Vernissage bei Lindtner: Toros wütende Hommage an eine Stadt, die es nicht mehr gibt.
Keine Frage – der Mann ist wütend. Und das aus gutem Grund: Der Harburger Künstler Mentor A. Ejupi Toro, kurz Toro, hat auf alten Fotos des Helms-Museums Harburger Ansichten aus der Zeit nach der vorletzten Jahrhundertwende entdeckt. Also so um 1910 bis vielleicht 1930. Er fand eine verlorene Stadt. Harburg, wie es damals war, als die Welt noch in Ordnung schien. Seit Dezember 2016 malte Toro die rund 20 Ansichten auf stattlichen, aber immer noch wohnraumtauglichen Leinwänden nach und gab ihnen mit teils massiver Ritzung eine leicht verschwommene Ausstrahlung. Der Betrachter ahnt, dass Harburg damals – vor dem Großhamburg-Gesetz – ein beachtliches Städtchen gewesen sein muss, aber der Blick in die Vergangenheit bleibt unklar, denn die meisten Gebäude sind nicht mehr vorhanden oder durch Neubauten der Nachkriegszeit und der jüngeren Geschichte zur städtischen Deko verkommen.
Im Harburger Hotel Lindtner begrüßten Hausherrin Heida Lindtner-Thies-Lembcke und Toro jetzt gut 150 Gäste zur Vernissage im großen Saal. Titel der Ausstellung: „Love it or leave it!“. Gemeint ist Harburg, denn Toros Appell richtete sich an alle Entscheider, die Stadtgestaltung betreiben: „Schaut zuerst auf Harburg – und nicht auf Parteiinteressen.“ Und als überzeugter Wahl-Harburger, der seine neue Heimat liebt, rät der aus dem Kosovo stammende Maler allen Einwohnern durchaus provokant: „Wer sich nicht mit Harburg identifiziert, kann auch gehen.“ Anders ausgedrückt: „Love it or leave it!“ – liebe deine Stadt, oder such dir eine andere.
Die Harburger Stadtseele
Zu dem Bilderreigen der Harburg-Ansichten gehört auch ein Bild, das völlig aus dem Rahmen fällt: Es zeigt die Erstausgabe der „Harburger Anzeigen und Nachrichten“ aus dem Jahr 1844 auf einer Spitzentischdecke. Es verwunderte also nicht, dass mit Ernst Brennecke der langjährige Kulturredakteur der 2013 eingestellten HAN als Gastredner die Aufgabe zuteil geworden war, das Toro-Werk vorzustellen. Er bemühte das Bild von der versunkenen Stadt, denn Harburg sei eigentlich eine Stadt, die es nicht mehr gibt. Jeder weiß schließlich, dass Harburg seit den 1930er-Jahren nur noch ein Stadtteil Hamburgs ist. Doch auch Brennecke spielte eher auf den auch kriegsbedingten Verlust der Harburger Stadtseele an, die letztlich eben nur in historischen Gebäuden überleben kann.
Harburg ist gescheitert
Zur Glorifizierung taugt das alte Harburg indes nicht, das wissen all jene, die Zeuge des massiven Stadtumbaus in den 1970er-Jahren wurden. Im Zuge des S-Bahnbaus waren ganze Stadtviertel „zersägt“, teils abgerissen worden. Darunter viele marode Häuser, denen jede Eignung zur romantischen Rückbesinnung fehlte. Toros Bilder rufen nun die Erinnerung an die alten Zeiten wach. Brennecke: „Die gezeigte Welt ist aber nicht heil, sondern eher verschwommen.“ Was Toro bestätigte, als er im Anschluss einräumte, er sei regelrecht wütend über den Verlust des alten Harburgs. Diese Wut findet sich in den Bildern wieder. Ernst Brennecke ließ nicht unerwähnt, dass Toro auch schwere Zeiten durchlebt – nach mehreren Jahren hat er seine Galerie mit Café im Gloria-Tunnel (Lüneburger Straße) geschlossen. Der Gastredner: „Nicht Toro ist gescheitert, sondern Harburg ist es.“ Wie wahr . . . wb