„Die Stunde des Südens hat geschlagen“

Interview in der kreativen Atmosphäre des hit-Technoparks: Dr. Olaf Krüger (rechts) und Christoph Birkel. Foto: Wolfgang Becker

INTERVIEW Zwischenbilanz nach 15 Jahren Süderelbe AG – Vorstandschef Dr. Olaf Krüger und Aufsichtsratschef Christoph Birkel im Gespräch mit B&P .

Die Süderelbe AG mit Sitz in Harburg ist eine der vielleicht ungewöhnlichsten Institutionen, die die Wirtschaft in der Metropolregion Hamburg zu bieten hat. Als sie vor 15 Jahren auf Initiative der Süderelbe Landkreise gegründet wurde, war sie in manchen Augen ihrer Zeit voraus, denn längst nicht jeder hatte verstanden, dass Wirtschaftsstandorte in einer zunehmend globalen Welt nur durch Vernetzung und Kooperation bestehen können. Und dass das durch Zusammenarbeit zustande kommt. Hamburg und das Umland – das ist eine besondere Geschichte, die nicht immer nur von positiven Erinnerungen geprägt ist. Doch der Wind hat sich gedreht. Hamburg braucht das Umland, und das Umland braucht Hamburg. Die Verbindung in den niedersächsischen Teil stellt die Süderelbe AG dar – eine grenzüberschreitende Institution, getragen von Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlicher Hand, die den Weg von der einstigen „Wachstumsinitiative“ in Richtung Think­tank eingeschlagen hat. Ob dieses Ziel erreicht wird, ist eine politische Frage. Und eine des Geldes. Mit dem Vorstandsvorsitzenden, Dr. Olaf Krüger, und dem Aufsichtsratsvorsitzenden, Christoph Birkel, sprach B&P-Redakteur Wolfgang Becker

15 Jahre Süderelbe AG – sind die Ziele, die damals gesteckt wurden, erreicht? Und gilt der ursprünglich gesteckte Rahmen heute noch?

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Birkel: Die Gründungsidee der Gründerväter ist aktueller denn je. Die Idee ist das grenzüberschreitende Zusammenarbeiten. Damals war das ein revolutionärer Ansatz, der aber nichts von seiner Aktualität verloren hat. In einer schneller und komplexer werdenden Welt ist es umso wichtiger für uns im Süderelbe-Bereich und natürlich in ganz Hamburg und ganz Deutschland, gemeinsam Themen voranzubringen. Nur so werden wir die Herausforderungen der Zukunft meistern können. Und ich wage mal die Behauptung: Ob wir es heute noch einmal so hinkriegen würden, eine Institution wie die Süderelbe AG zu gründen, da bin ich mir nicht sicher. Deshalb ist es gut, dass es sie gibt, und wichtig, dass wir sie voranbringen und das Kirchturmdenken noch weiter abbauen.

Krüger: Wenn es die Süderelbe AG noch nicht gäbe, müssten wir sie heute gründen.

Das Besondere, das damals passierte: Es gelang, die Hansestadt Hamburg mit ins Boot zu holen. Hat sich diese Zusammenarbeit eigentlich bewährt? Lassen sich irgendwelche konkreten Entwicklungen festmachen?

Krüger: Was ich in den gut fünf Jahren wahrgenommen habe, in denen ich dabei bin: Hamburg schätzt es, dass wir ansprechbar sind, wenn es um Themen geht, die Nordniedersachsen betreffen – und andersherum genauso. Es geht heute gar nicht mehr ohne Zusammenarbeit. Was sich ein bisschen, aber noch nicht entscheidend geändert hat: Förderpolitik macht immer noch an den Landesgrenzen halt. Das erschwert ganz praktisch unsere Arbeit.

Gibt es auf dieser Baustelle denn Bewegung?

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Krüger: Ja, wir haben Einzelbeispiele, aber die Förderpolitik ist in höchstem Maße bürokratisiert – das macht es uns häufig schwer, konkrete Projekte umzusetzen.

Herr Birkel, wie nehmen Sie als Niedersachse das Thema Zusammenarbeit wahr?

