„Es müsste eine Befähigungswelle losgetreten werden“

Peter Holst-Glöss ist bei der Zwei P Plan: Personal gGmbH in Hamburg beschäftigt und leitet dort das Projekt Hamburger Weiterbildungsbonus.

INTERVIEW Peter Holst-Glöss, Projektleiter des Hamburger Weiterbildungsbonus, über die Qualifizierung in Zeiten der Pandemie

Hinterher ist man meist schlauer. Das gilt auch für Pandemien. Natürlich hat der Shutdown Mitte März viele Unternehmen vor massive Probleme gestellt und Mitarbeiter in Sorge um den Job versetzt. Plötzlich hatten viele Menschen in Deutschland an ihrem Arbeitsplatz nichts mehr zu tun, mussten in Kurzarbeit oder die Zeit anderweitig überbrücken. Das wäre eigentlich die geeignete Gelegenheit für eine Qualifizierungsmaßnahme gewesen. Aber dazu ist die Stimmung in Krisenphasen in der Regel zu angespannt. Wie sich Corona auf den Hamburger Weiterbildungsbonus ausgewirkt hat, beantwortet Projektleiter Peter Holst-Glöss von der Zwei P Plan:Personal gGmbH im Interview mit B&P-Redakteur Wolfgang Becker.

Die Corona-Krise hat vielen Unternehmen eine Zwangspause und vielen Mitarbeitern unerwartete Freizeit beispielsweise durch Kurzarbeit beschert – sorgen Großereignisse dieser Art für eine verstärkte Nachfrage nach Weiterbildungsmaßnahmen?

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Die Nachfrage ist hoch, aber auch differenzierter geworden. Die Formate mussten sich ändern. Schließlich konnten die Bildungsträger ja keinen Präsenzunterricht anbieten und haben sehr schnell reagiert. Es wurden etwa 15 Prozent der Weiterbildungen umgestellt auf Online-Formate. Bei den Sprachen geht das ja einigermaßen schnell, aber bei vielen Fortbildungen ist auch Präsenz erforderlich. Insgesamt haben wir 311 Fortbildungen identifiziert, die sich verschieben, ausfallen oder an einem anderen (unbestimmten) Termin neu starten werden. Bei einem Fünftel wissen wir, dass die Fortbildungen storniert wurden. Wir müssen jetzt jeden einzelnen Fall prüfen und individuell, gegebenenfalls auch mit den Bildungsträgern, nach Lösungen suchen. Auffällig war, dass weniger von kleinen Unternehmen zusätzliche Nachfragen kamen, sondern eher die Mitarbeitenden von größeren Firmen mit mehr als 250 Beschäftigten nach Fortbildungs- und Fördermöglichkeiten während der Kurzarbeit fragten.

Die deutsche Wirtschaft steht nach wie vor unter Schock, beginnt aber langsam, sich zu erholen. Jetzt heißt es, verlorene Umsätze wieder reinzuholen und unbearbeitete Aufträge abzuarbeiten. Wie wirkt sich das aus Ihrer Sicht auf das Weiterbildungsthema aus?

Nun es ist schon so, dass bei Vollauslastung der Unternehmen kaum Platz für Fortbildungen bleibt. Da haben wir auch vor der Corona-Krise schon gespürt. Beim Handwerk mit seiner Vollauslastung ist gerade bei den Kleinstbetrieben kaum etwas zu machen. Obwohl es einige Möglichkeiten gibt, die auch über Fördermittel gesteuert werden können. Ich denke da an Inhouse-Schulungen, für die die Mitarbeiter nicht noch extra zum Ort des Unterrichts fahren müssen. Natürlich spielen auch Online-Angebote eine Rolle.

Aus anderen Dienstleistungsbereichen wird eine verstärkte Nachfrage nach Beratung und Unterstützung gemeldet – gibt’s das auch für Ihren Bereich?

Ja, der Beratungsbedarf ist gestiegen. Unser Beraterteam hat natürlich zunächst einmal die Ausfälle und Verschiebungen bearbeitet. Es kamen Anfragen, die sich insbesondere mit einer langfristigen Perspektive beschäftigten, weil ja die Bildungseinrichtungen auch geschlossen haben. Und es wurden – wie gesagt – die Online-Angebote stärker nachgefragt. Der Bedarf an Beratung war auch bei Selbstständigen ausgeprägter als bei geringer Qualifizierten. Denjenigen, die im Homeoffice waren und Kinder zu betreuen hatten, und dann noch online Fortbildungen stemmen wollten, denen haben wir dann auch Mut gemacht, die Dinge gelassener anzugehen. Nichts ist frustrierender, als eine Fortbildung abzubrechen. Was wir gespürt haben, ist ein Aufschwung bezüglich der Digitalisierung. Die Nachfrage stieg gewaltig.

