Alle reden vom demografischen Wandel – B&P fragt in verschiedenen Branchen nach der aktuellen Situation.
Der demografische Wandel wird durch die Reduzierung des Arbeitskräfteangebots und die Alterung der Beschäftigten deutliche Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte haben. Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung wird bis 2018 fast jeder zweite Erwerbstätige zwischen 45 und 64 Jahre alt sein. Parallel dazu werden nachrückende Jahrgänge nicht stark genug sein, um Altersabgänge zu kompensieren. Der Höhepunkt der sogenannten „Nachwuchslücke“ wird zwischen 2025 und 2029 erreicht. Dabei geht es der attraktiven Metropolregion Hamburg noch vergleichsweise gut, weil die Bevölkerungszahl entgegen dem Trend zu- anstatt abnehmen wird. Besonders deutlich ist das Phänomen in den Städten spürbar.
Demografie-Berichte der Bertelsmann Stiftung prognostizieren der Hansestadt bis 2030 einen Zuwachs von acht Prozent. Und die Strahlkraft der Stadt reicht bis weit ins Umland. Im Landkreis Harburg wird die Bevölkerung bis 2030 um 4,5 Prozent ansteigen, in der Hansestadt Stade um drei Prozent, im Landkreis Stade immerhin um ein Prozent – während das Land Niedersachsen im selben Zeitraum knapp zwei Prozent seiner Bevölkerung verlieren wird. Trotzdem fürchtet man sich auch im Hamburger Süden vor Personalnot. Schon jetzt ist die Lage in den meisten Branchen schwierig, wie eine nicht repräsentative Umfrage von Business & People belegt.
Stichwort Handwerk
„Im Handwerk gleicht die Suche nach Fachkräften in einigen Gewerken inzwischen der nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen“, sagt Mareile Deterts von „Lüüd“. Der plattdeutsche Name der Personalberatung für das Hamburger Handwerk ist Programm. Die Kooperation zwischen Handwerkskammer, Agentur für Arbeit und Krankenkasse hilft Betrieben dabei, „Leute“ auf einem nahezu leer gefegten Arbeitsmarkt zu finden und ans Unternehmen zu binden. Der Bedarf ist groß. „Gerade Chefs kleinster und kleiner Firmen schaffen es neben ihrem Tagesgeschäft nur schwer, sich selbst um die Rekrutierung neuer Mitarbeiter oder potenzieller Auszubildender zu kümmern. Denn das ist in allen Gewerken äußerst schwierig, ganz besonders in fachlich anspruchsvollen Bereichen wie Heizung/Sanitär/Klima und Elektro. In Branchen mit schwierigen Arbeitszeiten ebenso. Da ist es in kreativen Berufen wie beispielsweise Tischler vergleichsweise einfacher. Was nicht heißt, dass es dort leicht wäre, Personal zu finden“, sagt Mareile Deterts.
Stichwort Industrie
Der Konkurrenzkampf ums Personal ist in der Industrie weniger hart als im Handwerk. Denn viele Industriearbeiter kommen ursprünglich aus Handwerksberufen. So wie bei Uvex Safety Gloves, dem Lüneburger Hersteller qualitativ hochwertiger Schutzhandschuhe. 80 Prozent der 250 Mitarbeiter arbeiten im gewerblichen Bereich und wurden für ihre Tätigkeit vor Ort angelernt. „Viele kommen vom Bau. Die Industrie zahlt einfach besser“, sagt Geschäftsführer Franz Keller. Personalnotstand? „Nicht bei uns. Unser mittelständisches Unternehmen ist gesund gewachsen, die Altersstruktur gut durchmischt.“
Langfristige Beschäftigung ist die Regel. Manche Angestellte sind schon seit der Gründung vor drei Jahrzehnten dabei. Nachwuchs-Schlosser, Schweißer, Maschinenführer, Mechatroniker oder Logistiker bildet die Firma selbst aus. Geeignete Lehrlinge finden sich. „Der Name Uvex hat schließlich einen guten Klang“, sagt Franz Keller. Bei einem renommierten Unternehmen arbeiten auch Hochqualifizierte gern. Insbesondere, wenn es an einem attraktiven Standort ansässig ist. „Textilingenieure, Chemiker und Kaufleute rekrutieren wir aus der gesamten Metropolregion Hamburg.“
Stichwort Gastgewerbe
Davon kann Thomas Cordes nur träumen. In seinem Sottorfer Hotel und Restaurant beschäftigt der Vorsitzende des Dehoga-Verbands im Landkreis Harburg zurzeit
30 Angestellte und kommt damit personell so eben über die Runden. Noch. Er zehrt von der Vergangenheit, als er noch jedes Jahr Lehrlinge zum Koch, Hotelfachmann oder Hotelfachgehilfen einstellte. „Wir haben seinerzeit praktisch all unsere Azubis übernommen.“ Heute findet Cordes kaum noch Nachwuchs. Auf Arbeit am Wochenende und Abend habe die Jugend eben keine Lust, meint er. „Und wenn mal ein geeigneter Bewerber kommt, entscheidet der sich letztlich doch lieber für einen Ausbildungsplatz in der Stadt.“
