Kolumne Der Steuer-Tipp – Steuerverzinsung verfassungswidrig?

Von Florian Schmidt, Steuerberater bei DIERKES & PARTNER

Wer mit seiner Steuerzahlung in Verzug ist, zahlte bisher Zinsen in Höhe von sechs Prozent pro Jahr an das Finanzamt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hält dies in einer neuesten Entscheidung für realitätsfern. Seit vielen Jahren wird über die Angemessenheit der Verzinsung in Höhe von sechs Prozent vor allem von Steuernachzahlungen vor dem BFH gestritten. Aus Sicht vieler Steuerzahler ist es nicht sachgerecht, dass die Finanzverwaltung seit Jahrzehnten trotz aktueller Niedrigzins­phase konstant sechs Prozent veranschlagt. Bis zum Veranlagungsjahr 2013 wurde die Zinshöhe vom Bundesfinanzhof noch als verfassungsgemäß eingeschätzt, wohingegen im aktuellen Urteil für Zeiträume ab 2015 der Zinssatz als überhöht beurteilt wird.

Im Jahr 2011 kam der BFH zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber für den Zeitraum bis März 2011 noch nicht dazu verpflichtet gewesen sei, die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes an das niedrige Marktniveau für Geldanlagen anzupassen. Der gesetzliche Zinssatz müsse zum einen mit dem „am Markt erzielbaren Anlagezins“, zum anderen auch mit den „für die Inanspruchnahme von Darlehen zu zahlenden Zinsen“ verglichen werden, so die Richter. Außerdem hätten sich die Zinsen erst nach dem Zeitraum des Streitfalls auf einem dauerhaft niedrigen Niveau stabilisiert.

Schwerwiegende Zweifel

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Noch im November 2017 hatte der BFH entschieden, dass der geltende Zinssatz von sechs Prozent unter Berücksichtigung des allgemeinen Zinsniveaus nicht verfassungswidrig sei. Die Höhe der Nachzahlungszinsen verstoße weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz noch gegen das Übermaßverbot. In seinem damaligen Urteil bejahte damit der BFH die Verfassungsmäßigkeit der geltenden Zinsregelung, so dass die Voraussetzungen für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht vorlagen. In ihrem Urteil zitierten die Richter des BFH sogar einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2009, wonach „der konkrete Zinsvorteil oder Zinsnachteil für den Einzelfall nicht ermittelt werden müsse“. Eine Anpassung an den jeweiligen Marktzinssatz würde wegen dessen Schwankungen zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen. Im „Interesse der Praktikabilität“ sei deshalb der Zinssatz auf 0,5 Prozent pro Monat festgelegt worden.

Doch die Rechtsprechung scheint sich zu ändern. Der BFH hat sich in seiner aktuellsten Entscheidung dazu (Beschluss vom 25.04.2018, Az. IX B 21/18) erneut mit der Zinshöhe auseinandergesetzt und zweifelt nun an deren Verfassungsmäßigkeit für Veranlagungszeiträume ab dem Jahr 2015. Mit diesem Beschluss hat der BFH die Zinsen auf Steuernachzahlungen ab dem Jahr 2015 ausgesetzt, da im Hinblick auf die Zinshöhe schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bestünden. Der BFH begründet dies mit der realitätsfernen Bemessung des Zinssatzes, die zu einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes führe. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich – im Streitzeitraum – ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe. Ferner bestehen seitens des BFH verfassungsrechtliche Zweifel bezüglich des aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Übermaßverbots. Denn die Höhe der Nachzahlungszinsen, die „realitätsfern“ sind, würde sich in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung auswirken.

Im aktuellen Fall hat der BFH die Zahlungen der Zinsen vorläufig ausgesetzt. Er konnte beziehungsweise musste hier die Problematik nicht dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorlegen, da es sich um einen Fall der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in einem summarischen Verfahren handelte und eine Vorlage an das BVerfG in einem solchen Fall nicht in Betracht kommt.

Meine Empfehlung: Ob die Zinshöhe tatsächlich verfassungswidrig ist, muss letztendlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Dort sind bereits in anderen Verfahren mehrere Klagen gegen die Höhe des Zinssatzes anhängig. Wie und wann der Gesetzgeber darauf reagiert, bleibt abzuwarten. Bis dahin sollte zumindest aus diesem Grund gegen sämtliche Steuerbescheide, die den Steuerpflichtigen zu einer Zinszahlung verpflichten, Einspruch eingelegt werden.

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