INTERVIEW Prof. Dr. h.c. Shan Fan, Präsident der Brand Academy, über Brand Thinking, Markennamen, Status-Denken und Coca Cola in China
Mit der Brand Academy – Hochschule für Design und Kommunikation verfügt die Hansestadt seit 2010 über die weltweit einzige Hochschule, die sich ausschließlich mit dem Thema Marke befasst. Mitinitiator und Gründungspräsident ist Prof. Dr. h.c. Shan Fan – ein international anerkannter Künstler, der in China und Hamburg Kunst studierte. Seit 1984 lebt er in Deutschland. Ein besonderer Mann mit einem ganz eigenen Zugang zum Thema Marketing und mit einem Herz für seine 230 Studenten aus 25 Ländern. Er ist Mitglied der Akademie der freien Künste und Lehrstuhlinhaber für interkulturelle Kunst. Zehn Professoren lehren an der Brand Academy, die ihren Sitz an der Rainvilleterrasse in Altona hat und ihren Studenten nicht nur eine beeindruckende Aussicht auf den Hafen bietet, sondern auch ein Qualitätsstudium garantiert. Mit Shan Fan sprach B&P-Redakteur Wolfgang Becker über jene Begleiter unserer Zeit, die allgegenwärtig sind: Marken.
Welchen grundsätzlichen Stellenwert hat das Thema Marke aus Ihrer Sicht?
Wir leben in einer Ära der Marken. Und werden in Zukunft viel mehr mit Marken zu tun haben. Ich unterstelle sogar Folgendes: Unsere Zukunft wird von Marken bestimmt. Ich habe den Begriff Brand Thinking als Paradigma unseres Handels in die Diskussion gebracht. Ich würde sogar eines Tages die Staatsideologie durch Brand Thinking ersetzen. Die Menschen sollen nicht durch eine Ideologie zu irgendetwas gezwungen werden, sondern durch Marken zum Handeln gebracht werden, wobei: Marken existieren nicht in der Realität, sondern nur in den Köpfen der Menschen.
Da kommen wir gleich auf ein überraschendes, nämlich philosophisches und soziologisches Thema. Es gibt ja durchaus Menschen, die sich gut verkaufen können. Denken Sie an Madonna oder Lady Gaga. Zwei Beispiele für extrovertierte Menschen. Wenn die Marke regiert – geht da nicht der Mensch unter, wenn er sich nicht vermarkten kann?
Das ist eine interaktive Angelegenheit zwischen Konsumenten und Markenschöpfern. Die Menschen haben bestimmte Bedürfnisse. Die Markenschöpfer müssen diese Signale empfangen, kanalisieren und in eine Marke umsetzen.
Wenn wir – einmal theoretisch gedacht – die staatlichen Ideologien abschaffen, müssen die handelnden Menschen dann auch zu Marken werden?
Die handelnden Personen werden zu Markenmanagern. Ich verstehe das so: Legen Sie einmal die staatliche Ideologie egal welcher Couleur beiseite, und stellen Sie sich vor, was die Menschen wollen. Was sind ihre Bedürfnisse? Der Staat als Marke wäre dann nicht ideologisch ausgerichtet, sondern sozusagen kundenorientiert. Oder besser: menschenorientiert. Das ist das, was ich meine.
Marken können also etwas bewegen . . .
. . . ja, für mich existieren Marken schon seit Urzeiten. Ich habe diese Hochschule mitbegründet. Weil ich der Meinung bin, dass die Fakultät der Marken etwas Grundsätzliches ist. Diese Fakultät muss so wichtig und grundsätzlich relevant sein, dass sie nicht in 100 oder 1000 Jahren überholt ist.
Wir brauchen also keine Ming-Dynastie, sondern eine Markendynastie?
Genau. So lange die Menschen existieren, existiert auch die Fakultät der Marken. Vor 5000 Jahren beispielsweise waren die Götter die Marken. Als Stammführer. Auch heute sind Personen wichtig. Produkte, Unternehmen. Städte. Hamburg ist ein typisches Beispiel für die Bildung einer Marke. Pro Jahr kommen immer mehr Touristen. Die Gründung der Hamburg-Marketing-Gesellschaft hat sich gelohnt. Das fasziniert mich. Deshalb habe ich diese Marken-Hochschule gegründet.
Schauen wir uns einmal Produkte an: VW, Nivea, Coca Cola – ist es heute noch möglich, große Marken zu kreieren?
