu treten. Die alten Wege in der deutschen Parteiendemokratie funktionieren nur noch bedingt, wenn es darum geht, Volkes Wille zu erfassen. Wie das trotzdem gelingen kann, machen mittlerweile Städte wie Hannover, Magdeburg und Braunschweig beispielhaft vor. Auch die Hansestadt Stade ist am Ball, wie die Premiere des Bürgerdialogs unter Federführung der PFH Göttingen belegt. Die Privatuniversität, die im CFK Valley Stade den HanseCampus betreibt, tritt dabei als Dienstleister im Auftrag der Stadt und auf Initiative des Stadtrats und der Wirtschaftsförderung auf.

Das Konzept für den Bürgerdialog Stade hat Professor Dr. Julian Voss geschrieben. Er bezeichnet sich selbst als „Marktforscher durch und durch“. Der Plan: Drei bis vier Mal pro Jahr will die Hansestadt ihre Bürger gezielt zu bestimmten Themen befragen – und zwar über die punktuelle Betroffenheit Einzelner hinaus. Grund: Der klassische Weg, beispielsweise durch Bürgerinitiativen genutzt, hat in der Regel keinen repräsentativen Charakter. Genau hier setzt der Bürgerdialog an.

Im Rahmen des von Voss entwickelten Modells sollen 750 bis 1.000 Bürger zu Wort kommen. Zu jedem Thema gibt es einen speziell entwickelten Fragebogen, dessen Beantwortung zwischen 15 und 20 Minuten dauert. Voss: „Alles darüber hinaus macht es schwierig.“ Gestartet wurde mit dem Thema Mobilität. Die Auswertung der Ergebnisse dauert noch an. Weitere potenzielle Themen: Stadtentwicklung, Wohnen, Energie, Sicherheit, Migration oder auch Kaufverhalten und soziodemographische Aspekte. Ziel der ersten Umfrage war es, Informationen über das Mobilitätsverhalten der Stader zu bekommen.

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Voss: „Wir haben knapp 750 Rückmeldungen erhalten. Das ist ein sehr guter Wert. Für den Start hatten wir als Minimum 500 vorgegeben.“ Eigene Antworten müssen sich die Teilnehmer nicht ausdenken, es geht überwiegend um Bewertungsskalen mit vorgegebenen Aussagen. Beim Start wurden zunächst die Stammdaten der Antwortgeber erfasst. So ist es später möglich, Zielgruppen einzugrenzen (zum Beispiel die unter 40-Jährigen). Die Fragebögen können im Internet ausgefüllt werden. Außerdem wurde im Rathaus Stade eine mobile Befragungsstation eingerichtet. Wer den Online-Weg nicht gehen möchte, kann den Fragebogen dort zudem in Papierform anfordern. Zusätzlich wird eine gewisse Zahl von Bürgern per Zufallsprinzip aus dem Melderegister ausgewählt und zur Teilnahme eingeladen. Und drittens: Nach dem ersten Durchlauf soll nun analysiert werden, ob bestimmte Bevölkerungsgruppen unterrepräsentiert sind. Diese würden dann gesondert eingeladen.

Projektleiter Voss: „Wir müssen natürlich spannende Themen finden. Was interessiert und bewegt die Bürger wirklich – das ist die Frage.“ Dies geschieht in enger Abstimmung mit der Stadt, die sich Erkenntnisse erhofft und diese dann in politische Entscheidungen einfließen lassen will. Voss: „Wichtig ist nicht nur die Befragung, sondern auch die anschließende Kommunikation der Ergebnisse und deren Berücksichtigung bei Entscheidungen.“ Ein Thema, das ihn persönlich reizt: „Wir könnten zum Beispiel gezielt Einpendler befragen, die in Stade arbeiten, aber beispielsweise in Hamburg wohnen. Warum ziehen sie nicht nach Stade – das könnte interessante Antworten ergeben.“

Prof. Dr. Julian Voss (33) hat eine halbe Professorenstelle für Food- und Agribusiness Management, Innovative und Angewandte Marktforschung bei der PFH Private Hochschule Göttingen. Der Bürgerdialog Stade ist für ihn auch ein Modell, das sich in anderen Städten installieren ließe. Die Pflege durch Mitarbeiter der PFH ist aus seiner Sicht ein Vorteil: „So ist die größtmögliche Neutralität gewährleistet.“ In seinem zweiten Berufsfeld ist Voss Unternehmensberater und Inhaber einer Firma, die weltweit in der Agrarwirtschaft tätig ist.

www.pfh.de, https://buergerdialog-stade.pfh.de

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