Eskalationsspirale der Bürokratie

Andreas Sommer ist seit 2018 Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Harburg-Buxtehude. Foto: SKHB

Andreas Sommer,  Vorstandsvorsitzender der Sparkasse  Harburg-Buxtehude, über 
Regulierung in der Finanzwelt.

Beim Stichwort Bürokratie und Regulierung durch staatliche oder gar überstaatliche Institutionen wie die Europäische Union sind es vor allem die Sparkassen und Banken, die seit Jahren ein Übermaß an Kontrolle und Absicherung beklagen – eine Medaille mit zwei Seiten, wie Andreas Sommer, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Harburg-Buxtehude, im Interview mit B&P-Objektleiter Wolfgang Becker sagt. Nicht jede Regelung sei per se negativ und überflüssig, aber auch ihm fallen regulatorische Vorgaben ein, auf die sich gut verzichten ließe. 

Welches Thema aus dem Kanon der Regulierungen drückt die Banken und Sparkassen am meisten?

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Ich kann dieses Thema gar nicht an dem einen Fall festmachen, es geht mehr um den Umgang mit Regulierungen an sich. Tatsächlich macht eine gewisse Form von Bürokratie auch Sinn. Im Bankenbereich geht es um viel Geld, um Milliarden. Wenn wir mal an die Finanzmarktkrise zurückdenken, dann haben wir gemerkt, dass die Risiken durchaus auch auf die Volkswirtschaft ausstrahlen. Und letztlich auf den Steuerzahler, wenn dann Kreditinstitute gestützt werden müssen. Deshalb halte ich von vielen Themen aus dem Bereich Regulierung eine ganze Menge, es gibt aber eben auch genug Beispiele für Überregulierung. Manchmal nimmt die Bürokratie Ausmaße an, die weder sachgerecht noch dem Kunden zu erklären sind.

Haben Sie dazu ein konkretes Beispiel?

Mit Sicherheit! Das schönste Beispiel beschäftigt uns als Sparkasse und unsere Kunden die zurückliegenden 12 bis 18 Monate: der Umgang mit dem AGB-Änderungsmechanismus.

Das müssen Sie erklären . . .

Wenn Sie ein Girokonto haben, und wir ändern unter Bezug auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen beispielsweise einzelne Produkte oder Preise, dann reichte es bislang, den Kunden darüber zu informieren und ihm mitzuteilen, dass er Widerspruch einlegen kann, falls er nicht einverstanden ist. Wenn er sich nicht meldete, war das Thema durch. Dagegen ist von den Verbraucherschutzorganisationen geklagt worden, und der BGH gab ihnen Recht. Nun gilt: Bei jeder Änderung, auch wenn es nur um eine Funktion auf der EC-Karte geht, muss der Kunde schriftlich informiert werden und explizit seine Zustimmung geben. Also mussten wir unsere AGBs anpassen und allen unserer insgesamt 120 000 Kunden, die kein elektronisches Postfach haben, das rund 100 Seiten umfassende Paket zuschicken. Dafür wurden ganze Wälder abgeholzt, das muss man sich mal vorstellen.

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Diese Mitteilung musste in Papierform  übermittelt werden?

Ja, in Papierform an alle Kunden, die kein elektronisches Postfach haben. Im Ergebnis haben jetzt, gut zwei Jahre danach, 99,9 Prozent unserer Kunden zugestimmt. Aber der Prozess: Nicht jeder hatte das sofort verstanden, andere reagierten nicht, und wieder andere kamen zu uns und beschwerten sich, wie wir darauf kämen, 100 Seiten AGBs zuzuschicken. Es gibt ja keinen Kunden, der zu uns kommt und sagt, er möchte sein Girokonto nicht mehr haben. Aber: Bei den 0,1 Prozent der Kunden, die nicht zugestimmt haben, entfiel die Geschäftsgrundlage. In letzter Konsequenz mussten wir die Konten kündigen. Das sind so Themen, das können Sie heute keinem Kunden mehr vermitteln.

Gibt es weitere Beispiele?

Ein anderes Thema ist die Wertpapierberatung. Auch da sind wir verpflichtet, den Kunden umfangreich über Chancen und Risiken aufzuklären – was auch erforderlich ist. Es ist unser Anspruch, eine exzellente Wertpapierberatung zu machen und dem Kunden nicht einseitig irgendwelche Papiere anzudrehen. Dass ich ihm aber, wenn er kein elektronisches Postfach hat, hintenrum irgendwelche zentimeterstarken Info-Broschüren aushändigen muss, die eh in der Altpapiertonne landen, da muss ich sagen: Hier überziehen wir. Das ist nicht hilfreich.

