B&P-GESPRÄCH „Omni-Kanal-Vorstand“ Ulrich Stock über die Digitalisierung, die Zukunft der Filiale und die Verantwortung in den ländlichen Gebieten.
Die Finanzwirtschaft steht mitten in einem radikalen Umbruch, der vor allem auch die Volksbanken und Sparkassen herausfordert. Grund: Sie haben traditionell eine enge Bindung zum Kunden und eine hohe Präsenz in der Fläche – sprich: ein historisch gewachsenes Filialnetz. Das Internet und nicht zuletzt die Digitalisierung sorgen seit Jahren dafür, dass diese Finanzdienstleister einen zunehmend schmerzhaften Spagat hinlegen müssen, denn obwohl Online-Banking in der Fläche mit Filialen deutlich bequemer ist, schneller geht und lästige Wege erspart, gibt es nach wie vor auch den klassischen Filialbesucher. Wie ist es also zu schaffen, eine Mischung aus Kundennähe und digitaler Nähe zu realisieren? Und wie lassen sich diese beiden Kanäle zum Kunden durchlässig machen? Die Volksbank Lüneburger Heide eG, mit 49 Filialen und etwa 4800 Quadratkilometern Marktgebiet zwischen Hamburg-Neuenfelde und Schwarmstedt sowie Wistedt und Amt Neuhaus oder Dahlenburg, hat mit Ulrich Stock nun einen Fachmann in den Vorstand berufen, der gezielt das Thema „Omni-Kanal“ spielen soll. Der 39-Jährige, zuletzt Vorstandsvorsitzender der deutlich kleineren VR-Bank Bamberg, setzte sich unter 40 Mitbewerbern durch. Was nicht wundert – seine Ideen zur Präsenz der Volksbank in der Fläche sind weitreichend und durchaus revolutionär.
Volksbankkunden in der Lüneburger Heide dürfen sich jetzt auf eine zukunftsweisende Innovation freuen, die derzeit in der Filiale Ramelsloh getestet wird. Ein Pilotprojekt. Dort wurde vor wenigen Wochen ein besonderer Bildschirm aufgestellt. Eine leichte Berührung auf dem Touchscreen, und schon erscheint auf dem Bildschirm ein Mitarbeiter aus dem DialogCenter der Volksbank und hilft bei allen Themen, die bislang am „Schalter“ ausgeführt wurden. Einen Dauerauftrag ändern? Einen Kleinkredit beantragen? Schwierigkeiten bei der Überweisung? Fragen zum Online-Banking? Wer all dies online nicht schafft oder möchte, der bekommt hier in Echtzeit Hilfe – und zwar von einem leibhaftigen Bankmitarbeiter, der in einem der beiden DialogCenter in Nenndorf oder Soltau arbeitet und telefonische Anfragen bearbeitet. Er wird live zugeschaltet.Das Neue: Der Ansprechpartner im DialogCenter erscheint auch zu Zeiten, wenn in der Filiale niemand mehr arbeitet.
