Ab und zu darf es gern etwas wild sein…

Zertifikat erhalten: Ruth Staudenmayer ist Deutschlands erste Wildsommelière – hier mit Stefan Ulbricht (links), Fleischerschule Augsburg, und Werner Braun, stellvertretender Landesinnungsmeister und Obermeister der Innung Dachau-Freising. Foto: B&P

B&P-GESPRÄCH bei Schönecke von 1914: Was macht eigentlich eine Wild-Sommelière? Ruth Staudenmayer gibt die Antwort.

Vom Ei zum Huhn war es nur ein kurzer Schritt. Auch zu Perlhuhn, Fasan und Maishähnchen. Die Sache mit dem Ringlswin war dagegen schon ein echter Meilenstein. Aber jetzt setzt das Elstorfer Unternehmen Schönecke von 1914 noch eins drauf: Geschäftsführerin Ruth Staudenmayer, die das Unternehmen mit Henner Schönecke in vierter Generation führt, ist Norddeutschlands erste und bislang einzige Wild-Sommelière. Einen männlichen norddeutschen Vertreter dieser seltenen Spezies gibt es noch, aber das war es denn auch. Bundesweit sind lediglich 18 Wild-Sommeliers zertifiziert. Was eine Wild-Sommelière auszeichnet, erläuterte Ruth Staudenmayer im B&P-Gespräch.

Ein Wein-Sommelier kennt sich mit Weinen aus. Ein Fleisch-Sommelier wie beispielsweise Schönecke-Mitarbeiter Andreas Stockfleth kennt sich mit Schwein, Rind & Co. aus. Ruth Staudenmayer hatte nun die Chance, als passionierte Jägerin an einem Lehrgang zum Thema Wild-Sommelier teilzunehmen. Der Ort: das Bildungszentrum des Fleischerhandwerks in Augsburg. Das Thema: Reh, Hirsch, Wildschwein, Hase und was die Natur sonst noch so zu bieten hat – zum Beispiel Nutria und Waldschnepfe.

Hochwild und Niederwild

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„Dieser Lehrgang mit Prüfung und Zertifikat richtet sich ausschließlich an Fleischer. Und Jäger, weil die das Privileg haben, erlegtes Wild zum Verzehr in den Verkehr zu bringen. Da sollte man also wissen, worauf es ankommt“, erzählt Ruth Staudenmayer. Zwei Wochen lang drückte sie mit 18 Lehrgangskollegen die Schulbank, lernte viel über Fleischqualität, Verwertung und Ethik. „Damit begann der Lehrgang. Das Erlegen des Wilds war damals ein Privileg des Adels. Also der hohen Herren. Deshalb spricht man beim Rot- und Damhirsch von Hochwild. Dem ‚niederen Volk‘ waren Reh, Wildschwein, Hase und Kaninchen vorbehalten – das sogenannte Niederwild. Hinzu kommt dann noch das Federwild, also Ente, Fasan, Wildgans, das selten gewordene Rebhuhn und die Waldschnepfe, für die es bis heute tatsächlich noch Jagdzeiten gibt.“ Der Vollständigkeit halber sei noch das „Gatterwild“ zu nennen, das aber in der Regel Mastfutter bekommt und mit dem oben genannten Wild geschmacklich nicht zu vergleichen ist. Ruth Staudenmayer: „Auch für das Wild gilt: Du bist, was du isst.“

Wild als Lebensmittel ist für Ruth Staudenmayer ein Nachhaltigkeitsthema. Denn: „Die Tiere ernähren sich selbst. Es gibt Jagd, aber auch Schonzeiten – dadurch eine eingeschränkte Verfügbarkeit. Mit dem Thema Haltungsstufen und Tierwohl müssen wir uns auf dieser Ebene gar nicht befassen. Wohl aber mit einem ethischen Jagdansatz. Und der hat am Ende auch etwas mit guter Fleischqualität zu tun.“ Es sei ein Unterschied, ob ein Tier bei einer Drückjagd von Hunden durch den Wald gehetzt und im höchsten Stresszustand erlegt wird oder aber vom Ansitz aus überraschend auf einer Lichtung geschossen wird. Dass damit keine Mengen an Fleisch gewonnen werden können, versteht sich von selbst.

