Marketingmanagerin Antonia Marmon über „Little Istanbul“, die Lüneburger Straße, das Phoenix-Viertel und ein „Leben in Vielfalt“.
Seit sechs Monaten ist sie an Bord, lernt immer noch neue Leute kennen und hat durchaus auch schon Bekanntschaft mit dem einen oder anderen alten Harburger gemacht: Antonia Marmon verantwortet den fusionierten Verein Harburg Marketing e.V. als Geschäftsführerin und überrascht derzeit durchaus mit ungewöhnlichen Ideen. Dass die im ersten Anlauf nicht immer sofort fruchten, frustriert die 32-Jährige nicht – sie lebt davon, dass sie den Bezirk Harburg vorher nicht kannte und deshalb einen ganz besonderen Blick auf den Süden vom Norden hat. Eines hat sie bereits sofort erkannt: Hamburg ist weit weg, in Harburg wohnt ein etwas anderer Menschenschlag. Direkt in der Ansprache und manchmal zu sehr rückwärtsgewandt, wenn es um das gute alte Harburg der 80er-Jahre geht, aber trotzdem offen, aufgeschlossen und vor allem kreativ. Eine gute Basis, um Dinge neu zu bewerten und neu zu denken, ist Antonia Marmon überzeugt.
Wie war das noch mit der Idee, die verkehrsberuhigte Einkaufsstraße Lüneburger Straße in Klein-Istanbul umzubenennen? Antonia Marmon hat die Debatte und den sich daraus entwickelten Shitstorm aufmerksam beobachtet. Die Idee stammt von der Harburger FDP und wurde sogleich in Harburg plakatiert. Sie lautet: Wie wäre es, die „Lü“ in „Little Istanbul“ umzubenennen – ganz nach dem „Little Italy“-Vorbild in New York? Dass der Balkan aus Harburg nicht mehr wegzudiskutieren ist, merkt jeder, der durch die Straße geht. Antonia Marmon: „Ich habe die Reaktionen sehr genau verfolgt und überraschenderweise festgestellt, dass die lautesten Kritiker eigentlich etwas ganz anderes stört: die Tauben, die Beleuchtung und der Dreck im Allgemeinen. Zum Thema Multikulti kam gar keine Kritik.“
Die Provokation brachte den Harburger Liberalen immerhin ein paar Schlagzeilen ein, für Harburg Marketing war die FDP-Frage jedoch eine Bestätigung des eigenen Denkansatzes: stolz zu sein auf die Vielfalt und dies auch zu zeigen. Unter dem Stichwort „Leben in Vielfalt“ lassen sich gleich mehrere Projekte vereinen. Der Verein hatte sich dazu mit einem völlig neuen Konzept um das neu ausgeschriebene Quartiersmanagement für das Phoenix-Viertel beworben – und erhielt nicht den Zuschlag. Antonia Marmon: „90 Prozent aller Negativschlagzeilen über Harburg kommen aus dem Phoenix-Viertel. Da muss man sich doch dort gerade beson ders engagieren. Deshalb wollten wir den Schwerpunkt nicht auf das Soziale, sondern auf die Wirtschaft setzen. Über die Wirtschaft ließe sich vieles bewegen. Und die Wirtschaft hat ein Interesse daran, dass das Quartier stabil wird.“
Bei der Konzeption eines Aktionsplans, an dem die Vorstandsvorsitzenden Dr. Ralf Grote (TU Hamburg) und Julita Hansen (Phoenix-Center) mitwirkten, machte Antonia Marmon deshalb einen Schritt über die Wilstorfer Straße und bezog sowohl das Einkaufszentrum als auch Continental, die ehemalige Phoenix, mit ein. Sie sagt: „Ich sehe Soziales und Wirtschaft immer in einem engen Zusammenhang. Der Aktionsplan sah vor, dass alle Akteure gemeinsame Sache machen und zusammenarbeiten – die Politik, der Bezirk, die Polizei, die Stadtreinigung, die Kirchen, ein Quartiersmanager und alle anderen Institutionen. Alle haben doch dasselbe Interesse an einer Verbesserung.“
Da die Bewerbung trotz des überzeugenden Konzeptes abgelehnt wurde, soll das Prinzip „Leben in Vielfalt“ nun in etwas abgespeckter Form am Beispiel der Lüneburger Straße durchdekliniert werden. Antonia Marmon: „Auch hier brauchen wir einen Neustart. Erstmal sollten sich alle kennen lernen. Um es klar zu sagen: Mir kann es nicht darum gehen, wieder eine Situation wie vor 40 Jahren herzustellen, die vor allem älteren Harburgern in so guter Erinnerung geblieben ist. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich viele Harburger gerade in Wirtschaftskreisen kennen gelernt habe, die innovativ und kreativ nach vorne schauen und das Potenzial dieses Stadtteils sehen. ‚Früher war alles besser‘ hilft uns nicht weiter.“ Der neue Titel der Initiative: „Fokus Lüneburger Straße“.
Die umtriebige Marketingmanagerin hat bereits einige Bälle in der Luft, denn nach zwei Corona-Jahren kehren nun auch wieder beliebte Events wie der Kultursommer zurück. 45 Projekte werden von dem vierköpfigen Team (drei volle Stellen) übers Jahr bearbeitet. Das Thema Tourismus gehört auch dazu, allerdings definiert Antonia Marmon diesen Begriff für Harburg etwas anders: „Wir müssen zeigen, was wir haben. Harburg ist bereits gut für den Tagestourismus aufgestellt. Harburg ist durch die Uni und die ansässigen innovativen Unternehmen und vieler Best-Practice-Lösungen aber auch für eine von uns neu identifizierte Form bestens ausgestattet: den Wissenschaftstourismus. Wir müssen dies nur mehr herausstellen.“
Das erste Beispiel lieferte Harburg Marketing e.V. jüngst selbst: „Die Handelskammer Hamburg hatte 33 dänische Citymanager zu Gast, die sich ansehen wollten, wie das in Hamburg funktioniert. Die wurden unter anderem nach Harburg geschickt. So hatte ich die Chance, 33 Dänen zu zeigen, was bei uns läuft. Wir waren im Pop-up-store im Phoenix-Center, schauten uns die Lüneburger Straße mit all ihren Facetten an und die Murals der Aktion ‚Walls can dance‘ – Harburg hat die größte Wandbildausstellung in ganz Norddeutschland. Und wir besuchten die neugestaltete Hölertwiete“, berichtet Antonia Marmon im B&P-Gespräch – ganz nach dem Motto: Harburg muss zeigen, was es hat . . .