Durch Raum und Zeit

Auf dem Weg nach oben: Raketen- und Satellitentechnologie aus Bremen spielt in der internationalen Raumfahrt eine herausragende Rolle. Foto: Heumer

Der Mond ist ein Stück näher an die Erde gerückt. Zumindest näher an Bremen. Dass Menschen wieder auf dem Erdtrabanten landen werden, war eines der Kernthemen beim International Astronautical Congress (IAC 2018). Industrie und Wissenschaft aus Bremen gehören zu den Wegbereitern der nächsten Mondlandung.

Für Neil Armstrong war es ein kleiner Schritt für einen Menschen und ein großer für die Menschheit, als er am 20. Juli 1969 als erster Astronaut seinen Fuß auf die Mondoberfläche setzte. Knapp fünf Jahrzehnte später zeichnet sich ab, dass schon bald wieder Menschen zum Mond fliegen werden. „Wir werden dort hinfliegen, und wir werden dort bleiben“, versicherte der neue Chef der amerikanischen Raumfahrtagentur Nasa, Jim Bridenstine, auf dem internationalen Raumfahrtkongress IAC 2018 in der Messe Bremen in einer bis dahin nicht gehörten Deutlichkeit.

Weitgehende Versprechen: der neue Nasa-Chef Jim Bridenstine will Europa und speziell Bremer Unternehmen stärker an der amerikanischen Raumfahrt beteiligen.
Foto: Heumer

Noch wichtiger für Wirtschaft und Wissenschaft in der Hansestadt war allerdings der zweite Satz, den der wichtigste Raumfahrtmanager der Welt sofort hinterher schob: „Wir werden gemeinsam dorthin gehen“, betonte der 42 Jahre alte Republikaner und frühere Kongressabgeordnete mit Blick auf die an der Weser versammelten Spitzen der Raumfahrtagenturen aus Europa, Russland, China, Japan, Kanada und Australien – und schloss später sogar eine Kooperation mit China nicht mehr kategorisch aus. Wenn Bridenstine dieses Versprechen ernst meint, wäre das ein Paradigmenwechsel in der amerikanischen Raumfahrt. Denn seitdem der damalige US-Präsident John F. Kennedy am 25. Mai 1961 den Wettlauf mit den Russen zum Mond eröffnete, hat die Nasa nur ein einziges Mal einen Partner aus dem Ausland an entscheidender Stelle mit ins Raumschiff geholt: Airbus Defence and Space baut am Bremer Flughafen das Service-Modul ESM für das kommende bemannte Raumschiff Orion, mit dem die Amerikaner zum Mond zurückkehren wollen.

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Seit dem IAC ist jetzt klar: Bremer Unternehmen und Wissenschaftsinstitute haben gute Aussichten auf eine weitere intensive Beteiligung am amerikanischen Mondprogramm. Denn am Rande der fünftägigen Mammutveranstaltung zeigte Bridenstine ein reges Interesse unter anderem an dem Airbus-Standort und an OHB-Systems, mit deren Spitzenvertretern sich Bridenstine zu informellen Gesprächen traf.

Begeisterung für die Raumfahrt

Faszinantion Raumfahrt: Autonome Fahrzeuge und Drohnen für die Erkundung von Mond und Mars zogen auch die jüngsten Besucher des Raumfahrtkongresses IAC in den Bann. Foto: Heumer

Mehr als 6200 Teilnehmer und gut die Hälfte von ihnen unter 35 Jahre alt – damit hat Bremen einen neuen Rekord in der mittlerweile 69-jährigen Geschichte des IAC aufgestellt. Mindestens genauso wichtig war es, dass zum öffentlichen Besuchstag rund 13 000 Bremerinnen und Bremer in die Messehallen kamen. Eindrucksvoll zeigten sie, auf welche Begeisterung das Thema Raumfahrt hierzulande trifft und unterstrichen dadurch, dass das kleinste Bundesland nicht nur durch die weltweit einzigartige Zusammenballung von Wirtschaft und Wissenschaft neben Kalifornien der größte Raumfahrtstandort der Welt ist. Dass dieser Fakt selbst der Direktorin des Deutschen Instituts für Luft und Raumfahrt (DLR), Prof. Pascal Ehrendfreund, nicht bekannt war (wie sie bei der Eröffnungspressekonferenz erkennen ließ), unterstreicht, wie wichtig der IAC für Bremen war: „Mit diesem Kongress konnten wir noch einmal allen zeigen, welchen Stellenwert die Hansestadt in dieser Branche hat“, betonte Professor Marc Avila, Direktor des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM), das den Kongress nach Bremen geholt und hier organisiert hat.

