INTERVIEW Christoph Birkel (hit-Technopark) und Birgit Detig (Hamburg Invest) über das Mobilitätskonzept der Harburger Wirtschaft
Die Einrichtung einer Testzone für alternative Mobilitätssysteme in Harburg ist aus der Phase der Ideenfindung (siehe Seite 4) heraus und steht nun an der Schwelle der Umsetzung. Die Vorstellungen der Harburger Wirtschaft werden von der Hamburg Invest Entwicklungsgesellschaft (HIE) begleitet. Mit Christoph Birkel, Geschäftsführer des hit-Technoparks, und HIE-Geschäftsführerin Birgit Detig sprach B&P-Redakteur Wolfgang Becker.
Herr Birkel, früher reichte es der Immobilienbranche, Büroflächen oder Hallen anzubieten – heute sehen wir Immobilien in der Regel immer auch im Zusammenhang mit dem Thema Mobilität. Haben sich die Zeiten verändert?
Birkel: Eigentlich hat es sich nicht verändert, denn wenn Sie ein Gebäude haben, müssen die Leute irgendwie hinkommen. Es ging also immer um „Lage, Lage, Lage“. Aber heute entwickeln wir Immobilien ja nicht nur in den A-Lagen, sondern teilweise auch in Lagen, die logistisch noch nicht so gut erschlossen sind. Die Frage der Erreichbarkeit ist also umso wichtiger. Hinzu kommt: Mobilität verändert sich. Bislang kamen die Leute mit dem Auto, das war’s. Die nächste Generation hat eventuell gar kein Auto mehr. Die Stadtlagen betrifft das nicht, denn da fährt im Zweifel der Bus oder die Bahn. In den Randlagen, und da zähle ich jetzt auch mal Harburg dazu, ist das ein ganz anderes Thema. Bei uns im hit-Technopark kommt der Großteil der Menschen, die dort arbeiten, aus den Landkreisen – und das heißt: mit dem Auto. Sie haben gar keine Alternative.
Was bedeutet das perspektivisch?
Wenn wir uns in den Randlagen mal fragen, wie unsere Kinder in 20 oder 30 Jahren zu uns kommen, müssen wir erkennen: Das wird schwierig. Wenn sie kein Auto haben, kommen sie nicht zu uns und ziehen eher Richtung Innenstadt, eben Richtung Mobilität. Folge: Dort wird es noch voller und noch teurer. Dann haben wir in Hamburg irgendwann Berliner Verhältnisse – und das ist nicht schön.
Wie lautet Ihre Schlussfolgerung?
Einer der Schlüsselpunkte ist die Mobilität, damit Leute auch einen bezahlbaren Wohnraum finden, was wiederum eher in den Randbereichen der Fall ist. Wenn ich in der Metropolregion lebe, muss ich schnell und günstig jederzeit und ohne eigenes Auto überall hinkommen können. Das ist existenziell für die Immobilien-Wirtschaft.
Frau Detig, Sie haben die Idee der Wirtschaft aufgegriffen, in Harburg eine Testzone für Mobilität einzurichten. Wie weit ist das Projekt gerade auch in Hinblick auf den ITS-Weltkongress 2021 in Hamburg gediehen?
Detig: Die Ideen sind da, es gibt ein Konzept für den Bereich zwischen dem Daimler-Werk und der Ecke Schlachthofstraße/Großmoorbogen. Aber das sind alles Zukunftsvisionen. Es ist nun an uns allen, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um das auch umzusetzen. Da sind die Bürger aufgerufen, die Politiker und die Wirtschaftsvertreter.
Wir sprechen hier aber nicht über einen neuen Fahrradweg, sondern auch über Zukunftsmobilität . . . ?
Detig: Im Bereich der Fahrradwege hat Hamburg schon sehr viel getan, das muss man auch mal sagen. Aber es reicht eben nicht aus, wenn wir an Zukunftsmobilität denken.
Wir wollen der Welt 2021 ja auch ein bisschen zeigen, was in Hamburg möglich ist. Aber scheitern viele Ideen nicht schon an rechtlichen Bedenken oder fehlenden Regelungen? Wagen wir zu wenig?
Detig: Nein, ich denke, die Offenheit für diese Thematik ist vorhanden. Aber: Nicht zugelassene Fahrzeuge dürfen im öffentlichen Straßenverkehr nicht fahren. Die Verkehrsregeln dienen dem Schutz aller Verkehrsteilnehmer. Neue Mobilitätsanwendungen wie zum Beispiel autonomes Fahren müssen hinreichend sicher sein, bevor sie zugelassen werden können.
Birkel: Ein Beispiel: Der VW-Shuttle-Anbieter Moia fährt in Harburg nicht, weil Harburg einfach zu klein ist. Da müssen wir doch aber trotzdem mal die Frage stellen, wie wir es über intelligente Lösungen hinkriegen, dass Moia doch in Harburg fährt. Dazu brauchen wir Gebiete, in denen einfach mal etwas ausprobiert werden kann. Deshalb möchten wir eine Testzone einrichten. In der Umsetzung visionärer Projekte verlieren wir uns häufig im Klein-Klein. Der ITS-Kongress als Impulsgeber ist gut und ein Innenstadtthema, deshalb wollen wir gerade auch mit dem Hintergrund der TUHH als Ideenschmiede so eine Testzone für zehn oder 20 Jahre einrichten.