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Corona hin, Krise her – die Themen Fachkräftemangel, demografischer Wandel und Qualifizierung sind von dem Virus nicht dahingerafft worden. Welche Botschaft senden Sie an die Beschäftigten in der derzeitigen Situation?

Experten sprechen davon, dass die Krise auch ein Impuls für Wandel sein kann. Man wird sich anders mit diesen Themen befassen müssen. Bei wie vielen Unternehmen ging es auf einmal, dass digital kommuniziert wurde. Nun ist man deshalb nicht sofort ein digital native, nur weil man ein Konferenz-Tool benutzen kann. Genau davor sollte gewarnt werden. Ziel muss es doch eher sein, die Erneuerungen in der Selbst- und Firmenorganisation aufzunehmen und entsprechende strukturierte Fortbildungen anzubieten und zu nutzen. Eigentlich müsste nun eine Befähigungswelle losgetreten werden, mit welcher der digitale Wandel in den Unternehmen auch bewältigt werden kann. Und dazu ist es notwendig, strukturierte Bildungsangebote zu schaffen, die auf die Nachfrage eingehen. Sonst haben wir nicht nur den Fachkräftemangel, sondern zusätzlich einen Mangel an digitalen Kompetenzen.

Der Hamburger Weiterbildungsbonus ist ein erfolgreiches Förderprogramm, das speziell in der Hansestadt angeboten wird. Es richtet sich in erster Linie an die Mitarbeiter in den Unternehmen. Wie kommt ein Interessent in den Genuss dieser Förderung?

Antrag stellen! Ehrlich, wir machen das Programm seit zehn Jahren und können mit Fug und Recht sagen, dass die Antragstellung sehr smart ist. Wer in Hamburg arbeitet oder lebt, kann in den Genuss einer Förderung kommen. Dabei schauen wir nicht nur auf den Hamburger Weiterbildungsbonus, sondern haben auch die anderen Fördermittel von Bund und Ländern im Blick. Wir helfen auch beim Ausfüllen, gerade bei Sprachschwierigkeiten kann das schon wichtig sein. Die Mitarbeiter müssen also die Förderung beantragen. Sie stehen im Mittelpunkt der Förderung; ihr persönliches Profil entscheidet über die Förderhöhe. Sie erhalten die Förderung aber immer in Abstimmung mit dem Unternehmen. Die geförderte Qualifizierung soll insbesondere arbeitsplatzbezogen sein und den einzelnen Menschen sowie das Unternehmen unterstützen. Also: Arbeitsplätze erhalten, Menschen entwickeln und das Unternehmen am Markt stärken.

Die politische Entscheidung, das Programm nach zehn Jahren weiterzuführen, ist noch nicht endgültig gefallen. Gibt es schon konkretere Signale aus der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familien und Integration?

Nein, noch ist sie nicht gefallen. Aber nach Rücksprache mit der Behörde wurde das Projekt um ein halbes Jahr verlängert. So können die verschobenen, unterbrochenen oder später begonnenen Qualifizierungen zu Ende geführt werden. Der Weiterbildungsbonus ist ein von der Stadt und dem Europäischen Sozialfonds aufgelegtes Projekt. Wie sich die EU-Förderungen in Zeiten wie diesen auswirken, ob die Programme eins zu eins übernommen werden können, wie viel Geld zur Verfügung gestellt wird, ist noch in der Diskussion. Aber eines kann jetzt schon gesagt werden: Mit dem Weiterbildungsbonus wurde nicht nur ein probates Fördermittel initiiert, das einige Lücken füllt und auch das Bildungsangebot erweitert. Sondern es wurde auch ein System geschaffen, das Förderungen sehr transparent aufzeigt, welches die eigene Kofinanzierung organisiert und das schnell auf Veränderungen und Anforderungen zum Beispiel durch Subprogramme reagieren kann.

Web: https://www.weiterbildungsbonus.net/