„Zukunft entsteht, wenn Beziehungen gelingen“

Foto: Horst Piezug1000 neue Jobs in den vergangenen zehn Jahren: Matthias Horx sieht den Auswirkungen der Digitalisierung, der Automation und der Robotik eher gelassen. || Foto: Horst Piezug

hit-INNO-Talk: Zukunftsforscher Matthias Horx über Trends, Gegentrends, Komplexitätssprünge und Digitalisierung

Der technische Fortschritt wird nie wieder so langsam sein wie heute“, so sieht es Christoph Birkel, Geschäftsführer des hit-Technoparks in Harburg. Dieser Satz, ausgesprochen bei der Eröffnung des hit-INNO-Talks mit Zukunftsforscher Matthias Horx, dürfte angesichts der fortschreitenden Digitalisierung auf breite Zustimmung stoßen, doch der Referent verstand es auf durchaus unterhaltsame Weise, den Zukunfts-Hype etwas zu entzaubern und ihm damit seinen Schrecken zu nehmen. „Spannende Zeiten“, so Horx zu den rund 150 Zuhörern, „hat es eigentlich immer gegeben. Das fing schon bei den Römern an. Aber mal ehrlich: Wollen Sie in einer langweiligen Zeit leben?“ Nein, das wollen wir natürlich nicht. Und deshalb macht es Sinn, einmal genau hinzuschauen, wie sich die Zukunft entwickeln könnte. Genau dies tut Horx in seinem Zukunftsinstitut (Frankfurt und Wien) gemeinsam mit einem 40-köpfi gen Team. Und dabei ist er auf interessante Mechanismen gestoßen: „Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Vergangenheit manchmal durch die Hintertür wieder hereinkommt? Politisch zum Beispiel?“ Und ob . . .

Seine These: Megatrends erzeugen Gegentrends und geraten dann nach einer Retroschleife auf eine höhere Ebene – der scheinbare Kampf von Zukunft gegen Vergangenheit löst sich in etwas Neuartigem auf. „Wir nennen das Rekursion – eine Schleife, die zu einem Komplexitätssprung führt“, so Horx. Klingt zunächst einmal sehr theoretisch. Deshalb hatte der Zukunftsforscher ein praktisches Beispiel parat: das Magazin „Vegan“ – das es im Zuge der trendigen Veganer-Bewegung immerhin auf eine Druckaufl age von 100 000 Stück gebracht habe, so Horx. Und dann die Gegenbewegung: „Beef“, das Magazin für Steak-Freaks und den Grillmaster. Horx: „Trend, Gegentrend und nun die höhere Stufe: Flexitarismus. Der Flexitarier isst weniger, aber dafür bewusster Fleisch. Und er will wissen, woher das Fleisch kommt. Das trifft heute auf 35 Prozent der Deutschen zu.“

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Zu den Dutzend Megatrends, mit denen Horx an seinem Institut arbeitet, zählt auch die Globalisierung. Er sagt: „Die Globalisierung führte in den westlichen Industrieländern zum Beispiel zum Offshoring der Industrie nach China. Das hat viele Menschen verunsichert. Mit dem zunehmenden Globalisierungsdruck kommt nun die Gegenbewegung auf: Nationalismus. Nichts anderes erleben wir weltweit.“ Wenn Trump seinen Wählern ‚Make America great again‘ verspreche, dann bediene er exakt den Verlust des Heimatgefühls. Die angelsächsischen Länder seien dabei, ihre Industrien wieder zurückzuholen – das sogenannte Nearshoring. Nationalismus sei jedoch nur der Gegentrend, der nun zu etwas Neuem führen werde. Horx: „Wir nennen das Glokalisierung. Global denken, aber lokale Märkte schaffen.“ Dem Nationalismus gibt er keine Chance: „Der Zug ist längst abgefahren. Wir haben mittlerweile rund um den Erdball abseits der nationalen Grenzen 50 Megacity- Cluster, in denen sich das wirtschaftliche Leben in Zukunft konzentrieren wird. Es bilden sich neue Strukturen.“
Auch die Digitalisierung macht Horx nicht zu schaffen: „Suchen Sie über Google- Search mal Bilder zum Thema Digitalisierung. Da kommen als erstes Grafi ken, die ratlose Männer im Gegenlicht zeigen, Köpfe voller Zahnräder und sich aufl ösende Gehirne.“ Die Gegenbewegung sei beispielsweise im Musikbereich trotz digitaler Dienste wie Spotify & Co. längst da: „Da können Sie theoretisch alles hören und wissen dann irgendwann plötzlich nicht mehr, was Sie eigentlich nochmal hören könnten.

Im Gegenzug laufen die Druckwerke für Vinylplatten rund um die Uhr. 15 Prozent der Musik wird heute wieder auf Schallplatte verkauft – obwohl die schon vor Jahren totgesagt wurde. Es geht um das Gefühl, eine Schallplatte bewusst auszuwählen und aufzulegen. Das ist etwas Besonderes. Auch Polaroids, Lichtschalter im Retrolook, Füllfederhalter und Notizblöcke boomen. Das virtuelle Arbeiten ist krachend gescheitert.“
In der Arbeitswelt sorgen dagegen Roboter für digitale Sorgenfalten – weil sie Menschen Jobs wegnehmen. Dazu Horx: „In den vergangenen zehn Jahren sind etwa 1000 Berufe entstanden, die es vorher nicht gab.“ Darunter zum Beispiel der Hassmoderator – er arbeitet vor allem für Facebook, um Hass-Kommentare auszufi ltern und gegebenenfalls zu entfernen. Horx: „Roboter geben uns die Möglichkeit, uns endlich auf das zu konzentrieren, was menschlich ist.

Die Gefahr ist nicht, dass Computer menschlicher werden, sondern dass sich Menschen verhalten wie Computer.“ Sein Fazit: „Zukunft entsteht, wenn Beziehungen gelingen.“