Zuwanderung ist nicht das Allheilmittel: Personalberaterin Corinna Horeis rät Unternehmern, sich von alten Mustern zu lösen
Volle Auftragsbücher, aber leere Briefkästen, wenn es darum geht, Zuschriften von Bewerbern zu bekommen – auf diese einfache Formel lässt sich das Thema Fachkräftemangel derzeit bringen. Und es sind längst nicht mehr nur die einschlägig bekannten notleidenden Branchen und das Handwerk betroffen. Auf 1,2 Millionen offene Stellen kommen in Deutschland rund 2,5 Millionen Arbeitssuchende. Das klingt zwar nach Potenzial, in der Praxis dürfte die Schnittmenge der passgenauen Bewerber jedoch relativ gering sein. Das gilt auch für die Migranten, die nicht nur die Hürde der Qualifizierung nehmen müssen, sondern mit weiteren Barrieren zu kämpfen haben: Sprache, Asylrecht, Aufenthaltsstatus, Kultur. Die manchmal propagierte Entlastung für den Arbeitsmarkt durch Zuwanderung zeichnet sich ganz offensichtlich nicht ab. Corinna Horeis, Personalberaterin aus Buchholz, weiß, wie schwierig es ist, Menschen mit Migrationshintergrund zu vermitteln.
Kurz: Die Unternehmen müssen sich etwas einfallen lassen, um den Nachwuchs sicherzustellen und um sich von der Masse der Suchenden abzuheben, betont Corinna Horeis. Ihre Erfahrung: „Viele Unternehmen rufen zwar nach neuen Mitarbeitern, sind aber häufig nicht bereit, sich zu verändern und an die Marktgegebenheiten anzupassen.“ Ihr Tipp: Die alten Muster über den Haufen werfen und die Personalsuche neu aufstellen. Fünf Punkte, über die es sich nachzudenken lohnt:
- Offenheit: „Das ist aus meiner Sicht der vermutlich wichtigste Punkt“, sagt Corinna Horeis. Der Blick sollte nicht auf den passgenauen Berufsabschluss gelegt werden, sondern auf die Fähigkeit zu lernen. Eingearbeitet werden neue Mitarbeiter ohnehin. In vielen Berufsfeldern ist es aus Sicht der Buchholzerin durchaus möglich, die „Branchen-Reinheit“ aufzugeben und artfremd zu besetzen. Schon vor Jahren habe IBM beispielsweise Theologen oder Philosophen eingestellt – weil sie lernen können, weil sie ganz andere Sichtweisen einbringen und weil sie neue Impulse setzen können. Dass sich ein Theologe vermutlich nicht für Stelle eines Elektroingenieurs eignen, dürfte klar sein, aber der Innovationscharakter branchenfremder Neueinstellungen kann ungeahntes Potenzial freisetzen. Corinna Horeis: „Persönlichkeit ist wichtiger als der passende Abschluss.“
- Bildung: Bewerber mit frischem Uni-Abschluss und fünf Jahren Berufserfahrung gibt es in der Regel nicht. Deshalb sollten Unternehmer Mut und Ausdauer haben und nicht gleich abwinken, wenn vermeintlich unerfahrene Absolventen anklopfen. Fortbildung, Seminare, Workshops – lebenslanges Lernen ist kein müder politischer Appell, sondern dringend geboten, wenn Unternehmen in Zeiten bestehen wollen, die sich in rasender Geschwindigkeit verändern. Die Digitalisierung ist dabei das treibende Thema und vielfach längst nicht voll erfasst und erkannt – im Positiven wie im Negativen. Deshalb sind Unternehmen gefordert, in ihre Mitarbeiter zu investieren. Egal, ob es sich um einen einfachen Azubi oder einen Uniabsolventen mit Masterabschluss handelt.
- Familie: Es sollte heutzutage kein Problem sein, Kinder zu bekommen. Ein wichtiger Satz in einer alternden Gesellschaft. Unternehmen können durch entsprechende familienfreundliche Angebote die eigene Attraktivität erhöhen, indem Bewerbern Flexibilität signalisiert wird – die übrigens für beide Seiten gelten sollte.
- Lohnniveau: Wer dringend Mitarbeiter sucht und keine findet, muss möglicherweise an der Gehaltsschraube drehen und mehr zahlen, als bislang üblich. Dieses Mittel greift zwar stark in das interne Lohngefüge ein, ist aber in manchen Branchen – beispielsweise Elektro – mittlerweile Teil von Abwerbestrategien. Grundsätzlich gilt: Wer mehr zahlt, weckt mehr Interesse – das alte Spiel von Angebot und Nachfrage.
- Bewerbung: Viele Unternehmen haben sich von den althergebrachten Bewerbungsmodalitäten längst verabschiedet. Handgeschriebene Lebensläufe und Hochglanzfotos vom Fotografen sind in digitalen Zeiten eher Anachronismen. Doch auch wenn Online-Bewerbungen heute akzeptiert sind, ist hier noch Luft nach oben, die Prozesse weiter zu vereinfachen und zu beschleunigen.
Diese fünf Punkte bilden einen gewissen Orientierungsrahmen für Unternehmen, die auf der Suche nach Mitarbeitern sind. Aussagen, dass sich der Fachkräftemangel durch Migration beispielsweise aus Afrika oder den Krisengebieten in Nahost mildern ließe, sieht Corinna Horeis eher mit Skepsis: „Ich denke nicht, dass das ein Allheilmittel sein kann. Zudem müssten sich eigentlich eher EU-interne Lösungen anbieten. Es gibt eine Reihe von EU-Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit und die Möglichkeit, überall zu arbeiten. Aber selbst da haben wir das Problem der Sprache. Das ist die größte Hürde. Bei Zuwanderung aus Drittländern kommen dann vielfach noch weitere Aspekte hinzu – beispielsweise kulturelle Themen wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Oder das Thema Aufenthaltstitel – wer darf bleiben, wie lange und unter welchen Bedingungen. Damit werden wir den Fachkräftemangel nicht nachhaltig lösen.“ wb