Ich glaube, das ist nicht möglich, denn Marken lassen sich nicht kreieren, sie existieren schon vorher – als Bedürfnisse in den Köpfen der Menschen. Sehr viele Markenschöpfer erinnern mich an einen Zen-Gartengestalter. Der gestaltet den Garten so, dass er vorher gar keinen Plan hat. Er geht 100 Meter in eine Landschaft hinein, nach rechts 100 Meter und sagt: Das ist mein Platz. Dann lässt er Lkw-weise Steine anliefern und sagt irgendwann Stop. Jetzt sind genug Steine da. Dann lässt er wieder welche entfernen. Irgendwann sagt er wieder Stop und fängt an, die Steine zu bewegen. Die nach links, die nach hinten, die enger zusammen. So entsteht der Garten in einem konzeptlosen Prozess. Ich vermute, die meisten Marken sind so entstanden.
Wie wichtig ist der Markenname?
Der ist wichtig! Das ist das A und O. Ein ganz wichtiger Teil.
Coca Cola ist ja nicht Coca Cola, sondern eigentlich nur eine spezielle süße Limonade . . .
Ich verweise mal auf die chinesische Übersetzung von Coca Cola, denn ohne diese Übersetzung wäre Coca Cola in China nicht so gut gelaufen.
Wie ist Coca Cola übersetzt worden?
„Guter Geschmack, gutes Glück.“ In einer wunderschönen chinesischen Sprache. Dargestellt in vier Schriftzeichen. Allein durch diese Übersetzung ist der Erfolg auf dem chinesischen Markt entstanden.
Das heißt: Coca Cola hat für China eine spezielle Deutung bekommen, die die Bedürfnisse der Menschen exakt getroffen hat – wer hat sich das ausgedacht?
Irgendein Übersetzer. Frei gewählt, aber er hat den Markennamen Coca Cola mit einem positiven Inhalt gefüllt. Der Name der Marke hat deshalb große Bedeutung.
Schaut man sich die abstrakten Kunstnamen von Gründerfirmen speziell im technologisch-digitalen Bereich an, so hat man den Eindruck, einer Horde belangloser und austauschbarer Pokémons zu begegnen. Was raten Sie Gründern für eine gelungene Namensfindung?
Die Namensfindung wird oft unterschätzt. Da sollte mehr Energie darauf verwendet werden. Ein Name, der gut klingt und den Menschen Glück bringt, das ist die halbe Miete. Markennamen sind eine sehr emotionale Angelegenheit.
Ist es nicht sehr schwierig, sich in dieser Welt voller Marken noch positiv abzuheben? Lernen Ihre Studenten, wie das funktionieren könnte?
Ja, das lernen sie. Aber als erstes lernen sie Leidenschaft für das, was sie hier tun. Das ist das Allerwichtigste für einen künftigen Markenkommunikator, – manager oder -gestalter. Das sind hier alles Markenfans. Wie ich auch. Ich bin ein totaler Markenfan und trage zum Beispiel schon seit mehr als 20 Jahren meine Kleidung von einer bestimmten Marke. Alles ist eine Marke. Ich bemühe mich, Marken zu verstehen und für Marken zu begeistern.
Haben Chinesen einen besonderen Hang zur Marke? Erst kürzlich meldete das Handelsblatt, dass sich chinesische Investoren für Steinway interessieren. Das ist kein Einzelfall. Es besteht offenbar ein besonderes Interesse an Marken. Warum?
Statussymbol? Viele reiche Chinesen wollen für ihre Kinder gern ein Instrument von Steinway kaufen. Mit Steinway verbinden sie Erfolg, musikalische Begabung und Status. Die Marke als Statussymbol ist in China noch sehr wichtig. Für mich ist die Marke nicht mit Status verbunden, sondern eine authentische Angelegenheit. Mir ist es egal, ob ein Produkt einen Euro kostet oder 1000, wenn ich merke, das geht mir unter die Haut, dann schafft die Marke eine Form von Identifikation – die Liebe auf den ersten Blick.
Wenn der Volkswagen-Konzern unter den Marken VW, Audi und Seat ein fast baugleiches Modell herausbringt – welches kaufen Sie?
Zunächst mal: keine dieser drei Marken. Aber wenn der Seat zu meiner Identität passt, dann kaufe ich Seat. Da sprechen wir über den Bereich Ästhetik, Geschmack und Sozialisation – ein psychologisches Thema. Ein Beispiel: Wenn ich Brillen kaufe, gehe ich vorurteilsfrei in einen Laden, schaue mir die Modelle an und suche zwei, drei Gestelle aus, die mir gefallen. Zu 99 Prozent lande ich immer bei zwei speziellen Marken – ohne vorher gewusst zu haben, wer der Hersteller ist. Das liegt an Formen, Farben und Gestaltung, die ein gewisses Befinden bei mir auslösen. Da haben wir es wieder: Marken existieren nur im Kopf.
>> Web: www.brand-acad.de