Ulrich Stock: „Unser Ziel ist es, den Spurwechsel zwischen den verschiedenen Kanälen zu ermöglichen. Tatsächlich haben wir Kunden, die nur online unterwegs sind, und andere, die nur die Filiale nutzen. Der größte Anteil nutzt jedoch beide Kanäle. Da die Filialen aber zunehmend schwach frequentiert werden, müssen wir unser zentrales Angebot dezentral organisieren – zum Beispiel, indem wir unseren Service per Bildschirm ergänzen.“
„Unser Ziel:
der Spurwechsel“
Ramelsloh ist derzeit das Pilotprojekt, doch Ulrich Stock kündigt an, dass noch in diesem Jahr weitere Filialen mit der Technik ausgestattet werden. „Das wird später noch komfortabler, aber wir wollen erstmal Erfahrungen sammeln.“ In Ramelsloh sind zu den Öffnungszeiten derzeit nach wie vor Mitarbeiter präsent, aber die sollen sich auf Beratung konzentrieren. Die Volksbank unternimmt den Versuch, Beratung und alltägliches Servicegeschäft zu trennen und unabhängig voneinander zu machen. Letzteres soll in Zukunft einheitlich von 8 bis 19 Uhr angeboten werden. Tendenziell werde dies zu einer Verlagerung der Filialarbeitsplätze in die DialogCenter führen, sagt Ulrich Stock: „Das ist unsere am stärksten wachsende Abteilung. Wir ziehen uns aber nicht aus der Fläche zurück, sondern werden unter Einbindung moderner Technik weiterhin präsent sein.“
Volksbanken sind genossenschaftlich organisiert, gehören also den Mitgliedern. Und die reden ein Wörtchen mit, wenn überdurchschnittlich große Änderungen anstehen. Das weiß auch Ulrich Stock und sendet sogleich ein Signal: „Ich kann mir auch vorstellen, dass wir unseren Mitgliedern technischen Support anbieten, wenn die Technik zu Hause nicht so läuft wie gewünscht.“ Und damit ist er bereits einen Schritt weiter, denn was heute in Ramelsloh getestet wird, soll mittelfristig auch im privaten Umfeld möglich sein – eine Live-Schaltung mit dem Volksbankmitarbeiter. Von Video-Beratung hält Ulrich Stock allerdings nicht allzu viel: „Erfahrungsgemäß wollen die Kunden zwar sehen, aber nicht gesehen werden, weil das eigene Zuhause als Privatsphäre gilt. Da gibt es ein Akzeptanzproblem. Beratungsformate ohne Sichtkontakt funktionieren dagegen sehr gut.“
Das Projekt
„FinanzPunkt“
Der sich bundesweit abzeichnende Rückzug der Filialen aus den ländlichen Gebieten ist allerdings nicht nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern hat auch politische Aspekte. Ulrich Stock: „In vielen Dörfern sind die Läden verschwunden. Am Ende schließen der örtliche Wirt und Bäcker. Und wir sind dann meistens die Letzten. Wenn wir dann schließen, ist das ein ganz bitteres Signal. Ich denke, dass es in der Fläche auch noch andere Möglichkeiten abseits der eigenständigen Volksbank-Filiale geben kann. Warum nicht eine Kooperation mit einem Supermarkt oder einem Energieversorger eingehen? Da sind ganz viele Dinge möglich.“
Einen wirklich bemerkenswerten Weg beschreiten die Frankfurter Volksbank und die Taunus Sparkasse, wie Ulrich Stock berichtet. Sie legen 50 Filialen zusammen und richten 26 gemeinsame FinanzPunkte im Hochtaunuskreis ein – eine Kooperation der roten und der blauen Gruppe (Sparkassen und Volksbanken) unter einem Dach. So weit dürfte es in der Nordheide vermutlich in absehbarer Zeit nicht gehen, aber: „Es macht Sinn, sich den Ängsten der Menschen vor Ort zu stellen. In unserer Präambel heißt es: Wir sind Förderer unserer Mitglieder und Kunden. Wir übernehmen Verantwortung in der Region und sind Partner des Mittelstands. Wenn die Versorgung vor Ort ein knappes Gut wird, dann müssen wir ganz neu denken. Und auch ganz neue Geschäftsmodelle kreieren. Wenn ein Kunde über uns beispielsweise leichter an Wohnraum kommen könnte, wäre das doch ein echter Mehrwert! Das kann uns auch davor bewahren, den Kontakt zum Kunden zu verlieren – was heute durch Online-Bezahldienste bereits forciert wird“, sagt der 39-Jährige, der die langfristige Sicherung der Kundenschnittstelle im Blick hat. Dennoch hält er die Filialen Stand heute für sehr relevant: „So lange, wie für komplexe Bankgeschäfte der persönliche Kontakt nötig ist.“ wb
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