Zukunft der europäischen Raumfahr

Die Zukunft der europäischen Raumfahrt und speziell der neuen Trägerrakete Ariane 6 gehörte zu den Kernthemen, die während des IAC hinter den Kulissen und informell besprochen wurden. Zu den wenigen, die Europas Rolle im All offen und kritisch ansprachen, gehörte Tom Enders. Der scheidende Airbus-Chef verwies auf Studien, nach denen das weltweite Geschäftsvolumen mit jedweder Raumfahrt- und Satellitentechnologie in den nächsten 25 Jahren von derzeit 350 Milliarden Dollar auf das Zehnfache wachsen werde. Diese exorbitanten Wachstumserwartungen schließen komplett neue Aktivitäten auf der Erde ein, die durch technologische Systeme im Weltall ermöglicht werden. Enders befürchtet, dass Europa die Teilnahme an diesem „Goldrausch“ verpassen könne. Europa sei in Sachen Raumfahrt ineffizient aufgestellt; statt gemeinsam voranzuschreiten, werde nur geredet.

Erkundung des Sonnensystems

Über den rein ökonomischen Aspekt hinaus sieht Enders, dass Europa eine weitere wesentliche Chance im All versäumen könne. Den neuen Aktivitäten im All wie die kommenden Reisen zum Mond und später zum Mars oder die Erkundung über das eigene Sonnensystem hinaus, komme für Enders eine ähnliche Bedeutung zu wie die Entdeckung neuer Kontinente durch die Europäer im 16. und 17. Jahrhundert. „Wird Europa erneut unter den führenden Kräften sein oder werden wir zurückfallen und nur beobachten, wie andere die Welt entdecken?“ fragte Enders rhetorisch in der als „high lecture“ angekündigten letzten großen Vortragsveranstaltung des IAC 2018. Für sein Unternehmen gab Enders eine klare Antwort: „Unsere Vision bei Airbus ist es, das Weltall näher an die Erde heranzubringen.“

Startklar für die Reise zum Mond: Das amerikanische Raumschiff Orion (hier ein verkleinertes Modell auf dem IAC 2018) wird von einem Servicemodul angetrieben, das Airbus in Bremen gebaut hat. Foto: Heumer

Welche Technologien zum Erreichen des Mondes und weiterer Ziele noch tiefer im All erforderlich sind, welche wissenschaftlichen Fragen dort vorzugsweise zu klären wären, wie sich Rohstoffe unter der Mondoberfläche gewinnen lassen – all diese Fragen standen in vielen der mehreren 100 Einzelvorträge und Expertenrunden auf dem IAC im Vordergrund. Dass sich auf dem IAC sehr viel rund um den Mond abgespielt, fand unter anderem den Beifall des Vorstandsvorsitzenden der Bremer OHB Systems AG, Marco Fuchs. OHB schloss am Rande des Kongresses eine Absichtserklärung mit dem privaten amerikanischen Raumfahrtunternehmen Blue Origin ab.

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Gemeinsam zum Mond

Beide Firmen wollen bei der Entwicklung eines Mondlandegerätes zusammenarbeiten, mit dessen Hilfe Blue Origin mehrere Tonnen Nutzlast auf dem Erdtrabanten absetzen will. Außerdem wollen OHB und die Amerikaner die Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit bei einer Nutzlast an Bord der wiederverwendbaren Orbitalrakete New Glenn ausloten. Blue Origin gehört dem Amazon- Gründer Jeff Bezos, der angeblich jährlich rund eine Milliarde Dollar aus seinem Privatvermögen in Raumfahrtprojekte und die Vorbereitung eines bemannten Fluges zum Mars investiert. Knapp 50 Jahre nach der ersten Mondlandung, so schien es, wurde beim IAC in Bremen ein neuer Wettlauf zum Mond und weiter darüber hinaus gestartet. Ob ein Team von Jeff Bezos oder ein Raumschiff von Elon Musk, ob die Nasa oder eine internationale Gemeinschaft als Erster das Ziel erreicht, war den IAC-Teilnehmern offensichtlich egal. Die europäische Raumfahrtagentur geht aber auf Nummer Sicher: „Zwei unserer Astronauten lernen vorsichtshalber chinesisch“, betonte ESA-Direktor Johannes Wörner.

(Text und Fotos: Wolfgang Heumer)