TU-Professor forscht an einem Verfahren gegen Querschnittslähmung – Vom zermürbenden Kampf ums Geld für eine bahnbrechende Idee.
Eine fast unglaubliche Geschichte: Seit etwa zehn Jahren forscht das Institut für Mikrosystemtechnik an der Technischen Universität Hamburg (TUHH) gemeinsam mit weiteren Spezialisten an einer Methode, die eines Tages dazu führen könnte, dass Querschnittsgelähmte geheilt werden. Professor Dr.-Ing. Hoc Khiem Trieu, Leiter des Instituts, führt beharrlich seit fünfeinhalb Jahren die Arbeit seines Vorgängers, Professor Jörg Müller, fort. Fast drei Jahre lang lief das Projekt auf Sparflamme, weil keine Fördermittel bereitstanden. Die Industrie reagierte zögerlich, weil mit einer Heilung der Querschnittslähmung der Markt offenbar nicht interessant genug ist. Jetzt geht es jedoch weiter: Das Bundesforschungsministerium hat 1,4 Millionen Euro bewilligt – Geld, mit dem die dritte Entwicklungsstufe einer möglicherweise bahnbrechenden Entwicklung finanziert wird, die Querschnittsgelähmten Hoffnung geben kann. Doch der Weg ist noch weit.
Die technische Seite der Medizin
Auch der Weg zum Interview ist nicht ohne: Wir treffen uns im Gebäude M, auf der Ebene Z3 im Zimmer 2508. Ein kleines Büro mit einer Vitrine, in der Dr. Trieu einige Anwendungsbeispiele für Mikrosystemtechnik verwahrt. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Medizintechnik. Der Physiker zeigt Miniatur-Chips, die ins Auge gesetzt werden; Sensoren, die zur permanenten Blutdruckmessung implantiert werden und Messeinheiten, die Auskunft über die Regeneration gebrochener Knochen Auskunft geben. Sein Metier ist dabei die technische Seite der medizinischen Anwendung.
Gemeinsam mit Professor Dr. med. Klaus Seide, Leiter Wissenschaft und Forschung am Hamburger Unfallkrankenhaus Boberg, und Professor Dr. Hans Werner Müller, dem Leiter der Molekularen Neurobiologie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, arbeitet Trieu an einem Implantat, das die zerschnittenen Nerven des Rückenmarks wieder zusammenführen kann. Er erklärt: „Sind die Nerven zertrennt, kommt es zu Vernarbungen, die eine Regeneration verhindern. Das ist eine Besonderheit des zentralen Nervensystems. Andere Nerven können sich dagegen sehr wohl wieder verbinden. Wenn wir davon ausgehen, dass auch die Rückenmarksnerven grundsätzlich in der Lage sind, wieder zusammenzuwachsen, müssen wir etwas gegen die Vernarbung tun. Das war die Grundidee.“
Exkurs Technik
Zwischen die frischen Schnittstellen wird ein feines Gitter mit einer Wabenstruktur gelegt. Das Implantat, ein mechanisches Mikrosystem (kurz mMS), ist so konstruiert, dass über einen Hauptzugang ein Schlauch angeschlossen wird, über den für kurze Zeit ein Vakuum erzeugt wird. Dadurch werden die beiden Rückenmarksstümpfe in das Gitter gesogen, sodass sie in direkten Kontakt kommen. Die Waben sind aus Plexiglas und speziell beschaffen: Der Widerstand der Gleitfläche ist so gering, dass die Nerven hineinrutschen können, aber zugleich auch so hoch, dass sie nicht wieder hinausflutschen, wenn der Unterdruck wieder entfernt wird. Über einen zweiten Kanal können unterstützende Medikamente direkt an die Schnittstelle geleitet werden. Nach einigen Wochen ist die Verbindung zwischen den Nervenenden wieder hergestellt – so die Theorie. Allerdings wachsen nicht zwangsläufig die richtigen Enden zusammen, was dazu führt, dass das Gehirn umlernen muss.
In der Praxis hat sich das Prinzip bereits bestätigt. Nachdem die Grundlagenforschung weitgehend abgeschlossen war, kam Trieu an die TUHH und nahm den Faden auf. Er und seine Mitstreiter machten erste Versuche an Ratten. Sie wiesen konkret nach, dass sich die Nerven wieder verbinden. Sogar die Isolationshülle der Nerven und die Versorgung durch Blutgefäße bilden sich neu. Die Methode funktioniert. In systematischen Versuchsreihen mit Kontrollgruppen wurde etwa 150 querschnittsgelähmten Ratten das mMS implantiert. Mit dem Ergebnis, dass im Gegensatz zur Kontrollgruppe (Ratten ohne Implantat) ein nachweislich hoher Anteil von Tieren eine deutliche Verbesserung der Bewegungsfähigkeit zurück erlangte, darunter sogar einige Fälle mit fast vollständiger Funktionsfähigkeit des hinteren Bewegungsapparates.