„Die Bürokratie macht uns verrückt!“

Freuten sich über den unvorhersehbaren politischen Aufstieg ihres Gastes: AGA-Präsident Dr. Hans Fabian Kruse (rechts) und Hauptgeschäftsführer Volker Tschirch (links) mit Claus Ruhe Madsen. Foto: Ulrich Perrey

Unterhaltsame AGA Politikzeit mit Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (Schleswig-Holstein).

Glück muss man haben – so wie der AGA Unternehmensverband beispielsweise. Zu dem erstmals seit langem wieder in Präsenz ausgetragenen Talk-Format Politikzeit hatte die Organisation vor einigen Monaten den Rostocker Oberbürgermeister eingeladen – als Gast nun aber den schleswig-holsteinischen Wirtschaftsminister bekommen. Des Rätsels Lösung: Claus Ruhe Madsen war nach der Wahl im nördlichsten Bundesland vom Stadtchef-Posten an der Ostsee in das Kabinett nach Kiel gewechselt, in das Ministerpräsident Daniel Günther den Parteilosen berufen hatte.

Und der gebürtige Däne, der für seine unkonventionelle Art bekannt ist, lieferte: Fast 90 Minuten lang unterhielt er seine etwa 100 Zuhörer in den Räumen der Commerzbank am Jungfernstieg blendend. Kein Wunder, denn sein Weg aus dem Unternehmertum in die Politik und seine Erfahrungen in den unterschiedlichen Ämtern bieten reichlich Stoff für kurzweilige Anekdoten. Dass er dabei wie ein Wasserfall plauderte, störte wenn dann wohl nur Moderatorin Jana Werner. Die durchaus schlagfertige Wirtschaftsjournalistin musste bei ihrem Gast ein ums andere Mal darum kämpfen, überhaupt zu Wort zu kommen.

Vor allem der Abbau der Bürokratie liegt Claus Ruhe Madsen am Herzen. So war er unter dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel Teil eines Mittelstandsbeirats, der sich um genau dieses Thema kümmerte. „Die Bürokratie macht uns verrückt“, konstatierte der gebürtige Däne, der darin eine sehr deutsche Eigenschaft sieht.

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Bedenken anmelden . . .

Sinnbildlich hierfür ist in seinen Augen der Satz „Ich möchte gern Bedenken anmelden“, der ihm in dieser und anderer Form in seiner Zeit als Verwaltungschef immer wieder unterkam. „Das ist mittlerweile wirklich meine Lieblings-Hassphrase“, so Claus Ruhe Madsen. So war es beispielsweise auch beim Ansturm der ukrainischen Flüchtlinge: „Wir mussten von heute auf morgen Unterkünfte organisieren, und ich wandte mich für die sanitären Anlagen an einen Bekannten, der Festivals mit entsprechenden Containern ausrüstet. Doch es gab im Rathaus allen Ernstes Mitarbeiter, die darauf hinwiesen, dass es zuerst eine Ausschreibung geben müsse. Und dass ich dafür in zwei Jahren vor Gericht landen könnte.“

Dem Oberbürgermeister war das egal. Er zog seinen Plan durch. „Und wenn ich dafür vor Gericht komme, dass ich sanitäre Anlagen für Flüchtlinge organisiert habe, dann ist das eben so.“ Den selbst ernannten Chef-Bedenkenträgern attestierte Claus Ruhe Madsen derweil mit seinem sanften dänischen Akzent „Unkameradschaftlichkeit“. Ein derartiges Einbringen von Einwänden sei in etwa so, als wenn man an eine Akte einen Post-It mit kritischen Anmerkungen klebt. „Wenn die Sache irgendwann daneben geht, dann kann derjenige darauf verweisen, dass er es immer schon gewusst habe. Und wenn alles gut läuft, zieht er den Zettel einfach ab und schmeißt ihn in den Müll.“

Gleichzeitig machte der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister an dem Thema auch deutlich, wieso sich viele Behördenmitarbeiter und bisweilen auch Verwaltungschefs hinter Paragraphen und Vorschriften verstecken. „Wir haben hier keine gute Fehlerkultur. Wenn eine Sache daneben geht, dann suchen wir oft nach dem Schuldigen.“ Die Folge für den Betroffenen: „Mit mutigen Entscheidungen riskiert man bisweilen seine Karriere, vielleicht sogar seinen Pensionsanspruch. Das führt natürlich dazu, dass Menschen im Zweifel lieber gar nichts entscheiden, anstatt falsch zu entscheiden.“

Die Suche nach dem Schuldigen

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Doch so werde Deutschland nicht weiterkommen. „Oft wird erst geplant, dann diskutiert, dann weiter geplant, dann kommt der erste Gutachter, anschließend ein zweiter Gutachter, dann wird weiter geplant, erneut diskutiert und schließlich verworfen. So läuft es täglich in diesem Land.“ Das Verharren in sicheren Verhältnissen sei Gift. „Das ist ein bisschen so wie vor 10 000 Jahren, als wir alle noch in Höhlen lebten. Ein Teil brach damals auf und wollte wissen, wie es draußen ist – und fand dort ein tolles Leben.“ Die anderen hingegen hatten Angst und blieben zurück. Die Zeit verging, und bald schon waren sich die Zurückgebliebenen sicher: „Gut, dass wir hier in der Sicherheit geblieben sind. Die anderen sind schließlich nie wieder zurückgekommen.“ top

>> Web: www.aga.de