Ruth Staudenmayer: „Bei der Hetzjagd verlieren die Muskeln an Energie. Energie wird durch das Verbrennen von Zucker, Glykogen, erzeugt. Nach der Hetzjagd ist die Energie in den Muskeln verbraucht und das Tier erschöpft. Im Reifeprozess des Fleisches nach dem Erlegen verwandelt sich Glykogen in Milchsäure, die wiederum dafür sorgt, dass das Fleisch zart wird. Das funktioniert nicht, wenn kein Glykogen mehr vorhanden ist. Ruth Staudenmayer: „Gute Fleischqualität beim Wild beginnt deshalb bereits vor dem Schuss. Wer ein gestresstes Tier oder einen rauschigen Keiler erlegt, der hat auch einen rauschigen Keiler auf dem Teller. So einfach ist das.“

An den Marktständen und in den Läden von Schönecke wird je nach Verfügbarkeit ab September auch Wild verkauft. „Top verarbeitet und bleifrei geschossen“, wie Ruth Staudenmayer sagt. „Die Nachfrage ist da.“ Jetzt schult sie ihre Mitarbeiter, Kunden, Jäger und Gastronomen und geht als Wild-Sommelière auch auf Tournee: „Ich habe bereits Einladungen, um Vorträge zu halten.“ Anfang Oktober ist sie zu Gast bei „Wachtelhof & Friends“ in Rotenburg.

Vom rauschigen Keiler

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Ihre eigenen Mitarbeiter will sie fit für den Verkauf machen, denn bei Wild haben interessierte Kunden oft noch viele Fragen. Ruth Staudenmayer: „Da kommt dann zumeist der klassisch gespickte Rehrücken oder der Schmorbraten zur Sprache. Aber das kann man getrost vergessen. Wildfleisch ist so vielseitig. Es ist überhaupt kein Problem, aus einer Rehkeule Steaks zu schneiden und kurz zu braten oder zu grillen. Wild ist viel mehr als die zähe Keule, die wir alle als Kind im Herbst aufgetischt bekamen. Wild kann alles – ist nur nicht immer und überall verfügbar, das macht es so kostbar.“

Steaks aus der Rehkeule

In Augsburg lernte Ruth Staudenmayer das Zerlegen und Verwerten bis ins kleinste Detail. Namhafte Referenten aus der Gastro- Szene und Grillspezialisten führten beispielsweise vor, wie sich aus einem Rehrücken zartes Carpaccio zubereiten lässt. Sie sagt: „Vor Wild muss man wirklich keine Angst haben. Damit lässt sich alles zubereiten.“ Das weiß sie aus eigener Erfahrung, denn einmal in der Woche geht es auf den Ansitz im eigenen Revier. Was Ruth Staudenmayer schießt, verwertet sie selbst. Sie erinnert sich an das erste Mal: „Es ist schon ein besonderer Moment, wenn man das erste Mal ein noch warmes Reh aufbrechen und die Decke, das Fell, abziehen muss. Ich dachte nur: ‚Lieber Gott, vielen Dank – ich esse auch alles auf.‘ Und das tue ich bis heute – es wird alles verwertet. Das ist der Moment der Wertschätzung gegenüber dem erlegten Wild.“

Und weiter: „Das mag für Außenstehende hart klingen, aber mal ehrlich: Wir sind doch ein Volk von Filetfressern. Wir kaufen nur die besten Stücke. Die Wahrheit ist aber eine andere: Wer ein Hähnchenfilet kauft, muss wissen, dass zu jeder Hähnchenbrust auch zwei Flügel gehören. Doch die will kaum jemand haben.“

Nutrias und Sumpfkrebse

Der Lehrgang zum Wild-Sommelier ist weltweit einzigartig, sagt Ruth Staudenmayer, die ihren Mitstreitern in Augsburg unter anderem die Frage stellte, was eigentlich mit den sich explosiv ausbreitenden Nutrias (Amerikanischer Sumpfbiber) passieren soll, die im Norden von Jägern allein schon aus Deichschutzgründen bejagt werden. „Ein Nutriapaar bekommt acht Junge – drei Mal im Jahr. Tatsächlich hatten wir einen Teilnehmer, der das durchaus schmackhafte Fleisch zu Konserven verarbeitet und sogar Würstchen herstellt. Darüber kann man ja schon mal diskutieren. Nüchtern betrachtet wachsen die Proteine vor der Haustür – warum sollte man die nicht verwerten?“ Beim ebenfalls eingewanderten „Roten Amerikanischen Sumpfkrebs“ funktioniere das schließlich auch – der habe es jetzt in Berlin in den lokalen Lebensmittelhandel geschafft. wb

π Wer mehr zum Thema erfahren möchte, sollte sich auf Instagram den brandneuen Blog „Wildsommeliere“ anschauen. Autorin: Ruth
Staudenmayer.

>> Anfragen für Buchungen der Wild­sommelière: service@schoenecke.de

>> Web: https://www.schoenecke.de/tag/wild/