„Politik verliert Bodenhaftung beim Klimaschutz“ 

Foto: Jürgen MüllerAndreas Kirschenmann ist seit fünf Jahren Präsident der IHK Lüneburg-Wolfsburg und steht jetzt zur Wiederwahl an. Im B&P-Interview fordert er einen politischen Kurswechsel. | Foto: Jürgen Müller

IHKLW-Präsident kritisiert zu kurze Fristen bei der Umstellung auf Erneuerbare Energie.

Angesichts der angekündigten Verschärfung des Gebäude-Energie-Gesetzes und des geplanten neuen Energieeffizienzgesetzes voller Verpflichtungen und verkürzter Umsetzungsfristen warnt die Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg (IHKLW) davor, die Wirtschaft zu überfordern und die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und des Wirtschaftsstandortes Deutschland aufs Spiel zu setzen. „Es ist völlig unrealistisch zu glauben, man könne mit Methoden einer Zentralverwaltungswirtschaft die Herausforderungen bei der Dekarbonisierung einer Volkswirtschaft lösen“, sagt IHKLW-Präsident Andreas Kirschenmann, Unternehmer aus Hollenstedt (Gastroback). „Uns eint das Ziel, die CO2-Emmissionen zügig zu senken, um bis 2045 Klimaneutralität erreichen zu können. Auch der Gebäudesektor und die Wirtschaft müssen ihren Anteil dazu leisten. Aber wenn das 65-Prozent-Ziel bei Heizungsanlagen und in Produktionsprozessen schon ab 2024 wirklich umgesetzt werden soll, verliert die Politik vollständig die Bodenhaftung beim Klimaschutz.“ Viel wichtiger wäre es, so Kirschenmann weiter, die Effizienz zu steigern und das Wirtschaftswachstum zu sichern. Es gelte, den betrieblichen Klimaschutz zu fördern, statt zusätzliche Umsetzungspflichten vorzugeben, Abwärmenutzung zu ermöglichen, nicht zu verordnen und dabei Verhältnismäßigkeit zu wahren. Politik und Verwaltung seien jetzt gefordert, mit Technologieoffenheit bei steigendem Energiebedarf mehr Kraftwerke zur Grundlastsicherung in den Markt zu bringen, das Fernwärmenetz zu erweitern und den Ausbau erneuerbarer Energien zu forcieren. 

Als einen wichtigen Schritt sieht die IHKLW dabei, dass endlich auch Niedersachsen die Exploration, Erschließung und Nutzung der Tiefengeothermie als Wärmequelle vorantreibt, genauso wie es im Koalitionsvertrag angekündigt wurde. Denn Erdwärme ist eine erneuerbare heimische Energiequelle, die stetig zur Verfügung steht und grundlastfähig ist. 

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Damit genügend grüner Strom für die vielen einzubauenden Wärmepumpen, die vielen zusätzlichen E-Autos und die zunehmende Digitalisierung zur Verfügung steht, ist es erforderlich, dass die Politik jetzt die erforderlichen Rahmenbedingungen schafft, bürokratische Bremsen lockert und Bau-, Planungs- und Genehmigungsverfahren strafft. Es gilt, Energiespeicher sowie die überregionalen Stromübertragungsnetze zügig auszubauen und die lokalen Verteilnetze zu modernisieren und zu digitalisieren. 

„Es ist fragwürdig, seitens der Politik anzuordnen, funktionsfähige Erdgas- und Ölheizungen vorzeitig zu verschrotten, ohne dass Wärmepumpen und Solaranlagen in ausreichender Zahl und bei angemessenen Lieferzeiten zur Verfügung stehen. Es fehlt an genügend Fachkräften, die Dämmstoffe, Solaranlagen und Wärmepumpen einbauen und jedenfalls aktuell noch an ausreichender Kraftwerkskapazität, die den zusätzlich benötigten Strom erzeugt. Wir wünschen uns einen Klimaschutz mit Augenmaß und eine Klimapolitik gemeinsam mit der Wirtschaft und nicht gegen die Wirtschaft“, resümiert IHK-Präsident Kirschenmann.