Der Olympische Kater

Hamburg hat ausgeträumt – Ein Beitrag zur Ursachenforschung.

  • Was lief schief?
  • Wer hat Schuld?
  • War es das jetzt?

The day after tut immer weh. Vor allem, wenn sich ein milliardenschweres Projekt mit großem Entwicklungspotenzial für eine ganze Region auf einen Schlag in Luft auflöst. Das niederschmetternde Ergebnis des Hamburger Olympia-Referendums war am Tag danach noch nicht verdaut. Es scheint, als sei eine Art Schockstarre eingetreten. Ja, auch Rom hätte den Zuschlag bekommen können, Paris oder Los Angeles. Aber das wäre wenigstens eine sportliche Niederlage gewesen und kein Schlag in die Magengrube. Die stereotypen Kommentare der Befürworter beispielsweise aus Handwerks- und Handelskammer wirken vor diesem Hintergrund fast trotzig. Doch was führte am Ende wirklich dazu, dass der Hamburger Traum von Olympia ausgerechnet von denen abgeschossen wurde, deren Begeisterung eigentlich hätte gesetzt sein sollen? Von den Bürgern dieser Stadt?

Die Ursachenforschung läuft auf Hochtouren. Wobei: Eigentlich ist es jetzt aus egal, denn noch so eine Chance dürfte es auf absehbare Zeit kaum wieder geben. Wenn schon Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, persönliche Konsequenzen nicht mehr ausschließt, wie der NDR am Tag danach berichtet, dann zeigt das die Tragweite der Hamburger Entscheidung auf. Hier haben nicht nur die Bürger einer Stadt Nein zu einem sportlichen Großereignis gesagt – sie haben für ganz Deutschland entschieden. Oder besser: gegen ganz Deutschland, wenn die Zahlen stimmen, die Hörmann unlängst beim Wirtschaftsverein für den Hamburger Süden präsentierte.

Frage eins: Wer sind „sie“?

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Es sind etwas mehr als die Hälfte derer, die abgestimmt haben. Abgestimmt haben etwa die Hälfte derer, die abstimmen durften. Im Ergebnis heißt das: 25 Prozent der Wahlberechtigten haben entschieden, dass Hamburg das Bewerbungsverfahren – übrigens das zweite – abbricht. Das sind die demokratischen Spielregeln.

Frage zwei: Warum haben die Gegner Nein gesagt?

Diese Frage wird in den Foren der Sozialen Medien hin- und hergeworfen. Die Lage ist diffus. Und die genannten Gründe sind vielfältig: Paris (Angst vor Anschlägen), Elbphilharmonie (Hamburg kann nicht planen), Angst vor Schulden (fehlende Zusage des Bundes), Angst vor Gentrifizierung (Vertreibung ärmerer Bevölkerungsschichten aus ihren Wohngebieten), Misstrauen (Fifa-Skandal). Am Ende dürfte es den üblichen Bedenkenträgern gelungen sein, die Unsicheren auf ihre Seite zu ziehen. Das zumindest zeigt das Ergebnis. Was es nicht zeigt: Die Mehrheit der Hamburger ist keineswegs gegen Olympia (siehe Antwort auf Frage eins). Und: Die Menschen im Umland, sowohl in Niedersachsen als auch Schleswig-Holstein, sind gar nicht erst gefragt worden, obwohl sie genauso betroffen gewesen wären. So betrachtet, wäre ein trilaterales Referendum mit Sicherheit sinnvoller und auch gerechter gewesen. Anders gesagt: Olympia ist eine Nummer zu groß für Hamburg, aber eine super Nummer für die Metropolregion. Hier als Region aufzutreten, ist versäumt worden. Wieder eine verpasste Chance.

Frage drei: Warum war das Hamburger Konzept nicht wirklich bekannt?

Wer sich in den vergangenen Wochen vor dem Referendum mit Unschlüssigen oder gar Gegnern unterhalten hat, der stieß nicht selten auf große Unwissenheit. Das städtebauliche Konzept, die konservative Kostenschätzung, die Ertüchtigung der Sportanlagen, die Einbindung der Region, der tatsächliche Brückenschlag Richtung Süden – all das war an der Basis kaum präsent. Allerdings gilt das nur für die politisch wenig Interessierten, also den „Normalbürger“, der eben nicht die Chance hat, einem Alfons Hörmann beim Herrenabend des Wirtschaftsvereins für den Hamburger Süden zuzuhören, der eben nicht auf einen Reinhard Wolf trifft, der im Dienste der Handelskammer Hamburg als Olympia-Beauftragter schon vor mehr als einem Jahr versuchte, die olympische Flamme in den Köpfen der Hamburger anzuzünden. Gut gemeinte Aktionen wie die Lichterkette rund um die Alster, die Bildung der olympischen Ringe im Hamburger Stadtpark oder die Figuren-Bestückung einer Miniaturarena in der Europa-Passage waren zwar emotional wirkungsvoll, sie konnten aber die Bedenken nicht zerstreuen. Dazu hätte es einer breiten Aufklärungskampagne an der Basis bedurft.  Kurz: Das Establishment musste nicht gewonnen werden – die olympische Idee hätte den normalen Bürger erreichen müssen. Und dazu reicht es eben nicht, Wochen vor dem Referendum eine haushaltsabdeckende Sonderausgabe von „Bild Hamburg“ in die Briefkästen zu stopfen.

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Die Frage, ob es das jetzt war, muss nach derzeitigem Stand wohl mit Ja beantwortet werden. Nach der schallenden Ohrfeige wird der Senat zur Tagesordnung zurückkehren. Der Kleine Grasbrook wird weiterhin als untergenutzte Hafenfläche ein Schattendasein führen. Der städtebauliche Rückenwind dürfte sich relativ schnell legen. Hamburg macht weiter auf hanseatisch. Ist ja, auf lange Sicht betrachtet, durchaus ein Erfolgsrezept. Selbst wenn die großen Verkehrsprojekte, die durch olympische Spiele vielleicht etwas mehr Drive bekommen hätten, jetzt möglicherweise weiter auf die lange Bank geschoben werden. Allerdings ist auch das Zeichen einer freien Gesellschaft ausgeblieben, in IS-geschüttelten Zeiten ein kräftiges Signal zu setzen. Kurz: Das große Abenteuer wird es nicht geben. Den großen Olympia-Kater dagegen schon. Und der wird vermutlich noch etwas bleiben.