B&P-GESPRÄCH bauwelt-Geschäftsführer Alexander Delmes über hanseatische Unternehmensführung, Existenzängste, unerwartete Besucher und die Folgen des Föderalismus
Wenn Alexander Delmes, geschäftsführender Gesellschafter der bauwelt, an den Shutdown Mitte März denkt, löst das noch immer mulmige Gefühle aus: „Am Anfang war da wirklich leichte Panik – was wird reglementiert, was nicht. Was betrifft uns als Baustoffgroßhandel, wie sieht es im Einzelhandel aus? Auf so eine Situation war ja niemand wirklich vorbereitet.“ Zum Hintergrund: Die alteingesessenen Harburger Familien Delmes und Heitmann betreiben sowohl die bauwelt mit ihren zehn Standorten in der Metropolregion Hamburg als auch mehrere Obi-Märkte im Hamburger Süden. Alexander Delmes und Dirk Heitmann bilden eine Doppelspitze im Baustoffbereich, im Einzelhandel ist operativ Dirk Heitmann verantwortlich.
„Deutschland renoviert“
Das erste, was Delmes nach dem Shutdown machte: „Ich ließ von den Banken die Liquidität prüfen – und bekam sofort Entwarnung. Mit einer starken Eigenkapitalquote steht die bauwelt sehr gut da. Wir haben ein stabiles Fundament – übrigens Folge der großen Baukrise in den 1980er-Jahren. Damals ging es dem Unternehmen schlecht. Daraus haben wir gelernt, was uns heute hilft. Wir könnten theoretisch einige Monate durchhalten – das ist auch beruhigend für die Mitarbeiter. Unser Ziel ist es immer, mit circa 50 Prozent Eigenmitteln zu arbeiten. Geld, das fest im Unternehmen gebunden ist. Wir gehen da hanseatisch-konservativ vor und sind im Übrigen gegenüber den Banken völlig transparent sowie im Kreise der acht Gesellschafter einig.“
„Maske auf!“ – Oder doch nicht?
Nach dem ersten Schock und der Entwarnung setzte dann die nächste Überraschung ein: Großhandel durften öffnen – und damit begann die große Corona-Geschichte „Deutschland renoviert“. Alexander
Delmes: „Wir haben im Privatkundenbereich einen Umsatzzuwachs von 64 Prozent – hier in der Zentrale an der Maldfeldstraße standen plötzlich ganze Familien, die einkaufen wollten. Das war hier so ein bisschen wie der Ersatz für den Hamburger Dom – die Leute kamen zum Bummeln in die Ausstellung. Wir mussten teilweise wegen drohender Überfüllung Wartezonen einrichten. So etwas haben wir noch nie erlebt.“ Auch hier ein Hintergrund: Die bauwelt hat als Partner des Handwerks und der Bauwirtschaft einen starken Gewerbekundenanteil und nun übernahmen die Privatkunden die Führung. Jetzt zeigte Corona, dass ein Ausflug in die bauwelt eine angenehme Abwechslung in Zeiten von sozialer Distanz darstellte.
Auch im Gewerbekundenbereich legte der Baustoffhandel zu – um 28 Prozent. Und das, obwohl das Projektgeschäft wie in anderen Branchen auch teilweise auf null zurückgegangen ist, weil Projekteure tendenziell auf die Bremse getreten sind und Corona die Investitionslaune vertrieben hat. Und aus einem weiteren Grund, der nachdenklich stimmt. Alexander Delmes: „Auf den Großbaustellen sind vielfach Arbeitskräfte aus dem Ausland eingesetzt – die waren mit einem Schlag alle weg. Schnell zurück in die Heimat, bevor die Grenzen dicht waren.“
Auch auf Behördenseite forderte Corona seinen Tribut: Genehmigungsverfahren wurden ebenfalls ausgebremst. Delmes: „Der Rückgang im Projektgeschäft hat uns aktuell rund 2,5 Millionen Euro Umsatz gekostet. Ich rechne aber eher mit einer Verschiebung, denn langsam werden die Aktivitäten wieder hochgefahren.“ Profitiert hat auch der Online-Handel. Die Umsätze sind immens gestiegen. Die bauwelt gehört laut Delmes zu den wenigen Vertretern der Branche, die über einen erfolgreichen Shop verfügen. Immerhin rund 9000 Artikel können hier per Internet geordert oder angefragt werden.
„Unser Patient null . . .“
Dass die bauwelt in mehreren Bundesländern aktiv ist, machte die Situation nicht einfacher und sorgte manchmal auch für Irritationen. Delmes: „Hier kamen Kunden herein, die erstmal die Mitarbeiter aufforderten, eine Maske aufzusetzen. In Hamburg war das Pflicht, in Niedersachsen nicht. Die Landesgrenze verläuft etwa auf dem Fußweg an der Maldfeldstraße, aber wer weiß das schon . . .“ Und: „Für Schleswig-Holstein brauchten unsere Mitarbeiter beim Weg zur Arbeit ein Begleitschreiben. Und wurden oftmals kontrolliert. Es gab eine Reihe absurder Situationen.“
Bemerkbar macht sich die Krise auch in den Regalen. „Bestimmte Produkte haben wir nicht mehr bekommen – zum Beispiel Metallprofile und Fliesen aus Norditalien.“ Ebenfalls schwierig gestaltete sich das Thema staatliche Förderung. Der bauwelt-Chef: „Mit 400 Mitarbeitern sind wir ein Großunternehmen – da ist nichts zu bekommen. Wir zählen zu den großen Mittelständlern, und die Förderungen waren kompliziert und nicht wirklich nutzbar.“ Dabei entstehen allein für Desinfektion, Schutzmaßnahmen und Absperrungen erhebliche Kosten, wie Alexander Delmes betont. Er brachte mit seinem Führungsteam ein eigenes Konzept zur Anwendung. Transfertouren zwischen den zehn Standorten, um beispielsweise benötigte Ware zu beschaffen, wurden untersagt. Kritische Abteilungen wie die Buchhaltung und IT wurden aufgespalten. Doppelte Sicherheit.
Delmes: „Glücklicherweise hatten wir nur einen einzigen infizierten Mitarbeiter, der sich im Urlaub ansteckte und gar nicht im Unternehmen war. Ich nenne ihn unseren Patienten null.“ Sein Fazit nach drei Monaten Krisenmanagement: „Wir sind bislang gut durch diese Zeit gekommen, aber ich habe zum ersten Mal in meiner Unternehmer-Historie Existenzängste gespürt. Das hatte ich bis dahin noch nie erlebt. Ich bin sehr dankbar, dass unser Baustoffhandel so ein bodenständiges Geschäft und nicht so anfällig für disruptive Entwicklungen ist.“ wb