Eine Kolumne von Christoph Birkel, Geschäftsführender Gesellschafter des Tempowerks.
In einer Welt, die von politischen Krisen und ambitionierten Zielen wie der Dekarbonisierung und Fair Trade durchdrungen ist, stehen wir vor einer wachsenden Herausforderung: die stetig wachsende Komplexität auf allen Ebenen. Die Regulierungen und Vorschriften, die von der EU, dem Bund und den Ländern auferlegt werden, sind zu einem Labyrinth geworden, das nicht nur das Wirtschaftswachstum behindert, sondern auch die Menschen zusehends zermürbt. Dazu kommen exogene Schocks, die der Wirtschaft und der Bevölkerung immer neue Kraftanstrengungen abverlangen, sei es mental oder finanziell.
Das Ziel, die Welt zu einem sicheren, gerechteren und nachhaltigeren Ort zu machen, ist zweifellos richtig und alternativlos. Doch das Leben ist kompliziert und vielschichtig. Oft stoßen wir auf dem Weg zur Zielerreichung an Grenzen, die sich nicht leicht überwinden lassen. Es gibt keine einfachen Antworten auf komplexe Herausforderungen. Dies den Menschen zu erklären, scheint immer weniger zu gelingen.
Frustration in der Mitte
Menschen, die das Gefühl haben, dass ihre Stimmen nicht gehört werden und dass sie von der Komplexität des Systems erdrückt werden, neigen dazu, extremistische Ansichten anzunehmen. Die wachsende Frustration in der Mitte der Gesellschaft und die Radikalisierung der Randgruppen sind besorgniserregende Entwicklungen.
Nehmen wir als Beispiel die Energiewende im Wohnungssektor. Es ist schon seit mindestens 20 Jahren allgemein bekannt, dass wir sie für eine CO2-freie Gesellschaft brauchen. Nur getan haben wir dafür: NICHTS. Wir haben uns zwar auf dem Papier immer größere Ziele gesetzt, deren Umsetzungszeitpunkte jedoch schön weit weg lagen. Also zum Beispiel 2050 wollen wir im Wohnungssektor CO2-neutral sein. Das hat uns die Möglichkeit gegeben, letztlich nach dem Motto: „Morgen, morgen nur nicht heute“ zu handeln. Das Ziel lag genau so weit weg, dass es sich nicht so anfühlte, als wollten wir nichts tun (und damit das Problem auf die nächste Generation verschieben). Zugleich war das Ziel aber nicht so nah, als dass man schon heute etwas hätte tun müssen. Wir haben uns alle selber belogen.
Weg mit der Brechstange
Nun hat die Bundesregierung richtigerweise entschieden: Wir müssen heute etwas tun. Das ist endlich einmal ehrlich. Der Fehler ist jedoch, dass man nun versucht mit der Brechstange den lange bekannten Notwendigkeiten hinterherzulaufen und aufzuholen, was wir alle bisher nicht angepackt haben. Der Kampf gegen den Klimawandel wurde völlig übers Knie gebrochen, handwerklich schlecht geregelt und katastrophal kommuniziert. Und: Die Möglichkeiten der Technologien wurden falsch eingeschätzt. Ein Kauderwelsch aus Regelungen folgte, Verunsicherung und Überforderung der Bevölkerung. Genau so dürfen wir es nicht tun.
Es ist unwahrscheinlich, dass wir in wenigen Jahren aufholen können, was wir in den vergangenen Jahrzehnten versäumt haben. Doch auch wenn wir viel zu spät beginnen, müssen wir sicherstellen, dass der Weg zur Erreichung unserer Ziele im Einklang mit den Realitäten des Lebens steht. Wir brauchen klare und realistische Schritte zur Erreichung der Klimaziele, flankiert von wenigen, aber aufeinander abgestimmten Regeln. Unser Motto sollte sein: Weniger Tempo ist mehr! Kontinuierlicher Fortschritt in kleinen Etappen ist besser, als krampfhaft auf einen Schlag alle Probleme lösen zu wollen.