Von Dr. Hermann Lindhorst, Rechtsanwalt, Fachanwalt für IT-Recht, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
Nach außen hin beobachten viele momentan ein großes positives solidarisches Miteinander, um Folgen der Corona-Krise gemeinsam besser bewältigen zu können. Arbeitgeber zeigen sich als flexibel im Zusammenhang mit „Homeoffice“-Themen, Betriebsräte nehmen Kurzarbeit in Kauf statt Arbeitsplatzabbau und auch wir Berater bieten auf allen Kanälen, zum Beispiel über Verbände, Webinare und Newsletter, kostenlose Unterstützung und Hilfe an.
Nach innen hin, also hinter den Kulissen, läuft aber ein zum Teil rücksichtsloser und geradezu brutaler Kampf um Stornierungen, Verzugsschäden und Rücktrittspauschalen. Auch in Bereichen, die mit „Corona“ oder „COVID-19“ überhaupt nichts zu tun haben, lesen wir Anwälte momentan häufig in den Schriftsätzen, wie Kündigungen oder Pflichtverletzungen pauschal und substanzlos mit der Pandemie begründet werden. In allen Fällen werden vorher im Internet recherchierte, aber in ihrer Bedeutung überbewertete Begrifflichkeiten wie „Störung der Geschäftsgrundlage“, „Unmöglichkeit“ oder „Höhere Gewalt“ bemüht, um sich vertraglichen Pflichten einseitig zulasten des Geschäftspartners zu entziehen.
Anspruch versus Insolvenz
Häufig müssen wir dann auch darauf hinweisen, dass in diesen Zeiten ganz andere Dinge wichtiger sein können, unabhängig von der tatsächlichen Rechtslage und unabhängig von den umständlichen und meist ohnehin vergeblichen Bemühungen um „Unmöglichkeit“ oder „Höhere Gewalt“. Denn: Einem Unternehmen bringt erstens der beste Anspruch nichts, wenn die Gegenseite Insolvenz anmelden muss; dann kommen im Gegenteil nur weitere unnötige Kosten hinzu. Zweitens ist festzustellen, dass die gerichtliche Durchsetzung eines Anspruchs momentan sehr viel langsamer abläuft als dies ohnehin bereits der Fall ist – es kann mehr als ein halbes oder sogar ein ganzes Jahr vergehen, bevor überhaupt auch nur die erste mündliche Verhandlung anberaumt wird. Schließlich ist drittens gerade bei Lieferverträgen zu berücksichtigen, dass sich Unternehmen häufig in einer Sandwich-Lage befinden und sowohl Käufer (vom Lieferanten) als auch Verkäufer (gegenüber dem Kunden) sind – dann müssen die nächsten rechtlichen Schritte sorgsam nach beiden Richtungen abgestimmt werden, um coronabedingt nicht gänzlich Schiffbruch zu erleiden.
Das gilt insbesondere für die nun hoffentlich bald anbrechende „Post-Coronazeit“: Erweist sich der in guten Zeiten zuverlässige Geschäftspartner in der Krise als querulatorisch und egoistisch, wird sich das Gegenüber hinterher zweimal überlegen, weitere Geschäfte mit einem solchen „Partner“ zu betreiben – umgekehrt kann sich Vertragstreue in der Krise hinterher doppelt auszahlen, unabhängig von „Störung der Geschäftsgrundlage“, „Unmöglichkeit“ oder „Höherer Gewalt“.
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