INTERVIEW Die Steuerberater Sven Aldag und Henning Klindworth über eine Branche an der Kapazitätsgrenze.
Im Zweifel macht’s der Steuerberater? Dieser Eindruck drängt sich mit Blick auf die zurückliegenden Pandemie-Jahre fast auf. Sven Aldag und Henning Klindworth von der Buxtehuder Kanzlei Aldag & Klindworth beschreiben im B&P-Interview mit Wolfgang Becker eine Branche im Ausnahmezustand. Hohe Arbeitsbelastung, Personalmangel, deutliche Erosionen auf der Kanzlei-Landkarte, verzweifelte Anfragen aus Hamburg und ständig neue Ideen, was Steuerberater noch alles tun könnten – zum Beispiel den CO2-Footprint von Unternehmen ermitteln. Doch da hört der Spaß für die Buxtehuder auf.
Wenn ich heute mit Steuerberatern spreche, höre ich vielfach von extrem hoher Arbeitsbelastung. Was ist los in den Kanzleien?
Sven Aldag: Ja, es gibt sehr viel zu tun. Ein Grund ist meiner Meinung nach aber auch die Überalterung der Steuerberater insgesamt. Ich glaube, wir haben zu wenig Kanzleien und zu wenig Manpower in den Kanzleien.
Wie wirkt sich das praktisch aus?
Ich beobachte eine zunehmende Zentralisierung der Kanzleien. Fusionen und Zusammenschlüsse nehmen zu. Dann noch die Rekruiting-Probleme aufgrund des Fachkräftemangels – da wird es schnell dünn. Es wird immer schwieriger, die Leute zu finden, die wir brauchen. Die Situation spitzt sich zu.
Nun hat das Berufsbild des Steuerberaters nicht gerade das Image, besonders sexy zu sein – was namhafte Kollegen empört zurückweisen würden, weil es immer wieder hochspannende Mandate gibt. Aber eben auch viel Routine. Wie hoch ist der Anteil der spannenden Themen und wie kann es gelingen, junge Menschen für den Beruf zu begeistern?
Henning Klindworth: Für junge Menschen ist es insofern interessant, dass wir relativ viel Technik einsetzen. Und dass wir die direkte Verbindung zwischen Mandant und Buchhaltung mit Software unterstützen, die für einen reibungslosen Prozess sorgt. Da sind die Jungen viel fitter als wir und arbeiten sich intuitiv ein. Deshalb sind hier auch relativ viele junge Leute bei uns zu finden.
Intuitiv gilt also für das Einarbeiten in die Technik, das Ausfüllen der Steuererklärung ist ja bis heute intuitiv nicht machbar . . .
Ja, das gilt für unsere Handwerkszeuge. Im Rahmen der Pandemie hat sich unsere ganze Branche digital aufgestellt. Dabei hilft der Ausbau der Dateninfrastruktur erheblich. Die Datev, zuletzt eine etwas antiquierte Genossenschaft für berufsspezifische Dienstleistungen im IT-Bereich, hat sich zu einem der agilsten Unternehmen entwickelt. Die Pandemie hat den technischen Aufschwung enorm beflügelt – es waren in dieser Zeit plötzlich Dinge zu regeln, die wir bis dato noch nie gebraucht hatten. Kurzarbeitergeld in enormem Ausmaß. Die Auswirkungen des Infektionsschutzgesetzes waren zuvor nie ein Thema. Ohne die Technik hätten wir das alles nicht bewältigen können. Kurz: Wir sind heute technisch sehr modern aufgestellt.
Eigentlich soll die Digitalisierung die Prozesse doch schlanker und einfacher machen, aber mein Eindruck ist eher so, dass die Abläufe immer komplizierter werden und länger dauern. Täusche ich mich da?