Woher kommen solche Vorgaben und Regelungen? Wer denkt sich das aus?

Das ist eine spannende Frage. Vieles kommt mittlerweile von der EU, aber wir Deutsche schaffen es bei den EU-Vorgaben immer noch eins draufzusetzen. Wir machen es eher noch ein bisschen schärfer . . .

Der EU-Musterschüler Deutschland, sozusagen . . .

Wenn die EU sagt, Umsetzung bis zum 1. Januar 2025, dann wollen wir Vorreiter sein und schaffen es schon zum 1. Januar 2024. Lieber zu schnell, wobei sich die Amerikaner darüber totlachen und sagen: „Die haben Basel IV, wo wir noch nicht mal Basel II richtig umgesetzt haben.“ Rechtsprechung ist das eine. Das zweite: Die Verbraucherschützer hängen zuweilen einem überzogenen Gedanken des Verbraucherschutzes an. Grundsätzlich ist es gut, dass es Verbraucherschutz und Aufsichtsrecht gibt, aber manchmal ist es einfach des Guten zu viel.

An was denken Sie da konkret?

Vor ein paar Jahren wurde im Zusammenhang mit privaten Baufinanzierungen der sogenannte Widerrufsjoker vom Verbraucherschutz ins Spiel gebracht – basierend auf formalen Kritikpunkten in der Widerrufsbelehrung, die im Rahmen einer Baufinanzierung vom Kunden unterschrieben wird. Ergebnis: Widerrufsbelehrungen wurden dadurch teilweise juristisch angreifbar, was sich auch auf die Fristen auswirkte. Das vermarkteten wiederum die Verbraucherschützer. Unter dem Begriff „Widerrufsjoker“ wurden Kunden dazu animiert, ihre Verträge neu zu verhandeln – was in Phasen sinkender Zinsen ausgenutzt wurde. Da kamen also Kunden, die eben noch völlig zufrieden eine Baufinanzierung abgeschlossen hatten, und wollten mit Hinweis auf die angreifbare Widerrufsbelehrung zu günstigeren Konditionen nachverhandeln. Die haben vielfach Recht bekommen. Da ist aber nicht fehlerhaft beraten worden, sondern es wurde alles klar kommuniziert und richtig gemacht. Solche Fälle führen dann zu einem Pingpong-Effekt, denn im Gegenzug sichert sich die Kreditwirtschaft wieder stärker ab. Und so bekommen wir eine Eskalationsspirale der Bürokratie – das kann es doch nicht sein! Das führt im Endeffekt zu dem Irrsinn, dass wir jetzt schon Bürokratieentlastungsgesetze brauchen.

Trauern Sie dem guten alten Handschlag-Geschäft nach?

Die alten Zeiten, als Kreditgeschäfte per Handschlag und vielleicht bei einem Cognac besiegelt wurden, sind lange vorbei. Kreditgeschäft hat immer mit Risiken zu tun – das geht im Zweifel zu Lasten der Bank und zu Lasten des Eigenkapitals. Dadurch einstehen neue Risiken. Die Bankenaufsicht wacht darüber, dass am Ende nicht wieder Finanzinstitute vom Steuerzahler gestützt werden müssen. Das ist auch sinnvoll. Deshalb sollten wir nicht per se den Stab darüber brechen. Wenn wir den Bogen nicht überspannen, sorgen wir für Sicherheit auf beiden Seiten. Deshalb sind wir heute beispielsweise verpflichtet, bei der telefonischen Anlageberatung eine Sprachaufzeichnung zu machen – damit es im Falle einer Beschwerde Klarheit über das Gesagte gibt. Aber generell sind wir in den vergangenen 20 Jahren formaler geworden.

Gibt es denn von Kundenseite allgemein  Kritik an der Bürokratie?

Ja, das kommt vor. Wir verlangen im Kreditgeschäft mittlerweile umfängliche Unterlagen. Da kommen schon mal Fragen auf, warum das alles sein muss.

Gibt es irgendeine Regelung, die Sie  abschaffen würden?

Die Aushändigung der umfangreichen Unterlagen und Broschüren, die wir als „Basisinformation im Wertpapiergeschäft“ bei der Beratung aushändigen müssen. Das wäre so ein Thema. 99,9 Prozent der Kunden schauen da nicht rein. Die wissen nicht, was sie damit tun sollen und ob sie diesen Packen Papier aufheben müssen