Zweiter Mittelstandskongress der Sparkasse Lüneburg mit 300 Besuchern: Zukunftsforscher Sven Gabor Jánszky erläutert den Reality Gap und rechnet zumindest mit der virtuellen Unsterblichkeit
A usverkauft! Mit 300 Gästen hat der zweite Mittelstandskongress, zu dem die Sparkasse Lüneburg ins Zentralgebäude der Leuphana Universität eingeladen hatte, die Erwartungen voll erfüllt. Marktvorständin Janina Rieke ließ in ihrer Begrüßungsrede kurz das ambitionierte Programm aufleuchten und nannte als Anlass für den aufwändigen Event: „Der Mittelstand ist ein Eckpfeiler der Gesellschaft. Dieser Kongress, den wir zwei Jahre lang vorbereitet haben, ist keine klassische Netzwerkveranstaltung oder Kundenveranstaltung. Der MSK ist adressiert an die ganze Metropolregion. Wir wollen eine Plattform bieten und miteinander ins Gespräch kommen.“ Das ging voll auf, denn die Themen der prominent besetzten Redner-Riege hatten es in sich – allen voran Zukunftsforscher Sven Gabor Jánszky, Gründer und Leiter des 2b Ahead Thinktanks, der unter anderem die Zukunftsvision von der Unsterblichkeit an die Wand malte.
Jánszkys Vortragstitel gab die Richtung vor: Wie viel Mensch verträgt die Zukunft? Klingt so, als funktioniere Zukunft auch ohne Menschen. Tatsächlich sind die meisten wohl schlicht über: „Nicht mehr als 20 Menschen weltweit entscheiden über die wesentliche Entwicklung in der Zukunft.“ Er appellierte an die Zuhörer, sich sehr genau anzuschauen, was sich in den jeweiligen Branchen tut. Und er erläuterte den neuen Begriff Reality Gap – die Realitätslücke, die entsteht, wenn die Zukunftsprognosen zweier Gruppen verglichen werden. Hier die „Dichter und Denker“, die eine leicht ansteigende lineare positive Erwartung haben, im Sinne von „es wird vielleicht ein bisschen besser“. Dort die Technologieentwickler, deren Erwartungen in einer exponentiell steigenden Kurve nach oben abgebildet sind.
Was das konkret heißen kann: „Wir sind aktuell mitten in einer Energiekrise, die die Schlagzeilen bestimmt. Fast zeitgleich hat eine Weltsensation stattgefunden, die viele gar nicht registriert haben: Erstmals ist eine Kernfusion gelungen, bei der mehr Energie herauskam als hineingesteckt werden musste. Was tun die großen Investoren im Silicon Valley? Sie investieren in Kernfusion. Möglicherweise sind wir bereits 2040 so weit, dass weltweit viel mehr Energie erzeugt wird als verbraucht werden kann. Das verändert alles“, so der Zukunftsforscher. Er kritisierte: „Deutschland verliert den Glauben an die Zukunft. Wir erwarten nicht mehr, dass es unsere Kinder besser haben werden.“
Der Körper geht, der Geist aber nicht . . . ?
Ein anderes Thema: Gesundheit. Jánszky erinnerte daran, dass sich die Lebenserwartung von Menschen in den vergangenen 200 Jahren verdreifacht hat. Zur Demonstration warf er ein Familienfoto mit seiner Ehefrau und den drei Kindern an die Wand: „Diese Kindergeneration hat schon die Chance, 120 Jahre alt zu werden.“ Zudem halte er es in absehbarer Zeit für möglich, den Inhalt eines Gehirns komplett auf einen Rechner zu übertragen. Das hieße: „Mit 120 geht vielleicht der Körper, nicht aber der Geist. Unwahrscheinlich? Das ist ein Beispiel für die Reality Gab.“
Zurück zum Mittelstand: Mittlerweile macht der Begriff der Predictive Economy die Runde. Dahinter die provokante Frage: Wer macht das Geschäft, wenn es gar keinen Auftrag gibt? Das Prinzip ist relativ einfach und wird bereits erprobt: Aufgrund einer umfangreichen Datenbasis lässt sich ermitteln, wann Kunde A welches Produkt bestellen wird – also wird vorher geliefert, ohne dass er bestellen muss. Jánszky: „Das ist keine skurrile Idee eines Zukunftsforschers. Das Vertrauen ändert sich. Es geht um erfüllte, in diesem Sinne vorab erfüllte Erwartungen.“ Und weiter ein Appell mit Automatisierung, der jeden Mittelständler begeistern dürfte: „60 bis 70 Prozent der Zeit, die Ihre Mitarbeiter aufwenden, kann automatisiert werden. Wenn Sie da nicht mitmachen, sind Sie wirtschaftlich in einem Jahr weg.“
„Soziale Ungerechtigkeit“
Nach der Pause ging es nicht minder spannend weiter. Prof. Dr. Thorsten Hennig-Thurau (Uni Münster) lud ins Metaverse ein, es ging um familiengeführte Unternehmen und gesunde Lebensmittel aus gesunden Strukturen und vieles mehr. Um 14 Uhr dann der nächste Hauptredner: Dr. Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag. Gysi plauderte eine Stunde lang über allerlei Themen aus der Politik und natürlich vor allem die außenpolitische Lage. Er attestierte Deutschland eine „Explosion der sozialen Ungerechtigkeit“, rechnete vor, dass die deutschen Milliardäre Dieter Schwarz (Lidl, Kaufland) und Klaus-Michael Kühne (Logistikunternehmer) gemeinsam so viel Vermögen besäßen wie 40 Prozent der deutschen Bevölkerung (Gysi: „Ich bin ja auch für die Leistungsgesellschaft, aber die müssen doch auch mal
schlafen . . .“) und geißelte Putins imperialistischen Feldzug gegen die Ukraine als „Katastrophe“. Es brauche einen Waffenstillstand, bei dem die Ukraine nicht verlieren darf, aber eben auch nicht gewinnen muss.
Der MSK endete nach diversen Workshop-Angeboten mit einem Auftritt von Deutschlands erster Herzlichkeitsbeauftragten, Masha Amoudadashi, sowie einem Panel zur Frage „Was braucht es für eine erfolgreiche Gründungskultur?“, an dem auch Tempowerk-Chef Christoph Birkel gefordert war, sowie einem Live-Pitch mit fünf Startups. wb
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