Sven Aldag: Die Digitalisierung hilft, Dinge besser aufzuarbeiten und transparenter zu machen. Auch das Archivieren funktioniert besser. Aber zurzeit dauern die Vorgänge mit Hilfe der Digitalisierung genauso lange wie vorher. Wie sich das entwickelt, wird die Zeit zeigen. Langfristig, denke ich, werden wir sicherlich schneller, aber im Moment ist das aus meiner Sicht noch nicht so.
Henning Klindworth: Im laufenden Kanzleialltag haben wir im Vergleich zu früher schon erheblich mehr Geschwindigkeit – wie lange dauerte es denn, bis die Mappe zur Unterschrift endlich mal reinkam. Heute geht das allen mit ein paar Klicks. Das Erstellen der digitalen Dokumente kostet Zeit, aber der Workflow ist schneller. Insgesamt gewinnt man. Wir können heute irgendwo auf der Welt sitzen und haben alle Dokumente im Zugriff. Alles was reinkommt, wird digitalisiert. Alles was rausgeht, ist ebenfalls digital.
Nun haben wir viel über Technik gesprochen, kommen wir zum Steuerrecht – wie hat sich das in den vergangenen zehn Jahren verändert?
Sven Aldag: Wir haben eine dramatische Veränderung erlebt – insbesondere in den vergangenen fünf Jahren. Es gab eine wahre Gesetzesflut und sehr viele Urteile, die das Gesetz teilweise noch einmal gedreht haben. Dazu Corona und die damit verbundenen Gesetze. Das war schon ziemlich wild. Aber das ist eben auch der Job.
Es ist aber auch klar, dass Kanzleien dann vereinzelt an Kapazitätsgrenzen stoßen. Wenn ich mich nun in Buxtehude selbstständig mache und einen Steuerberater brauche, habe ich bei Aldag & Klindworth eine Chance?
Henning Klindworth: Ja. Wir haben die Studie „Kanzlei 2020“, die unser Berufsstand herausgegeben hat, komplett umgesetzt und für uns angepasst. Wir haben uns beide überlegt, wie wir uns aufstellen müssen, um zukunftsfähig zu sein. Dazu zählt beispielsweise eine geregelte Arbeitszeit für unsere Mitarbeiter. Bei uns gibt es nicht die Erwartung, dass Mitarbeiter automatisch Überstunden zu leisten haben. Wer das erwartet, riskiert Abwanderungen. Wir haben uns räumlich und personell auf Wachstum ausgerichtet.
Es soll mittlerweile Kanzleien geben, die wirtschaftlich nicht so attraktive Mandate kündigen und sich nur noch auf die großen einträglichen Fälle konzentrieren. Ist Ihnen das hier auch schon begegnet?
Wöchentlich!
Sven Aldag: Es rufen uns Mandanten an mit dem Hinweis, der Steuerberater habe gekündigt. Es werde nun Buchführung und Lohnbuchhaltung benötigt . . .
. . . also das volle Programm? Weil sie rausgeflogen sind?
Ja, nun stehen sie quasi auf der Straße, und die Mitarbeiter warten auf ihr Geld. Die Voranmeldungen müssen raus. Und es gibt durchaus nicht wenige Selbstständige, da fehlt noch der Jahresabschluss 2020. Auch 2021 ist ja schon längst fällig – also das ist schon etwas schwierig.
Henning Klindworth: Wir haben mittlerweile Anfragen aus Hamburg, da muss man dann schon abwägen und die Kosten-Nutzen-Rechnung machen. Außerdem gilt der Grundsatz: Ich darf nur das annehmen, was ich auch abarbeiten kann. Da muss man dann schon sehen, ob das nicht zu aufwendig ist.
Man muss ja zu den Mandaten auch mal hinfahren – und eine Autobahnauffahrt haben Sie ja nicht. (Gelächter)
Wir fahren natürlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln . . . Nein, aber es spitzt sich zu: Wir haben durchaus Anfragen von Leuten, die uns sagen, dass wir bereits die 15. Kanzlei sind, die kontaktiert wird. Viele Kanzleien haben aufgrund der beschriebenen Auslastung einen Aufnahmestopp.
