Zehn-Punkte-Resolution zeigt, wie angespannt die Lage in vielen Unternehmen ist – Vereinzelt droht bereits das Ende von „Made in Germany“
In den vergangenen vier Jahren hat Andreas Kirschenmann, Unternehmer aus Hollenstedt, in seiner Rolle als Präsident der IHK Lüneburg-Wolfsburg reichlich Gelegenheit gehabt, mit Wirtschaftsvertretern aus allen gesellschaftlichen Bereichen, vor allem aber mit der Politik zu sprechen. Als er die Aufgabe übernahm, stand Deutschland kurz vor einer Pandemie – seitdem reißen die Krisen nicht ab. Kirschenmann, Inhaber von Gastroback, hatte damals einen Leitsatz für seine Präsidentschaft formuliert: „Deutschland muss schneller werden“. Mittlerweile ließe sich dieser Appell beliebig erweitern in: Deutschland muss digitaler, innovativer, mutiger, unbürokratischer, wehrfähiger, entscheidungsfreudiger, innovativer, flexibler, pragmatischer und weniger ideologisch – kurz: überall besser werden. „Vor einem halben Jahr habe ich mir darüber Gedenken gemacht, wo sich was ändern müsste, damit es wieder vorangehen kann mit der Wirtschaft unseres Landes. Auf IHK-Ebene können wir diese Themen einbringen – bis hoch auf die DIHK-Ebene. Deshalb freut es mich, dass wir jetzt gemeinsam eine Resolution auf den Weg gebracht haben – mit konkreten Forderungen an die Politik.“ Unter #GemeinsamBesseresSchaffen liegt diese Resolution mittlerweile der Bundesregierung vor – ein zehn Punkte umfassender Grundsatzbeschluss, der die Zeitenwende in der deutschen Wirtschaftspolitik einläuten soll. Oder anders ausgedrückt: ein weiterer Brandbrief an Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner, der alle Alarmglocken klingeln lässt.
Wirtschaft in Schieflage
Schon der erste Satz sagt alles: „Die deutsche Wirtschaft gerät zunehmend in eine Schieflage.“ Von „krisenhaften Entwicklungen mancher Branchen“ ist ebenso die Rede wie von der schwindenden Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Weiter heißt es: „Der Frust, immer öfter auch die Verzweiflung bei vielen Unternehmen wächst – und die Verlagerung von industrieller Produktion nimmt zu“. Das klingt nach dem Ende von „Made in Germany“. Schwarzmalerei? Wohl kaum, denn die krisenhafte Stimmung spiegelt sich auch in vielen Gesprächen wider, die B&P mit Unternehmern im Hamburger Süden führt. Dabei ist es gar nicht immer die direkte Betroffenheit, sondern häufig die Sorge, demnächst selbst in Schwierigkeiten zu geraten. Schon sie reicht aus, Investitionen auf die lange Bank zu schieben. Ein Teufelskreis.
Was getan werden muss, um der Wirtschaft wieder das Vertrauen in die Politik zurückzugeben, listet die DIHK auf, die als Spitzengremium für die 79 regionalen Kammern spricht. Ein Punkt: Mehr Vertrauen in die Eigeninitiative von Unternehmern legen, und nicht alles bis ins kleinste Detail zu regeln. Wie die EU-Lokomotive Deutschland wieder ins Rollen kommen könnte, ist aus Sicht der DIHK an zehn Punkten festzumachen, die wir hier in Kurzform zusammenfassen:
1. Mehr Tempo bei Planung und Genehmigungen.
2. Das regenerative Energieangebot deutlich ausweiten, die Stromkosten senken.
3. Zuwanderung: Verfahren vereinfachen und beschleunigen – Unternehmen sollten selbst entscheiden können, wer als Fachkraft in Frage kommt.
4. Investitionsbremsen in der Besteuerung lösen. Ziel ist es, die Investitionskraft von Unternehmen zu stärken.
5. Duale Ausbildung wertschätzen, und einen Berufsschul-Pakt starten. Verpflichtende Berufsorientierung als Kernaufgabe für alle Schulformen.
6. Innovationen ermöglichen. Forschung und Innovationen werden durch komplizierte und bürokratische Regeln vielfach ausgebremst.
7. Wirtschaftliche Offenheit wahren und internationale Kooperationen stärken. Konkret: Abbau von Handelshemmnissen und rasche Handelsabkommen.
8. Kreislaufwirtschaft für Klimaschutz und gegen Rohstoffabhängigkeit nutzen.
9. EU-Regulierungslast und -Bürokratie reduzieren. Keine neuen Gesetze, die Unternehmen belasten.
10. Infrastrukturdefizite beheben – vom Breitbandausbau bis hin zu den Wasserstraßen.
Internationaler Klimaclub
Versteckt unter Punkt sieben findet sich ein bemerkenswerter Vorschlag, der im großen Ganzen fast untergeht. Dort heißt es zum Thema Nachhaltigkeit und zwischen den Zeilen zu einer ideologisch vorangetriebenen Transformationspolitik: „Für die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft sind internationale Kooperationen unerlässlich. Statt eines Subventionswettlaufs und komplexer, unilateraler Instrumente wie dem CO2-Grenzausgleichmechanismus CBAM brauchen wir einen internationalen Klimaclub. Damit die notwendige Diversifizierung gelingen kann, brauchen die Unternehmen praxisnahe Regeln.“ Das hieße: Alle ziehen am selben Strang und machen Klimaschutz zu einer ehrlichen Herzensangelegenheit.
>> Web: Die Resolution im Wortlaut unter
https://www.dihk.de/de/themen-und-positionen/
-gemeinsambesseresschaffen-jetzt–106628