Die Lage seines Hauses im „Hamburger Speckgürtel“ empfindet er diesbezüglich als Standortnachteil. Auch die dörfliche Struktur böte personaltechnisch keine Vorzüge mehr. Hausfrauen und Mütter, die früher zu Spitzenzeiten als Aushilfen einsprangen, fehlten inzwischen. „Heute haben doch praktisch alle Frauen einen Fulltimejob.“ Aber das Mitarbeiter-Problem beschränke sich nicht aufs Land. „Überall im Gastgewerbe herrscht Personalnotstand. Und zwar ein sehr kritischer“, sagt Cordes. „Wenn das so weitergeht, wird es ein Restaurant-Sterben geben, speziell von Häusern mit deutscher Küche“, befürchtet er. Griechische, italienische, chinesische Gastronomen dagegen täten sich leichter, weil sie ihr Personal vorwiegend aus den eigenen Familien rekrutierten. In Asylanten und Geflüchteten sieht Cordes ein noch zu wenig genutztes Potenzial. Er selbst würde gern Migranten einstellen – sofern sie eine Arbeitserlaubnis haben. „Denen wird es von Politik und Bürokratie zu schwer gemacht.“
Stichwort Einzelhandel
Junge Leute wollen nicht arbeiten, wenn andere frei haben. Diese Erfahrung macht auch Dieter Stackmann, Chef des gleichnamigen Buxtehuder Modehauses. Auf eine Sechs-Tage-Woche will sich kaum ein Jugendlicher einlassen. „Es liegt am Sonnabend. Denn für Jobs von montags bis freitags finden wir problemlos Leute, ob nun für das Lager oder für die Schaufenstergestaltung“, sagt Stackmann. Dass Verkäuferinnen am Sonnabend durch höhere Verkaufszahlen mehr verdienen als werktags, scheint nichts an der Abneigung gegen Wochenenddienst zu ändern. Seit drei Jahren zeichnet sich der Trend bei Stackmann deutlich ab: Für die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann gibt es nur wenige qualifizierte Bewerber. Von den ausgeschriebenen fünf Ausbildungsplätzen konnten 2017 nur vier besetzt werden.
Zwar haben die 320 Mitarbeiter bei Stackmann bisher eine recht ausgewogene Altersstruktur. Aber es ticken gleich zwei Zeitbomben: 120 Mitarbeiterinnen sind über 50 Jahre alt, da naht der Ruhestand. Ebenso viele sind unter 40, Ausfall durch Mutterschaft ist jederzeit möglich. Schon seit zehn Jahren investiert Stackmann in eine eigene Ausbildungsabteilung, die sich intensiv um jeden einzelnen Azubi kümmert. Die Idee ist, dort künftig vermehrt Quereinsteiger zu schulen. Wer im Traditionsunternehmen bedienen möchte, wird nicht mehr zwingend eine abgeschlossene Einzelhandelslehre brauchen, wohl aber Verkaufstalent und eine positive Einstellung zum Service am Kunden. „Abstriche in der Qualität unseres Personals machen wir nicht“, hat sich Dieter Stackmann vorgenommen.
Stichwort Gesundheitswesen
Auch in der Gesundheitsbranche ist die Situation heikel. „Es ist schwer, genügend Pflegepersonal zu finden. Der Bedarf ist deutlich höher als das Angebot“, erklärt Uwe Lütjen, Personalleiter beim DRK Stade. Das Deutsche Rote Kreuz beschäftigt im Landkreis Stade rund 500 Altenpflegekräfte in fünf Pflegeheimen, vier Tagespflegeeinrichtungen, zwölf betreuten Wohnanlagen und ambulanten Pflegediensten. Zwar sei die Altersstruktur des Personals recht ausgewogen und durch eigene Ausbildung wüchsen auch junge Kräfte nach. Lütjen: „Aber eigentlich reicht das nicht aus. Und die Auswahl ist klein. Der Pflegeberuf ist für junge Menschen nicht attraktiv.“ Es fehle insbesondere an männlichem Pflegenachwuchs. Er sieht dafür verschiedene Gründe: Feiertagsarbeit und Schichtdienst, das im Vergleich zu Krankenhauspersonal schlechte Image von Altenpflegern und – vor allem – das nach Lütjens Ansicht viel zu geringe Gehalt. „Tarifparteien, Krankenkassen, Politik müssen dringend etwas bewegen.“
Schon mal etwas von WeGebAU gehört?
Die Agentur für Arbeit unterstützt die Weiterbildung geringqualifizierter und -beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen. WeGebAU heißt dieses Angebot von „Weiterbildungen im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts“. Dagmar Froelich, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Stade: „Arbeitgeber wissen am besten, welche Qualifikation von bewährten Arbeitnehmern noch nicht oder nicht mehr ganz den Bedürfnissen des Betriebes entspricht und können mit Hilfe der Förderung durch die Agentur für Arbeit die Qualifizierungslücke schließen. Auch wenn es Mitarbeiter mit Potenzial für größere Herausforderungen gibt, kann das Programm WeGebAU eine Chance sein, die Qualifikation der Beschäftigten auf den neuesten Stand zu bringen.“ mab
Ansprechpartner sind die Arbeitgeberservices der örtlichen Arbeitsagenturen. Telefon: 0800 4 5555 20.