Eine schwierige Entwicklung in einem Land, das dermaßen mit Steuergesetzen überzogen ist.
Und bei den Notaren ist es ja nicht anders.
Wobei ich ja in vielen Bereichen verpflichtet bin, einen Anwalt, Notar oder Steuerberater einzuschalten.
Sven Aldag: Platt gesprochen ist es eigentlich eine komfortable Situation, wenn einem potenzielle Mandaten die Bude einrennen. Aber unser Antrieb ist ein anderer: Wir wollen ja unterstützen und helfen. Es ist schade, wenn wir ablehnen müssen, weil wir das kapazitätsmäßig nicht hinbekommen.
Brauchen wir ein Steuerberater-Entlastungsgesetz?
Henning Klindworth: Das hat Thorsten Lüth, Präsident des Deutschen Steuerberaterverbands e.V., jetzt tatsächlich gefordert. Das ist ja auch richtig – es kann ja nicht sein, dass alles bei uns abgeladen wird. Das neueste Thema heißt ESG – Environmental, Social und Governance. Unternehmen werden in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung bewertet. Und diese Bewertung sollen wir machen. Wir sollen den entsprechenden Fußabdruck ermitteln . . .
. . . die Steuerberater?
Das wird auf uns abgewälzt. Zuerst haben wir gelacht, aber beim jüngsten Datev-Kongress im CCH kam das Thema auf den Tisch. Da gab es schon ein IT-Modul für ESG-Bewertung, das uns vorgestellt wurde. Ehrlich: Ich will das gar nicht haben. 36 Prozent des Ratings beispielsweise einer Sparkasse wird bestimmt durch den CO2-Footprint? Und ich als Steuerberater soll das ermitteln?
Wie soll das denn gehen?
Keiner weiß, wie das geht. Die Datev hat zwar eine technische Lösung in Vorbereitung, und im Internet kann man den ESG-Wert angeblich auf irgendeiner Seite ermitteln. Aber das ist doch ein Witz. Ich finde: Jetzt hört es irgendwann auch mal auf.
Sven Aldag: Das hat ja noch ganz andere Auswirkungen. Beispiel Wohnraum: Den brauchen wir in Deutschland dringend, aber wenn es um ältere Immobilien geht, sind die im Zweifel nicht mehr verkaufbar, weil der CO2-Abdruck zu hoch ist.
Aber es muss doch Umweltagenturen oder andere Institutionen geben, die so eine Bewertung machen können, oder?
Henning Klindworth: Das wird jetzt kommen. Und es ist wieder so ein Thema, das man auf uns Steuerberater abwälzen will. Wir sprechen übrigens über EU-Recht. Und Deutschland macht es in der nationalen Umsetzung mal wieder sehr genau. Als Kanzlei achten wir natürlich auf Nachhaltigkeit, auch im Zusammenspiel mit unseren Mandanten und Partnern. Umweltbewusstsein hat bei uns hohen Stellenwert – deshalb fahren wir elektrisch, nutzen Photovoltaik und reduzieren den Papierverbrauch perspektivisch gegen Null. Nur berechnen, ob andere Unternehmen das gut machen, dass können und wollen wir als Steuerberater nicht.
Gesucht: Zwei Azubis für 2023
Pro Jahr bilden Sven Aldag und Henning Klindworth zwei Steuerfachangestellte aus – wer sich für 2023 bewerben möchte, hat dazu noch Gelegenheit. Die Ausbildung dauert drei Jahre und beginnt im August. Im Unternehmen sind viele Mitarbeiter zu finden, die einst als Azubis angefangen haben. Die Fluktuation ist dem Vernehmen nach gering. Aktuell sind vier junge Leute in Ausbildung – und freuen sich auf die nächste Generation.
Bewerbungen gehen an: wir@aldag-klindworth.de