„. . . solange wir die Kontrolle haben!“

Andreas Sommer (von links), Vorstandschef der Sparkasse Harburg-Buxtehude, Referentin Thea Dorn, Sonja Hausmann, Vertriebsvorstand der Sparkasse, und Moderator Andreas Franik boten den gut 300 Gästen viel Stoff zum Diskutieren. Fotos: Niels Kreller

Jahresempfang der Sparkasse Harburg-Buxtehude: Schriftstellerin Thea Dorn über KI und den gesunden Menschenverstand.

An dem Begriff Künstliche Intelligenz, kurz KI, scheiden sich die Geister: Was für den einen die Fahrkarte in die Zukunft mit vielfältigen Chancen und sozusagen lebensverbessernden Maßnahmen ist, ist für den anderen der Wiedereintritt in die Unmündigkeit – also quasi ein sich abzeichnender Rückschritt in der menschlichen Entwicklung. Vor diesem doch etwas diffusem Hintergrund nutzte die Sparkasse Harburg-Buxtehude die große Bühne des traditionellen Jahresempfangs im Hotel Lindtner, um eine kritische Stimme zu Wort kommen zu lassen: Thea Dorn, Literaturkritikerin, Drehbuchautorin (Tatort) und Schriftstellerin, näherte sich dem Thema von der philosophischen Warte aus und gab den mehr als 300 Gästen reichlich Gelegenheit, über das Gehörte zu diskutieren.

„Langeweile
ist das neue Sexy“

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Dass radikale Veränderungen anstehen, ist allgemeiner Konsens. Das betonte auch Andreas Sommer, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Harburg-Buxtehude: „Die Welt verändert sich – und das in einem rasanten Tempo. Wir müssen bereit sein, uns ebenfalls zu bewegen. Ein ‚Weiter so‘ gibt es nicht mehr. Das gilt auch für unsere Sparkasse.“ Sommer nannte die drei Megatrends, mit denen die Finanzwelt zu kämpfen hat: Nachhaltigkeit, Digitalisierung und die Niedrigzinsphase. Da die Sinnfrage gerade bei den nachrückenden Generationen immer mehr in den Vordergrund rückt, sieht Sommer die dem Gemeinwohl verpflichtete, öffentlich-rechtliche Sparkasse gut aufgestellt, denn sie stelle sich der gesellschaftlichen Verantwortung. Sommer: „Lange wurde diese Haltung als langweilig und veraltet abgetan. Die Sparkasse – der Dinosaurer der Bankenwelt. Ich aber sage Ihnen: Langweilig ist das neue Sexy.“

Die Digitalisierung sorgt für einen Umschwung, der zu noch stärkeren Veränderungen führen wird, denn disruptive neue Finanzanbieter machen den geerdeten Instituten das Leben schwer.

Sommer: „Was können wir den FinTechs und Digitalbanken entgegensetzen? Unsere Nähe zum Kunden!“ Mit Technik sei nicht alles zu lösen, denn Technik haben am Ende alle Anbieter auf dem Markt. „Der eigentliche Wettbewerb in Zeiten der Digitalisierung findet an der Schnittstelle zum Kunden statt.“

Ein für Sparkassen und Banken bitteres Thema ist die Zins-Situation – Null- oder gar Minuszins bedeutet den Zusammenbruch eines wesentlichen Teils des Geschäftsmodells. Vor diesem Hintergrund konnte Sommer aber versöhnliche Zahlen für 2019 vermelden: Der Zinsüberschuss lag mit 70,2 Millionen Euro nur drei Prozent unter dem Vorjahr: „Das ist beachtlich, wird sich aber so nicht fortsetzen. So viel steht fest.“ Die Steigerung des Provisionsgeschäfts um fast vier Prozent auf 34,4 Millionen Euro konnte den Rückgang bei den Zinserträgen nicht kompensieren. Das Kreditgeschäft legte mit sechs Prozent deutlich zu.

Wie paradox die aktuelle Situation ist, machte Sommer an einem Beispiel deutlich:

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„Wenn ein Anleger heute eine Bundesanleihe mit zehnjähriger Laufzeit kauft, so bekommt er für 10 257 Euro eingezahltes Kapital in zehn Jahren noch exakt 10 000 Euro raus. Das ist die Realität.“

Andreas Sommer

„Echte Vernunft gegen
Künstliche Intelligenz“

Mit Künstlicher Intelligenz werden sich all diese Probleme zwar nicht unbedingt lösen lassen, aber der Blick, den Thea Dorn auf das Thema warf, schaffte zumindest ein wenig Gelassenheit. Ihr Thema: „Echte Vernunft gegen Künstliche Intelligenz“. Auch sie sieht zwei Pole: hier die Angst vor der fortschreitenden Verblödung des Menschen, dort die euphorische Einschätzung, wonach das Menschsein nun eigentlich erst richtig anfange. Disruption, also die Verdrängung etablierter Technologien und Prozesse durch neue Technologien, sei ein konsequenter Schritt in der Entwicklung. Als Beispiele nannte die Referentin den Buchdruck, das erste Telegramm und natürlich die Industrialisierung. Neu sei die Geschwindigkeit:

„Hätte Luther Goethe besucht, so hätte er kaum einen großen Unterschied festgestellt – obwohl 200 Jahre dazwischen liegen. Heute geht alles rasend schnell, und es sind fast alle Lebensbereiche betroffen.“

Thea Dorn

Ein Beispiel: digitale Uhren, die Vitaldaten speichern und auswerten. Thea Dorn: „Wird das irgendwann zur Pflicht? Und falls ja, bekomme ich keinen günstigen Krankenkassentarif, weil die Datenlage dagegen spricht?“ Ihre Prognose: „Wir werden uns in den nächsten Jahren massiv, und zwar sehr massiv, mit der Frage auseinandersetzen, ob wir uns durch KI rigiden Überwachungstechniken oder nur Steuerungstechnologien aussetzen wollen. Wir sollten die eigene Urteilskraft nicht an der Garderobe abgeben. KI-Systeme sind im Grunde hochspezialisierte Fachidioten. Das ist kein Problem, solange wir die Kontrolle haben.“ wb