Birkel: Hamburg hat erkannt, dass die Stadt eigentlich nur noch im Süden zu bezahlbaren Preisen maßgeblich wachsen kann. Die Stunde des Südens hat geschlagen. Und damit auch der Süderelbe AG. Die Entwicklung Richtung Buxtehude ist doch unübersehbar. Ich denke: Das ist eine große Chance, denn es entstehen neue Themen: zum Beispiel Mobilität. Das sind Dinge, die wir nur gemeinsam lösen können. Auch über Grenzen hinweg, und da haben wir so ein herrliches Konstrukt wie die Süderelbe AG, über die sich das abwickeln lässt.

Krüger: Wir haben für die Süderelbe-Region gerade einen Projektantrag für ein Förderprojekt des Bundes im Bereich Mobilität gestellt. Ab Oktober 2020 soll in der Region eine neue Nahverkehrsmöglichkeit angeboten werden. Geplant ist als Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs ein Shuttle on Demand Service im ländlichen Raum für Pendler-, Versorgungs- und Freizeitverkehre. Ziel ist es, die Standortattraktivität für Wohnen und Arbeiten zu erhalten und zu stärken. Das Projekt ist ein Baustein des vom Bundesverkehrsministerium geförderten RealLabHH. Die Ergebnisse werden auf dem ITS-Kongress im Oktober 2021 in Hamburg vorgestellt. Für solche Themen ist die Süder­elbe AG geschaffen worden. Da fließen Fördermittel des Bundesverkehrsministeriums nach Hamburg und werden teilweise nun auch nach Niedersachsen transferiert.

Das ist doch ein positives Beispiel . . .

Krüger: Wir adressieren einen ganz klaren Wunsch an die Politik: Es muss im Bereich der Förderpolitik zukünftig möglich sein, mit Hamburger Fördermitteln niedersächsische Partner mitzunehmen und mit niedersächsischen Fördermitteln Hamburger.

Herr Birkel, über den ITS-Kongress und das Thema Mobilität haben wir eben schon gesprochen, gibt es weitere Themenfelder, die mit Blick auf die kommenden fünf Jahre für die Süderelbe AG relevant werden könnten?

Birkel: Ich denke, wir müssen viel mehr Lobbyarbeit betreiben – auch in Hannover. Und ein Bewusstsein für den grenzübergreifenden Ansatz schaffen. Konkrete Themen wird uns die Wirtschaft benennen, denn es geht hier ja wesentlich um Wirtschaftsförderung.

Krüger: Wirtschaftsförderung funktioniert heute ja nicht mehr wie vor 20 Jahren – bisschen Bestandspflege, bisschen Marketing und Ansiedlungen. Fertig. Die Kernfrage lautet vielmehr: Was sind die Bedürfnisse der Unternehmen in unserer Region und was leiten wir daraus ab? Was tut sich in der Region? Und in der ganzen Welt. Wir müssen vor allem im Bereich der wissensbasierten Branchen stärker werden und enger zusammenarbeiten. Da haben wir im Vergleich zu anderen Metropolregionen Nachholbedarf.

Damit kommen Sie aber nicht nur an die Landesgrenzen, sondern an die Tür jedes einzelnen Wirtschaftsförderers. Wir haben eine vielfältige Wirtschaftsförderungsszene – bis hinunter auf die Ebene einzelner Kommunen. Wäre es nicht an der Zeit, über eine Reform der regionalen Wirtschaftsförderungsstruktur nachzudenken und aus den vielen kleinen Kirchtürmen einen großen Leuchtturm zu machen?

Krüger: Ganz konkret schlägt die OECD genau das ja vor. Ich habe in der Vergangenheit immer von einem „abgestimmten Wirtschaftsförderungssystem für die Region“ gesprochen. Das wäre zumindest ein erster Schritt. Es gibt Aufgaben, die kann ich nur im engen Kontakt mit den Stadtverwaltungen lösen; und es gibt übergeordnete Themen, Beispiel Fachkräfte, die größer gedacht werden müssen.

Lassen Sie uns mal über ein heikles Thema sprechen: zum Beispiel ein gemeinsames Gewerbeflächen-Konzept . . .

Krüger: Schönes Beispiel. Damit wollen wir uns jetzt beschäftigen – zunächst mit einer Gewerbeflächen-Bedarfsprognose. Aber richtig ist: Wir können keine Zukunft gestalten, wenn sich jede Gemeinde allein mit der Frage beschäftigt, welches Gewerbegebiet sie entwickeln möchte. Interkommunale Gewerbegebiete sind ein Ansatz, wenn ich ein überregionales Angebot schaffen will.