Detig: Moia ist im Moment ja noch in der Erprobung. Bis zu 1000 Fahrzeuge dürfen auf die Straße. Da gab es eine Reihe von Gerichtsverfahren. Das ist für die Metropole Hamburg nicht viel und deshalb kann noch nicht die ganze Stadt abgedeckt werden. Ich denke, dass es flächendeckende Angebote spätestens dann geben wird, wenn die Testphase beendet ist und der Regelbetrieb startet. Vielleicht ist es in Harburg schon früher möglich.
Wenn wir über die Testzone in Harburg sprechen: Wo hakt es konkret? Was könnten die nächsten Schritte sein?
Detig: Die Ideenfindung ist abgeschlossen, wir stehen an der Schwelle zur Umsetzung. Das macht es noch einmal schwieriger, denn jetzt geht es ums Geld. Und auch um Personal. Wir sind genau an diesem Punkt – und der ist nicht so ganz trivial zu lösen.
Über wie viel Geld sprechen wir denn?
Detig: Das lässt sich noch nicht konkret sagen, wir sind gerade dabei, das zu erfassen.
Birkel: Die Harburger Wirtschaft hat das Mobilitätskonzept entwickelt. Damit reisen wir jetzt herum und werben für die Ideen. Darunter sind Punkte, die einfach zu lösen sind. Aber am Ende brauchen wir auch E-Scooter, Fahrräder, Autos, Busse, S-Bahnen und Drohnen – alles, was dazugehört. Wo testen wir die Technologien, die kommen? Und wo testen wir beispielsweise auch die Genehmigungswege, damit das nicht alles 100 Jahre dauert? Das Problem: Die Bedarfe der Menschen ändern sich schneller als unsere Möglichkeiten der Umsetzung. Wir können das zwar technisch alles machen, scheitern aber schlussendlich an den Behörden, weil die Umsetzung unendlich lange dauert. Und wenn wir dann endlich mal eine Entscheidung haben, hat sich der Bedarf schon wieder verändert – wir laufen also ständig hinterher.
Detig: Es gibt ja beispielsweise durchaus sinnvolle Einsatzmöglichkeiten für Drohnen – beispielsweise als Vorabcheck bei Autobahnunfällen. Aber das alles so zu regeln, dass es sicher ist, das dauert. Da sind wir Deutschen weit vorn, was ich grundsätzlich ja auch gut finde. Aber andere Länder sind in dem Bereich einfach schneller und experimenteller unterwegs. Dort heißt es: Nicht so viel planen, einfach mal machen. Das ist bei uns eben nicht so einfach. In Hamburg sind wir aber immerhin EU-Modellregion für Drohnen. Da geht vieles schneller als im Rest der Republik.
Birkel: Wir sehen immer die Probleme und zu selten die Chance. Mobilität ist ja auch ein Riesenwirtschaftsfaktor. Da gibt es Startups, da entstehen neue Jobs der Zukunft. Das begeistert Leute. Jeder kriegt das mit. Aber wir sind einfach zu langsam. Ich bin ja auch in der Süderelbe AG aktiv und erzähle den Landräten: Liebe Leute in Stade und Lüneburg, die nächste Generation wird zu euch nicht mehr kommen, um dort zu leben, weil sie nicht mehr zu ihren Arbeitsplätzen in Hamburg kommt und ein Handy wichtiger findet als ein Auto.
Zeichnet sich das schon konkret ab?
Birkel: Ja, die jungen Unternehmen kriegen wir nicht in den Technopark. Da hat gerade noch der Geschäftsführer ein Auto, aber die jungen Mitarbeiter zwischen 20 und 30 nicht. Die Unternehmen ziehen dann wieder weg – und zwar in die Innenstadt.
Welche Rolle spielt das Thema Klimaschutz bei Ihren Überlegungen?
Detig: Mobilitätslösungen und Klimaschutz gehören heute zusammen. Alle unsere Vorschläge sind auch gut für die CO²-Bilanz.
Wann werden wir die Testzone in Harburg konkret einrichten können?
Birkel: Ich wage da keine Prognose, da alles sehr lange dauert, bin aber optimistisch, dass wir das Ziel erreichen können. Mobilität ist die Achillesverse der Zukunft und existenziell wichtig. Einfach gesagt, aber schwierig gemacht: Wir müssen flexibler werden.
Detig: Wir haben die Testzone als Innovationsquartier definiert, denn wir wollen Wissenschaft und Wirtschaft vernetzen. Das ist gewollt, und das macht mich optimistisch, dass wir das Ziel erreichen. Geben Sie uns noch ein bisschen Zeit.