Ein konkretes Beispiel: Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann lässt keine Gelegenheit aus, für das Thema Wasserstoff zu werben. Auf niedersächsischer Seite dasselbe. Hier entsteht der Eindruck: Jeder kämpft für seinen Claim.

Birkel: Das ist ein herrliches Beispiel, weil man jetzt erkennt, dass dieses Thema als Stadtstaat allein gar nicht zu bewältigen ist. Da ist ganz Norddeutschland gefragt. Ein prädestiniertes Thema, um gemeinsam zu handeln. Und das wird ja auch getan.

Und wer sagt am Ende wem, was er machen soll und was nicht? Wer entscheidet?

Birkel: Das ist eine politische Frage. Auf der Ebene der Wirtschaftsförderer wird die Notwendigkeit der engeren Kooperation meines Erachtens durchaus erkannt, aber die Politik ist offenbar häufig noch nicht so weit. Natürlich bedeutet das am Ende, dass ich auch mal was abgeben muss, aber dafür bekomme ich an anderer Stelle auch wieder etwas dazu. Das Kirchturmdenken in der Politik muss abgebaut werden. Meine Prognose: Der Druck wird noch wesentlicher stärker werden. Damit erhöht sich dann auch die Bereitschaft zur engeren Zusammenarbeit. Die Zeit spielt für uns. Auch im Zusammenspiel mit Hamburg.

Krüger: Natürlich ist die Hansestadt in vielfältiger Weise ein Bezugspunkt. Bislang war es zumeist so, dass mit Hamburg nicht auf Augenhöhe gesprochen werden konnte. Aber mein Eindruck ist: Das hat sich verändert. Hamburg ist selbst mit seinen 1,8 Millionen Einwohnern zu klein, um international mitzureden. Hamburg braucht die Region, um an Gewicht zu gewinnen. Und die Region profitiert von Hamburg – das sollte nicht außer Acht gelassen werden.

Birkel: Wir müssen Hamburg wachsen lassen. Sonst bekommen wir Verhältnisse wie in Berlin – mit sozialem Unfrieden. Deshalb ist es wichtig, dass sich der Speckgürtel gemeinsam mit Hamburg ein Konzept überlegt.

Jetzt kommen wir zum Kern des Gesprächs: Wenn Hamburg wachsen will, muss es das außerhalb tun.

Birkel: Ja natürlich.

Aber das wäre dann ja quasi außerhalb des städtischen Einflusses – wie soll das gehen?

Krüger: Kommt drauf an, was wir unter Wachstum verstehen . . .

. . . zum Beispiel Wirtschaftswachstum. Müsste ich nicht als Hamburger Bürgermeister dafür sorgen, dass nicht jeden Morgen Hundertausende in die Stadt hineinpendeln und alles verstopfen? Wäre es nicht viel besser, wenn die Menschen dort arbeiten könnten, wo sie wohnen? Aber auch die Frage: Kann Hamburg das ob des drohenden Verlustes der verschiedenen Steuern gut finden?

Birkel: Ich glaube, am Ende schon. Weil es in der Innenstadt einfach so voll und so teuer wird, dass sie Diskussionen mit den Bürgern bekommen, die wirklich keine Partei haben will.

Krüger: Es wird eine natürliche Differenzierung geben. Das Unternehmen, das Fläche braucht, wird auf Dauer nicht mehr fündig. Im Gegenzug wird Hamburg bestimmte Dienstleistungen an sich binden.

Gemeinsam wachsen und entwickeln, hieße ja auch, gemeinsam zu entscheiden – haben wir dafür überhaupt die Gremien?

Krüger: Es gibt auf der Ebene der Metropolregion entsprechende Gremien, aber zu wenig Kompetenzen. Es könnte unsere Aufgabe sein, solche Entscheidungen vorzubereiten und politisch dafür zu werben. Wir haben es in den 15 Jahren geschafft, ein großes Netzwerk zwischen Hamburg und Niedersachsen zu schaffen. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal.

Wo steht die Süderelbe AG in fünf Jahren?

Krüger: In fünf Jahren ist sie zu einem echten Think-tank für die Region geworden. Was allerdings die entsprechende Ressourcen-Ausstattung voraussetzt. Heute können wir das so noch nicht leisten.